In Impfstoffen hat die RNA-Technologie bereits Furore gemacht. Damit ist das Potenzial von RNA-basierten Wirkstoffen aber noch lange nicht ausgeschöpft – denn sie ermöglichen völlig neue Therapieansätze.
RNA kann in vielen Varianten im Körper vorkommen. Am bekanntesten sind die messenger RNAs (mRNAs). Sie tragen in ihrer Struktur einen Code, der als Bauplan für Proteine dient. So codieren zum Beispiel die mRNAs in den Corona-Impfstoffen für Proteine von SARS-CoV-2. Neben den mRNAs gibt es im Körper aber eine Vielzahl von RNAs, die nicht für Proteine codieren. Viele Jahre hielt man diese RNA für ein Abbauprodukt längerer RNA – also für genetischen Müll.
„Wir waren vor 15 Jahren eine der ersten Gruppen weltweit, die untersucht haben, ob die nichtcodierenden RNAs wirklich Müll sind. Dabei haben wir herausgefunden, dass diese RNA-Moleküle in den Zellen wichtige Steuerungsaufgaben übernehmen“, erklärt Prof. Thomas Thum, Institutsleiter für Molekulare und Translationale Therapiestrategien an der Medizinischen Hochschule Hannover und Co-Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Toxikologie und Experimentelle Medizin ITEM.
Prof. Thum hat eine RNA-Therapie gegen Herzinsuffizienz entwickelt und in einer klinischen Phase-Ib-Studie bereits erfolgreich an Patienten getestet. Weitere RNA-Therapien gegen Lungenfibrosen und andere Organfibrosen sind in der Entwicklung.
Zudem konnte er zeigen, dass nichtcodierende Mikro-RNAs an krankhaften Umbauprozessen im Herzgewebe beteiligt sind, so zum Beispiel die Mikro-RNA 21. Sie existiert besonders häufig in Herzen, deren Bindegewebe verhärtet ist. Durch diesen Befund ergab sich die Möglichkeit für einen neuen Therapieansatz. Eine Anti-Mikro-RNA wurde konstruiert, die im Schlüssel-Schloss-Prinzip an die Mikro-RNA 21 bindet und sie damit neutralisiert. Das war der Durchbruch. Das Forschungsteam konnte zeigen, dass man durch gezielte Hemmung einer nichtcodierenden Mikro-RNA die Verhärtung von Herzgewebe verhindern kann. Die Anti-Mikro-RNA 21 wird mittlerweile in einer klinischen Phase-II-Studie bei Patienten mit Nierenfibrose getestet.
Bei den Experimenten an Herzgewebe fiel den Wissenschaftlern noch eine weitere Mikro-RNA auf. Sie trägt die Nummer 132 und stimuliert pathologisches Herzwachstum, das schließlich zu einer Herzinsuffizienz führt. Und auch hier ließ sich durch Hemmung der Mikro-RNA ein positiver, heilender Effekt erzielen – zuerst in den Zellkulturschalen, später in weiteren präklinischen Versuchen. Damit erfüllte die Anti-Mikro-RNA 132 alle Voraussetzungen, um in der Klinik an Patienten mit Herzinsuffizienz getestet zu werden.
Allein in Deutschland leiden rund vier Millionen Menschen an Herzinsuffizienz. „In den letzten 20 Jahren wurden in der Behandlung wenige Fortschritte erzielt“, betont Thum. Nach Angaben der Herzstiftung sterben in Deutschland jährlich mehr als 40.000 Betroffene an der Krankheit.
Thum und sein Team untersuchten nun 28 Patienten mit Herzinsuffizienz in einer klinischen Studie. Die Ergebnisse sind vielversprechend. „Wir haben gezeigt, dass die Therapie mit Anti-Mikro-RNA 132 sicher ist und keine Nebenwirkungen an anderen Organen hervorruft“, berichtet Thum. „Außerdem konnten wir eine Verbesserung der Herzinsuffizienz-Marker beobachten.“ Noch in der ersten Jahreshälfte 2022 startet die Phase-II-Studie. Sie wird an 280 Patienten in mehreren europäischen Ländern durchgeführt.
Während die klinischen Studien laufen, arbeiten die Wissenschaftler intensiv an neuen RNA-Therapien. Im Fokus steht dabei unter anderem die Lungenfibrose. „Wir hoffen, dass sich diese bislang unheilbare Krankheit mithilfe der RNA-Therapie ursächlich behandeln lässt“ ergänzt Thum.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Fraunhofer-Gesellschaft. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Ali Hajiluyi, unsplash