Die Haarzell-Leukämie gehört zu den seltenen Erkrankungen. Neue Medikamente zeigen jetzt vielversprechende Ergebnisse. Ein Überblick.
Die Haarzell-Leukämie (HZL) ist eine maligne Erkrankung der B Lymphozyten und gehört zu den indolenten Lymphomen. Die Haarzell-Leukämie manifestiert sich in erster Linie im Knochenmark, der Milz und im Blut. Selten sind die Lymphknoten, Leber oder Haut befallen. Jetzt wurde ein Orphan-Drug zugelassen, das die Überlebenschancen deutlich erhöht: Moxetumomab Pasudotox.
Die Haarzell-Leukämie ist selten mit einer Inzidenz von etwa 0,3–0,4/100.000 Personen. Sie macht etwa 2 % der lymphatischen Leukämien aus. Das mittlere Erkrankungsalter liegt zwischen 50 und 55 Jahren.
Bei Männern tritt die Erkrankung vier- bis fünfmal häufiger auf als bei Frauen. Die Altersspanne ist sehr breit. Kinder sind nicht betroffen, Jugendliche sehr selten. Im letzten Jahrzehnt zeigt sich ein Trend in Richtung eines etwas früheren Erkrankungsalters. Dies ist vermutlich eine Folge der stärkeren Inanspruchnahme allgemeiner Screening-Maßnahmen durch jüngere Menschen, mit Durchführung eines Blutbildes. Dadurch werden Zytopenien früher diagnostiziert.
In den letzten Jahren wurden viele neue Medikamente für die HCL-Behandlung mit vielversprechenden Ergebnissen bewertet.
Zu den untersuchten Nicht-Chemotherapie-Optionen gehören, neben dem jetzt zugelassenen Moxetumomab Pasudotox, weitere Pharmaka. Vemurafenib oder Dabrafenib, die auf das BRAFV600E-Protein abzielen; Trametinib, das auf das mitogenaktivierte Proteinkinase-Enzym gerichtet ist; und Ibrutinib. Als therapeutische Meilensteine gelten Interferon und die Purinanaloga Pentostatin und Cladribin.
Charakteristisch für die Haarzell-Leukämie sind Zytopenie und Splenomegalie. