Die Sprache des Psychotikers zu verstehen, ist eine wichtige Fähigkeit, um die Verbindung zu ihm zu halten. In Zeiten der Psychopharmakotherapie kommt das Verstehen oft zu kurz. Einige Studien lieferten nun neue Erkenntnisse zur Sprache schizophrener Patienten.
„Die Schizophrenie ist die teuerste psychiatrische Erkrankung in Deutschland“, schreiben die Psychiater Wulf Rössler (Leuphana-Universität, Lüneburg) und Anastasia Theodoridou (Universitätsklinik Zürich) in ihrem Beitrag „Neue Versorgungsmodelle in der Psychosebehandlung“. Weiter heißt es: „Die indirekten Kosten (in Geldwert umgerechnete Folgen der Schizophrenie) werden bis zu 5-mal höher als die direkten Behandlungskosten geschätzt.“ In der Gesundheitsberichterstattung des Bundes aus dem Jahr 2010 gehen die Autoren davon aus, dass die jährlichen Kosten pro Psychosepatient etwa 14.000 bis 18.000 Euro betragen. Dies alles toppt eine schizophrene Patientin, von welcher der australische Psychoanalytiker Neville Symington berichtet: Diese sich selbst verletzende Patienten kostete das amerikanische Gesundheitssystem innerhalb von zwei Jahren eine Million Dollar – inklusive zahlreicher Psychose-bedingter Operationen. Doch die Wissenschaft sei immer noch weit davon entfernt, schizophrene Patienten auf tieferen Ebenen zu verstehen, so Symington. Der Psychoanalytiker, der die Psychosen wohl mit am besten verstanden habe, sei Harold F. Searles (geb. 1918). Bereits in den 50er Jahren erforschte er die Psychosen psychoanalytisch und konnte zeigen, wie sehr diese Patienten konkretistisch denken und sprechen. Metaphern und Symbole können Psychotiker oft nicht verstehen, sodass sie beim Wort „Blaumachen“ nicht ans „Schwänzen“ denken, sondern an das Einfärben mit blauer Farbe.
Schon Sigmund Freud schrieb Einiges über die Sprache der Psychotiker. Bei psychotischen Patienten tritt über die Sprache leicht das zutage, was bei gesunden Menschen oder bei Neurotikern als Unbewusstes versteckt bleibt. Sigmund Freud unterschied die Wortvorstellung von der Sachvorstellung. Beispiel: Das Wort „Loch“ lässt an eine Vertiefung denken. Das ist die Wortvorstellung. Die dazugehörigen Sachvorstellungen können jedoch von der Vagina über den Anus bis hin zur Berghöhle reichen. So lässt sich auch verstehen, warum man im Traum von scheinbar unzusammenhängenden Sachen träumen kann und im Grunde doch dasselbe meint. Freud sagte: „… die bewusste Vorstellung umfasst die Sachvorstellung plus der zugehörigen Wortvorstellung, die unbewusste ist die Sachvorstellung allein.“
Doch nicht nur die Art der Wortwahl ist interessant, sondern auch die Anzahl der benutzten Worte. Sarah K. Fineberg und ihre Kollegen von der Yale University in Connecticut, USA, untersuchten die Wörter aus den Erzählungen von 77 schizophrenen Patienten sowie 29 Patienten mit Depressionen und Angststörungen (Kontrollgruppe). Dabei stellte sich heraus, dass die schizophrenen Patienten im Vergleich zur Kontrollgruppe deutlich seltener das Wort „Ich“ benutzten. Sehr oft sprachen sie jedoch von „sie“ (3. Person Plural). Dies lasse auf eine große Unsicherheit in Bezug auf die eigene Person schließen, so die Autoren. Es könne auch ein Hinweis darauf sein, dass sich die jeweiligen Patienten des Öfteren für andere Menschen halten. Auch bezogen sich die Wörter der schizophrenen Patienten nur selten auf ihren Körper, auf die Wahrnehmung und auf die Nahrungsaufnahme. Sehr häufig hingegen wurden religiöse Begriffe verwendet. Der Bezug zur Umwelt scheint insgesamt stärker zu sein als der Bezug zur eigenen Person. Interessante Ergebnisse lieferte auch die Untersuchung auf erklärende Wörter wie z. B. auf das Wort „weil“. Am Anfang einer Psychose verwendeten die Patienten das Wort „weil“ sehr oft. Sie versuchten, sich ihre verstörenden Erlebnisse selbst zu erklären. Während des Vollbildes der Psychose jedoch benutzten sie das Wort „weil“ nur noch selten, weil der Wahn selbst ihr Erleben erklärte.
Große Schwierigkeiten haben die psychotischen Patienten dabei, doppeldeutige Wörter in den richtigen Kontext zu stellen. Dies zeigt die Dissertation von Daniella Ladowski (Queen's University, Kingston, Ontario, Kanada, 2014). Die Autorin untersuchte 21 Patienten mit einer Psychose in der Vorgeschichte sowie 24 Studienteilnehmer ohne bekannte Psychose. Den englischsprachigen Teilnehmern wurden doppeldeutige Wörter präsentiert, wie z. B. „pen“, was sowohl „Stift“ als auch „Stall“ bedeuten kann. Das Wort „pen“ wird weitaus häufiger im Sinne von „Stift“ als im Sinne von „Stall“ benutzt. Den Studienteilnehmern wurden jedoch Sätze präsentiert, die ihnen zeigten, in welchem Kontext das jeweilige Wort benutzt wurde. 20 Minuten später sollten die Teilnehmer die doppeldeutigen Wörter entsprechend ihrem Kontext zuordnen. Dabei zeigte sich, dass die Patienten mit einer Psychose in der Vorgeschichte an der Hauptbedeutung des Wortes „klebten“, auch wenn es in dem Kontext der Nebenbedeutung auftauchte. Der „pen“ blieb für sie der „Stift“, auch wenn das Wort 20 Minuten vorher im Sinne von „Stall“ verwendet worden war.
Es kann spannend sein, psychotische Menschen tiefer verstehen zu wollen. „Doch nicht alle Therapeuten wollen das“, sagt Symington in seinem Vortrag. Es sei ähnlich wie bei den Piloten: Einige wollten einfach lernen, ein Flugzeug zu bedienen, um fliegen zu können. Andere wollen genau wissen, warum es funktioniert. Beides sei in Ordnung, denn Fliegen könnten sie schließlich alle. Wahrscheinlich können aber sowohl die Patienten als auch Ärzte davon profitieren, wenn das Verständnis dafür wächst, was bei einer Psychose aus psychologischer Sicht passiert.