Vielen Diabetes-Patienten fällt es schwer, Diäten und Sportprogramme durchzuhalten. Die kontinuierliche Glukosemessung kann mit direktem Feedback motivieren. Das zeigt eine Kasuistik.
Entsprechend der Diabetes-Leitlinien gibt es einen Paradigmenwechsel: Der Fokus liegt vermehrt bei der Prävention von Komorbiditäten. Allerdings bleibt die glykämische Diabeteskontrolle weiterhin relevant. So lautet das Fazit eines Vortrags auf dem diesjährigen DGIM-Kongress, den die DocCheck News für euch besucht haben. Das Auftreten einer Komorbidität bei Diabetikern kann zu einer Verkürzung der Lebensdauer von 6 Jahren führen, erklärt darin Dr. Susanne Reger-Tan, Oberärztin und Leiterin des Diabetologikums DDG und der Ernährungsmedizin Smart Diabetes Care am Universitätsklinikum Essen. Bei gleichzeitigem Auftreten von mehreren Erkrankungen wie Schlaganfall oder Myokardinfarkt, verkürze sich die Lebenserwartung sogar um weitere 15 bis 20 Jahre. Das Risiko für das Auftreten solcher Komorbiditäten könne allerdings signifikant reduziert werden, wenn der HbA1c sowie punktuelle tagesaktuelle Blutzuckerwerte im gewünschten Zielbereich liegen.
Aktuell werden dafür feste Ziele gesetzt:
Hier spielt digitaler Fortschritt eine Rolle – auch wenn er „wissenschaftlich belegt noch hinterherhinkt“, sagt Reger-Tan. Dennoch werden sie in den Leitlinien erwähnt: Die kontinuierlich messenden Glukosesensoren bzw. CGM (engl.: Continuous Glucose Monitoring). Sie werden bei Diabetes-Patienten eingesetzt, um die Therapie besser steuern zu können. Über die Messung der Gewebeglukosekonzentration im Körper liefern sie zusätzliche Parameter:
Aktuell gewinnen wir den akuten glykämischen Status über den kapillaren Blutzucker, den die Patienten viermal am Tag entnehmen; der zweite Parameter ist hingegen der HbA1c. Man solle aber bei letzterem immer im Hinterkopf haben, dass es „ein indirekter Marker der Hyperglykämie ist“, erklärt die Diabetologin. „Weil wir Hyperglykämie nicht direkt messen, sondern wir messen das Ausmaß der Verzuckerung des Hämoglobins in den Erythrozyten.“ Das sei zwar eine proportionale Messung, dennoch sei das indirekt. Des Weiteren haben die Erythrozyten eine Halbwertszeit von 80 bis 120 Tagen: Das heißt die Messung entspreche dem Status der Hyperglykämie in diesem Zeitraum.
Durch die CGM ist es mittlerweile möglich, den Blutzucker nicht mehr nur kapillär, sondern die Gewebeglukose kontinuierlich zu messen. Das entspricht 1.440 Werten innerhalb von 24 Stunden und ergibt somit nicht nur Punkte, sondern eine Kurve, die die Glukosewerte des Tages wiedergeben. Daraus kann der durchschnittliche HbA1c-Wert errechnet werden, sodass sich mithilfe einer Formel der GMI ergibt. Er entspricht der realen mittleren Glukosestoffwechsellage in den letzten 14 Tagen.
Das ist auch der Unterschied zum HbA1c, da dieser einen wesentlich größeren Zeitraum von 80 Tagen abbildet und noch indirekt ist. Zudem ist der HbA1c bei Abweichungen in der Erythropoese unzuverlässiger – beispielsweise bei Eisenmangel und Anämie kann aufgrund der Langlebigkeit der Erythrozyten ein zu hoher HbA1c gemessen werden. Andersherum kann der Wert bei einer kurzen Lebensdauer – aufgrund von Blutung, Hämolyse, Dialyse, Schwangerschaft, Transfusion oder schweren kardiovaskulären Erkrankungen – auch falsch-niedrig sein. Wegen des längeren prospektiven Zeitraums bei HbA1c können auch akute Veränderung, starke Schwankungen sowie Hypoglykämien übersehen werden.
