Es gibt nur noch zwei nördliche Breitmaulnashörner auf der Welt. Um das Aussterben der Dickhäuter zu verhindern, will ein internationales Team jetzt Eizellen der Tiere aus Stammzellen erschaffen.
Fatu und Najin sind die beiden letzten nördlichen Breitmaulnashörner auf der Welt, eine natürliche Fortpflanzung ist damit unmöglich und ein Aussterben quasi nicht mehr zu verhindern. Doch das internationale BioRescue-Konsortium arbeitet daran, dass die Unterart des Breitmaulnashorns nicht gänzlich von der Erdoberfläche verschwindet.
Die Forscher verfolgen dabei zwei Strategien: Sie entwickeln zum einen fortgeschrittene Methoden der assistierten Reproduktion. Zum anderen wollen sie im Labor aus Hautzellen des nördlichen Breitmaulnashorns induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) und schließlich Eizellen erzeugen.
Dabei ist das Team des Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) gemeinsam mit internationalen Partnern nun einen großen Schritt vorangekommen. Im Fachjournal Scientific Reports beschreiben sie, dass sie pluripotente Nashornstammzellen gewonnen und untersucht haben. „Unsere nun veröffentlichte Arbeit trägt zum Verständnis der Pluripotenz bei“, sagt Erstautorin Dr. Vera Zywitza von der Technologieplattform „Pluripotente Stammzellen“ unter Leitung von Dr. Sebastian Diecke am MDC. „Damit markiert sie einen bedeutenden Meilenstein auf dem Weg zur künstlich erzeugten Nashorn-Eizelle.“
iPS-Zellen können in der Kulturschale alle Zellen des Körpers hervorbringen. Bei dem Vorhaben, daraus Keimzellen zu machen, arbeiten die Forscher eng mit dem Labor des japanischen Stammzellforschers Prof. Katsuhiko Hayashi von der Kyushu-Universität zusammen. Hayashi ist es 2016 gelungen, aus der Haut von Mäusen Eizellen zu generieren, diese künstlich zu befruchten und weiblichen Mäusen einzupflanzen. Die mit dieser Methode gezeugten Mäuse waren gesund und fruchtbar.
Die Herstellung der iPS-Zellen gelang Stammzellforscher Prof. Micha Drukker und seinem Team mit der Methode der episomalen Reprogrammierung. Dafür hat der Forscher fremde Plasmide in die Hautzellen eingeschleust. Sie enthalten Gene, die die Hautzellen zu iPS-Zellen reprogrammieren. Die so erzeugten Nashornstammzellen sind humanen iPS-Zellen erstaunlich ähnlich. „Unter dem Mikroskop sind sie kaum von menschlichen iPS-Zellen zu unterscheiden,“ sagt Drukker. „Außerdem reagieren sie sehr ähnlich auf äußere Einflüsse.“
Es gibt verschiedene Zustände von iPS-Zellen. Sie können naiv – in einem sehr ursprünglichen Zustand – oder geprimed vorliegen. Von letzterem nimmt man an, dass er in der Embryonalentwicklung etwas weiter vorangeschritten ist. Aus Versuchen mit Stammzellen von Mäusen ist bekannt, dass sie Keimbahnzellen besonders gut beim Übergang von geprimed zu naiv hervorbringen. Beim Versuch, die Nashornzellen in den naiven Zustand zu versetzen, starben diese jedoch zunächst ab. Deshalb führten die Forscher ein Gen in die Nashornzellen ein, das den Zelltod verhindert. Mit Erfolg: Sie erhielten naive iPS-Zellen.
„Wir haben die Zellen ausführlich unter anderem durch Analyse von Transkriptomdaten charakterisiert“, erklärt Zywitza. „Die erfolgreiche Konvertierung in den naïven Zustand der Pluripotenz ist ein vielversprechender Ausgangspunkt, um Keimbahnzellen zu generieren.“
Dennoch machten Zywitza und ihre Kollegen an dieser Stelle vorerst nicht weiter. „Die iPS-Zellen enthalten dauerhaft fremdes genetisches Material, nämlich die Reprogrammierungsfaktoren und das Gen gegen den Zelltod. Daraus können wir keine Keimzellen machen, da das Risiko besteht, dass diese krankhaft verändert wären“, erklärt Zywitza. Trotzdem sind diese Zellen ein sehr gutes Werkzeug, um die Stammzellen des Nashorns an sich zu erforschen und ihre verschiedenen Zustände besser zu verstehen.
