Als Pferdetierarzt muss man nicht nur Patient und Besitzer gerecht werden, sondern sich auch mit dem Stallbesitzer gut stellen. Das wird besonders schwierig, wenn er fröhlich Ferndiagnosen stellt.
Anruf einer Kundin: Drei Tage zuvor sei bei ihrem Pferd eine Lahmheit diagnostiziert und unter anderem mit Schmerzmittel behandelt worden.
„Frau Doktor, mein Schnuffi, dem geht's ja besser – aber er hat jetzt so Stellen ohne Haare, die sind rot und nässen, links und rechts am Popo. Die Stallbesitzerin, bei der Schnuffi steht, meint, das ist eine Schmerzmittelallergie.“
Was ich denke (sachlicher Teil): Er hat seine Beine entlastet und deshalb viel gelegen, wahrscheinlich in zu wenig Einstreu, die auch noch voll Urin war. Er hat sich wundgelegen.
Was ich denke (emotionaler Teil): Ja genau, Schmerzmittelallergie ist ja ganz typisch, die Wartezimmer sind voll von Menschen, die sich nicht hinsetzen, weil das verordnete Schmerzmittel genau zwei Hautflecken am Hintern abfallen lässt.
Sie sehen schon, Ironie ist mir nicht fremd. Was ich sage: „Das komme ich mir sofort ansehen, wir werden Schnuffi helfen!“
Ich bin im Stall, nach Reinigung und Versorgung der wunden Stellen wird gemistet und auf meinen Rat hin ordentlich eingestreut. Nun gibt es mehrere Möglichkeiten:
Beste Variante, weil einfach und friedlich.
Antwort, die ausweichend ausfällt: „Mit den Maßnahmen, die wir zusätzlich ergriffen haben, wird es Schnuffi bald wieder gut gehen, aber er braucht sein Schmerzmittel weiter, damit die Entzündung in den Beinen nicht wieder aufflammt.“
Manche sind an diesem Punkt zufrieden.
Möglichkeit drei (die Besitzer, die es genau wissen wollen):
Jetzt bleibt nichts übrig, man muss Stellung beziehen und dabei sachlich bleiben – ohne jemanden auf kleiner Flamme zu rösten.
Die Lösung liegt, meiner Erfahrung nach, in der geschickten Verschiebung der Priorität hin zum Pferd, weg von der Stallbesitzerin.
„Ich denke, Sie können ganz beruhigt sein. Nach eingehender Untersuchung komme ich zu dem Schluss, dass Schnuffi sich wundgelegen hat, das hat bei ihm nichts mit der Schmerzmittelgabe zu tun. Daher werden wir weiter so verfahren, wie besprochen und in engem Kontakt bleiben. Melden Sie sich sofort, wenn Ihnen etwas Sorgen macht und ich freue mich auch, wenn Sie mir von Fortschritten berichten.“
Auf diese Weise liegt der Fokus ganz auf dem Pferd der Kundin. Und die Stallbesitzerin, so abstrus ihre Diagnose auch war, wird nicht furchtbar beleidigt sein, schließlich hat sie das Tier nicht eingehend untersucht.
So lässt sich der Frieden ganz gut wahren, alle fühlen sich wertschätzend behandelt und man kann auch weiter in diesem Stall arbeiten.
Leider geht das aber nicht immer.
Neuer Fall: „Frau Doktor, meine Stute schmeißt sich in der Box immer wieder auf den Rücken. Ich habe Angst, das könnte Kolik sein aber der Stallbesitzer meint, die sei nur in Rosse.“
Für alle, die nicht aus der Pferdeecke kommen: Rosse wäre Brunst – und Missionarsstellung ist beim Pferd eher nicht so verbreitet. Eindeutige Koliksymptome!
Meine Antwort: „Ich komme sofort. Wenn sie es schaffen: Pferd raus aus der Box und herumführen, bis ich da bin. Passen Sie auf sich auf! Wenn's nicht geht, dann finden wir zusammen eine Lösung.“
Man kann einfach nicht auf die Rosse-Idee eingehen an dieser Stelle ... .
Meine Reaktion aber hat den Stallbesitzer bereits nicht gut dastehen lassen. Im Idealfall macht das nichts. Das Pferd erholt sich, die Besitzerin wird gelobt und ermutigt, immer anzurufen, wenn sie unsicher ist, ob ihr Pferd okay ist.
Dem Stallbesitzer kann das Gleiche angeboten werden. Man betont, wie wichtig es uns allen ist, dass es den Pferden gut geht. Alle sind wieder im Boot.
Auf diese Weise ist den Pferden am meisten geholfen. Pferde ziehen auch nicht so gerne mehrmals um – was bei Streit zwischen Pferde- und Stalleigentümer droht.
Ein Restrisiko von stinksauerem Stallbesitzer bleibt leider immer. Es ist schwer, als Tierarzt auf allen Hochzeiten zu tanzen und sich keine Feinde zu machen. Daher zum Schluss ein Vorschlag zu Entscheidungsfindung im Zweifelsfall – zumindest leistet er mir gute Dienste.
Als Tierarzt ist man der Anwalt des Tieres und wenn es nicht geht, sich eloquent durchzumanövrieren ohne jemanden vor den Kopf zu stoßen, dann gilt: Das Pferd und seine Versorgung sind oberste Priorität, dann kommt der Besitzer, dann der Rest der Welt.
Viel Erfolg beim Umsetzen!
Und denkt dran: Ihr seid nicht allein, liebe Kollegen.
Bildquelle: Jacob Jolibois, unsplash