Die Messung einmal pro Minute bedeutet Entlastung für den Mediziner: CGM liefern viel mehr Informationen und man müsse nicht selber überlegen, was zwischen den vier Werten passiert, erklärt Reger-Tan. Daraus lasse sich ebenfalls besser ableiten, wie die Therapie zu steuern ist. Auch Schwankungen werden erfasst, was wichtig sei, um für eine stabile Stoffwechsellage zu therapieren. Denn eine erhöhte HbA1c-Variabilität kann das relative Risiko für langfristige Komplikationen bei Diabetes erhöhen. Das neue Ziel: Variabilität angehen und somit die Stoffwechsellage stabilisieren. In ambulanten Glukoseprofilen bekomme man Daten voranalysiert, denn diese werden direkt in Prozent umgerechnet, erklärt die Diabetologin. Dabei entspreche 1 % der Zeit 15 Minuten. „Wenn wir es schaffen, 5 % des Tages des Patienten mehr [in den Zielbereich] zu verändern, tun wir signifikant was Gutes.“
Diabetiker, die Insulin oder Antidiabetika nutzen, haben ein erhöhtes Risiko auf Hypoglykämien. Diese werden wiederum mit einem erhöhten Sterberisiko und Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse assoziiert. Dabei sei das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse oder Tod insbesondere in den 7 Tagen um die Hypoglykämie herum bis zu 7-fach erhöht, sagt Reger-Tan. Was tun? Durch die kontinuierliche Glukosemessung kann der Patient einen Echtzeit-Alarm bekommen und dementsprechend auf die Hypoglykämie reagieren; sowie primärpräventiv handeln, wenn der Glukosewert im niedrigen Normbereich ist und der Trendpfeil darauf hinweist, dass der Wert in nächster Zeit herabsinkt. Er kann dann weniger Insulin spritzen oder Glukose zu sich nehmen.
Die Diabetologin betont aber, dass der HbA1c nicht irrelevant sei. Die CGM seinen nur als zusätzliche Intervention hilfreich. Dazu liefert Dr. Oliver Schubert-Olesen, Facharzt für Innere Medizin und Diabetologie am Diabeteszentrum Hamburg City eine Kasuistik:
Patient Moritz/Heizungsbaumeister:
Im Ausgangszustand vor der CGM-Intervention war der Patient nur wenig bewegungsaktiv – d.h. er saß viel auf dem Sofa und hat sich nahezu nicht bewegt – und wies viele Hyperglykämie-Phasen auf. Zwar hatte er keine Hypoglykämien und auch die Variabilität war in Ordnung, doch lagen seine Werte nur zu 1 % im Zielbereich. Moritz hat dann mit täglichen Bewegungseinheiten von mindestens 1 Stunde angefangen: Fahrrad fahren, Gartenarbeit und mit seiner Frau spazieren gehen. Dadurch konnten schon nach einer Woche Aktivität maximale Glukoseanstiege verringert werden. Bereits nach 5 Wochen war er zu 78 % der Zeit im Zielbereich und das obwohl weder seine Medikation verändert wurde, noch er eine Schulung erhalten hatte. Einzige Maßnahme war eine Einweisung in das CGM-System.
Jetzt könnte man sagen: Das CGM schafft nicht die Bewegung – aber es motiviert, erklärt Schuber-Olesen. „Das ist das Problem, was die meisten von uns haben: Uns fehlt die Motivation, aber der Schweinehund muss besiegt werden“. Mittlerweile hat Moritz auch sein Essverhalten verändert: Er isst viel Gemüse, sowie weniger Kohlenhydrate und Fleisch. Das hat er nicht initial gemacht, sondern Stück für Stück. „Je häufiger ich scanne, desto besser wird mein HbA1c“, schließt der Diabetologe. „Funktioniert auch präventiv oder auch bei Menschen, die gar keine Insulintherapie dabeihaben.“
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