Mit ihrer Hilfe können Wissenschaftler die molekularen Mechanismen erforschen, die in Stammzellen ablaufen. „Wir können zum Beispiel untersuchen, warum die Tragzeit beim Nashorn 16 Monate beträgt und bei der Maus nur 21 Tage“, erläutert die Wissenschaftlerin. „Oder wie sich die Organe in den unterschiedlichen Spezies entwickeln. Wir können damit wirklich viel über die Evolution lernen.“
Mittlerweile hat die Arbeitsgruppe von Diecke weitere iPS-Zellen erzeugt. Dabei haben die Wissenschaftler die Reprogrammierungsfaktoren nicht mithilfe von Plasmiden eingeschleust, sondern mithilfe von RNA-Viren. Diese neuen iPS-Zellen enthalten nichts mehr, was nicht hineingehört. Nun versuchen die Wissenschaftler, daraus Vorläuferzellen von Eizellen herzustellen.
Und nicht nur das: Vorläuferzellen reifen nur zu Eizellen heran, wenn sie von Eierstockgewebe umgeben sind. Es ist nahezu unmöglich, dieses Material aus lebenden oder verstorbenen Nashörnern zu erhalten. „Wir müssen also sowohl Vorläuferzellen kreieren als auch Eierstockgewebe“, fasst Zywitza zusammen. Auch dabei stehen die Berliner Wissenschaftler mit Hayashi in engem Austausch. Er hat im vergangenen Jahr erfolgreich Eierstockgewebe aus Stammzellen von Mäusen kultiviert.
Derweil gibt es ebenfalls Fortschritte in der assistierten Reproduktion: Zuletzt hatten Wissenschaftler des Leibniz-IZW in Zusammenarbeit mit dem Kenya Wildlife Service, dem Wildlife Research and Training Institute, dem Safari Park Dvůr Králové und der Ol Pejeta Conservany im Januar 2022 Eizellen von Fatu entnommen. Im Avantea-Labor in Italien wurden sie zur Reifung gebracht und mit dem aufgetauten Sperma eines bereits verstorbenen Bullen befruchtet. Insgesamt 14 Embryonen des nördlichen Breitmaulnashorns gibt es jetzt. Sie schlummern bei -196 °C in flüssigem Stickstoff. In naher Zukunft werden sie Leihmüttern des südlichen Breitmaulnashorns eingepflanzt werden, in der Hoffnung, dass ein gesundes Kalb auf die Welt kommt.
14 Embryonen – das ist ein großer Erfolg der Reproduktionsbiologie. Es ist jedoch nicht viel, wenn daraus eine sich selbsterhaltende Anzahl von Tieren werden soll. „Najin und Fatu sind zudem eng miteinander verwandt und ihre Erbanlagen teilweise identisch“, sagt Projektleiter Prof. Thomas Hildebrandt. „Von Najin konnten wir aufgrund ihres Alters und Beeinträchtigungen im Reproduktionstrakt keine Eizellen gewinnen, aus denen erfolgreich Embryonen erzeugt werden konnten – alle 14 Embryonen stammen von Fatu. Wir brauchen daher dringend eine komplementäre Strategie, um von deutlich mehr Individuen Gameten – also Eizellen und Spermien – zu erzeugen.“
„Funktionsfähige Eizellen des nördlichen Breitmaulnashorns – das wäre die Krönung unserer Forschungsarbeit“, sagt Diecke. Sie könnte Vorbildcharakter für andere bedrohte Tierarten haben. Gelingt die Fortpflanzung aus Stammzellen, könnten auf diese Weise weitaus mehr bedrohte oder vom Menschen bereits ausgerottete Arten wiederbelebt werden. Im „Frozen Zoo“ am Beckman Center for Conservation Research in San Diego und in der Biobank des Instituts für Wildtierforschung in Berlin lagern über 10.000 tiefgefrorene Zellkulturen von mehr als 1.000 bedrohten Arten. „Diese Ressource könnte man verwenden“, sagt Diecke. Das nördliche Breitmaulnashorn wäre dann nur der Anfang. „Auch wenn es mir am besten gefallen würde, wenn unser Ansatz nie verwendet werden müsste und mehr für die Arterhaltung getan wird, bevor es zu spät ist.“
Dieser Beitrag basiert auf einer Pressemitteilung des Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) und dem Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung. Die Originalpublikation findet ihr hier.
Bildquelle: Andrew Liu, unsplash