Rapamycin und seine Derivate werden seit Jahren für spezifische Indikationen eingesetzt. Einer Studie zufolge soll die Wirkstoffklasse weit mehr können: Als Anti-Aging-Waffe sollen mTOR-Inhibitoren Alterskrankheiten heilen und den Alterungsprozess bremsen.
Eine im Dezember 2014 veröffentlichte Studie untersuchte den Effekt des Rapamycin-Derivats Everolimus auf den Gesundheitszustand von 218 Personen, die 65 Jahre und älter waren. Statt den Effekt des mTOR-Inhibitors direkt auf den Alterungsprozess zu untersuchen, wählten die Forscher um Dr. Joan Mannick als altersbedingtes Phänomen die Immunoseneszenz, da sich dieser Prozess schneller in einer klinischen Studie untersuchen lässt. Die Immunoseneszenz tritt bei älteren Patienten auf und führt zu einer Dämpfung des Immunsystems, welche wiederum ein erhöhtes Infektrisiko und eine verminderte Vakzinantwort verursacht. Die Forscher stellten fest, dass bei der Everolimus-Gruppe die Immunantwort auf eine Influenza-Impfung etwa 20 Prozent stärker ausfiel als in der Placebo-Gruppe. Dieser Effekt zeigte sich sowohl bei der Zunahme des Antikörpertiters für in der Impfung enthaltene Influenza-Stämme als auch für heterologe Stämme. Zudem reduzierte die Everolimus-Behandlung den Anteil an CD4- und CD8-T-Lymphozyten, die PD-1 (programmed death-1) exprimierten. PD-1 inhibiert die T-Zell-induzierte T-Zell-Proliferation, Zytokinproduktion und zytolytische Funktion, und trägt somit zur altersbedingten T-Zell-Dysfunktion bei.
Die freiwilligen Versuchspersonen erhielten für sechs Wochen oral ein Placebo oder eine von drei Everolimus-Dosen (täglich 0,5 mg, wöchentlich 5 mg oder wöchentlich 20 mg). Nach der sechswöchigen Interventionsphase folgte eine zweiwöchige Pause, anschließend erhielten die Personen ein Influenza-Vakzin. Vor der Intervention sowie vier Wochen nach der Impfung wurden Antikörpertiter für drei in der Impfung enthaltene Influenza-Stämme sowie für zwei weitere, nicht in der Impfung enthaltene Stämme bestimmt. Zudem führten die Forscher vor der Intervention, sechs Wochen nach Beginn und vier Wochen nach der Vakzination eine Immunphänotypisierung durch. Die Studienteilnehmer vertrugen Everolimus in der Regel gut, als häufigste Nebenwirkung traten Ulzera im Mundbereich sowie Kopfschmerzen auf. Ist Everolimus nun also bereit für den Kampf gegen das Altern? „Es ist sehr wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass das Risiko/Nutzen-Verhältnis von mTOR-Inhibitoren in klinischen Studien belegt werden sollte, bevor irgendjemand daran denkt, sie zur Behandlung von altersbedingten Erkrankungen einzusetzen“, betont Dr. Joan Mannick, Hauptautorin der Studie und Direktorin der Novartis Institute für biomedizinische Forschung in Boston.
Die Immunoseneszenz-Studie weckt große Hoffnungen, doch bewiesen ist der lebensverlängernde Effekt von mTOR-Inhibitoren damit noch lange nicht. Es gibt zwar tatsächlich Hinweise darauf, dass eine Inhibition des mTOR-Signalweges die Lebensdauer verlängern kann – allerdings bisher nur bei Hefen, Nematoden, Fliegen und Mäusen. Die Tatsache, dass die nun veröffentlichte Immunoseneszenz-Studie vom weltgrößten Pharmakonzern Novartis gesponsert, geplant, durchgeführt und ausgewertet wurde, trägt allerdings nicht gerade dazu bei, Skeptiker von der Anti-Aging-Wirkung der mTOR-Inhibitoren zu überzeugen. Ein neues Phänomen sind mTOR-Inhibitoren nicht, Rapamycin feiert dieses Jahr seinen 40. Geburtstag. Seit 2003 vertreibt Novartis das Rapamycin-Derivat Everolimus in Deutschland – das Medikament ist für den Einsatz bei bestimmten Organtransplantationen und in verschiedenen Krebstherapien zugelassen. Üblich sind hier Dosen von 1,5-10 mg täglich. In diesem Konzentrationsbereich kann es zu schweren Nebenwirkungen kommen, da mTOR-Inhibitoren immunsuppressiv wirken – schwere virale, bakterielle und Pilz-Infekte können die Folge sein. Zudem kann Everolimus hämatotoxisch wirken und beispielsweise zu Anämie, Neutropenie und Thrombozytopenie führen.
