Druckunterschiede im Körper spielen eine wichtige Rolle bei der Ausbreitung von Krebszellen. Was das für die Metastasierung von Primärtumoren bedeutet, lest ihr hier.
Biologische Prozesse, wie die Wundheilung aber auch das Eindringen von Krebszellen in noch unbefallenes Gewebe, beruhen auf der kollektiven und koordinierten Bewegung von lebenden Zellen.
Ein wenig verstandener Aspekt, der diese Prozesse beeinflusst, ist der Druckunterschied innerhalb und zwischen verschiedenen Teilen des Körpers. Forscher der Universität Göttingen und der Universität Münster haben Modell-Tumorsysteme entwickelt, bei denen Gebärmutterhalskrebszellen in eine Kollagenmatrix eingebracht wurden. Die Ergebnisse ihrer Arbeit wurde in der Fachzeitschrift Advanced Science veröffentlicht.
Das Team entwarf sein Modellsystem mit Klumpen von Gebärmutterhalskrebszellen in einfachen biomimetischen Geweben. Normalerweise üben einzelne Zellen Kräfte auf ihre Umgebung aus, um sich zu bewegen. Die kollektive Bewegung wird von Zelle zu Zelle koordiniert, weil diese zusammenkleben und verklumpen. Das neue Modell ermöglicht es den Forschern jedoch, andere Mechanismen zu messen, welche die Zellbewegung antreiben – wie etwa Druckunterschiede zwischen verschiedenen Regionen im Körper.
Mit Hilfe bildgebender Verfahren konnten sie die Verformung des Tumors bis auf die Ebene einzelner Zellen verfolgen. Sie entdeckten, dass die weiche Matrix eine Zellschwellung auslöst, welche zu einem erhöhten Druck im Tumor führt. Dieser Druckt treibt die beobachtete, koordinierte Bewegung der Zellen an, wobei diese unabhängig von der Zell-zu-Zell-Verbindung entsteht.
Acht Stunden nachdem die Klumpen von Gebärmutterhalskrebszellen in die Kollagenmatrix eingebettet wurden, brachen sie in einem plötzlichen, schnellen Strom von Krebszellen aus. Überraschend ist, dass die Zellen hier einen flüssigkeitsähnlichen Schubmechanismus nutzen, wodurch sie sehr schnell sind und sich ganz plötzlich ausbreiten – als würde Wasser aus einem Schlauch spritzen, wenn man mit dem Daumen darüberfährt. Der schnelle Ausbruch tötete zwar etwa 80 Prozent der Zellen ab, überraschenderweise gelang es den verbleibenden Zellen jedoch, sich in den folgenden vier Tagen in der gleichen Umgebung einzubetten und zu vermehren.
„Diese Erkenntnis ist wichtig, denn wenn dies im Körper eines Menschen geschieht, kann es sich als äußerst gefährlich erweisen. Die derzeitigen Krebsbehandlungen könnten dann nicht ausreichend wirken“, erklärt Prof. Dr. Timo Betz, Institut für Biophysik der Universität Göttingen.
Tumormodelle, die in ein steiferes Kollagen eingebettet waren, verhielten sich anders. Selbst nach sieben Tagen gab es keine Ausbrüche, was zeigt, dass der Druckunterschied im Gewebe der entscheidende Faktor für den Effekt ist. Die Forscher konnten das „Aufplatzen der Tumoren“ in steiferem Kollagen nur auslösen, wenn sie Schwachstellen in bestimmten Bereichen einbauten.
Bei dem neu beobachteten Phänomen erhöhte das gruppenweise Anschwellen der Zellen den Eigendruck, der die Krebszellen in weniger widerstandsfähige Bereiche der Matrix vordrängte. „Solche druckbedingten Effekte können Primärtumoren im Körper einen außergewöhnlichen Vorteil verschaffen: Sie können die erste Membranbarriere durchbrechen und haben so die Möglichkeit, sich in andere Teile des Körpers auszubreiten oder zu metastasieren“, sagt Betz.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Georg-August-Universität Göttingen. Die Originalpublikation findet ihr hier.
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