Der Einsatz von mTOR-Inhibitoren als Immunsuppressivum einerseits und Verjüngungskur für das Immunsystems andererseits scheint paradox. Eine mögliche Erklärung liefert ein Blick auf den mTOR-Signalweg: Angriffspunkt von Rapamycin und anderen mTOR-Inhibitoren ist das mTOR-Protein (mechanistic target of rapamycin). Beim mTOR-Protein handelt es sich um eine Serin/Threonin-Kinase, die als zentrale Schaltstelle im zellulären Signalnetzwerk fungiert. mTOR integriert eine Vielzahl intra- und extrazellulärer Signale (Hormone, Wachstumsfaktoren und Aminosäuren sowie Stressbedingungen wie Hypoxie, DNA-Schäden, oxidativer und mechanischer Stress) und reguliert Proteinsynthese, Zellwachstum, Proliferation und Überleben der Zelle. Dank mTOR finden Wachstum und Zellteilung nur dann statt, wenn die Bedingungen dafür günstig sind. Bei einer Vielzahl von Krebsarten ist die mTOR-Expression jedoch pathologisch hoch. Ein mTOR-Inhibitor wie Rapamycin wirkt zytostatisch, indem er die unkontrollierte Teilung der Krebszellen bremst. Zudem hemmt Rapamycin Neoplasien und vermindert die Tumorangiogenese.
Durch die Regulation der Zellproliferation lässt sich auch der immunsupprimierende Effekt der mTOR-Inhibitoren erklären: Sie reduzieren beispielsweise Teilung und Vermehrung von T-Zellen. Bei einer Organtransplantation ist diese Wirkung erwünscht, und auch bei der Bekämpfung von Autoimmunerkrankungen könnte sich diese Eigenschaft in Zukunft als nützlich erweisen. Bei einer prophylaktischen Dauergabe an ältere Patienten könnte dieser Effekt allerdings Probleme verursachen. Der Einfluss von mTOR-Inhibitoren auf die T-Zell-Proliferation ist jedoch nur eine Wirkung – tatsächlich übt der mTOR-Signalweg eine Vielzahl von Effekten auf das angeborene und adaptive Immunsystem aus. Zudem sind Proliferation und (Immuno-)Seneszenz zwar augenscheinlich zwei antagonistische biologische Prinzipien, tatsächlich aber sind seneszente Zellen alles andere als im Tiefschlaf: Ein typisches Merkmal dieser Zellen ist Hypertrophie und eine hohe Proteinsynthese-Rate. Studien konnten zeigen, dass mTOR die Seneszenz von Zellen fördert. Eine Hemmung des mTOR-Signalweges resultiert folglich in einer verminderten Seneszenz – was den Ergebnissen der Novartis-Studie entspricht.
Der onkoprotektive Effekt könnte für die lebensverlängernde Wirkung von mTOR-Inhibitoren eine wichtige Rolle spielen – Krebs ist bei älteren Patienten nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache. Doch mTOR-Inhibitoren könnten auch noch auf eine andere Art wirken: Es ist schon lange bekannt, dass eine Kalorienrestriktion die Lebensdauer verlängert. Der mTOR-Signalweg spricht auf externe Faktoren wie Nährstoffe an, zudem ist er eng mit dem Insulin- und IGF-1-Signalweg verknüpft. Aus diesem Grund könnte eine Inhibition des mTOR-Signalwegs dieselben lebensverlängernden Effekte wie eine Kalorienrestriktion haben. Eine Dysregulation des mTOR-Signalwegs scheint zudem bei neurologischen Erkrankungen wie Autismus, Epilepsie, Morbus Alzheimer und Morbus Parkinson eine wichtige Rolle zu spielen. Ursache könnte die negative Regulation der Autophagie durch mTOR sein – ist die autophage Aktivität vermindert, kann dies beispielsweise eine pathologische Proteinaggregation zur Folge haben. Studien konnten belegen, dass Rapamycin in einem Alzheimer-Mausmodell kognitive Defizite aufhebt und die Beta-Amyloid-Last reduziert. Eine lebenslange Behandlung mit Rapamycin verbesserte bei Mäusen Lernen und Gedächtnis und hat zudem einen anxiolytischen und antidepressiven Effekt.
Dass Inhibitoren des mTOR-Signalwegs zumindest im Tierversuch lebensverlängernd wirken, scheint unbestritten. Der genaue Mechanismus ist jedoch weiterhin unklar, eine wichtige Rolle spielt aber der onkoprotektive Effekt der mTOR-Inhibitoren. Die Folgen und Nebenwirkungen einer Dauergabe beim gesunden Menschen sind jedoch noch nicht geklärt. Einen entscheidenden Einfluss auf die Nutzen/Risiko-Bewertung werden zudem die Inhibitor-Dosis, die Behandlungsdauer und die pharmakokinetischen/-dynamischen Eigenschaften des spezifischen Inhibitors haben. „Die Suche nach einem Weg, um das menschliche Altern hinauszuzögern, hat sich als lang und trügerisch erwiesen“, erklärt Dr. Matt Kaeberlein, Biogerontologe an der University of Washington in Seattle. „Stehen wir endlich kurz davor in der Lage zu sein, den Prozess des menschlichen Alterns fundamental zu verändern? Das wird nur die Zeit zeigen können, aber dem Takt und der Richtung der jüngsten Fortschritte nach zu urteilen, werden sich die nächsten paar Kapitel in der mTOR-Geschichte als überaus spannend erweisen.“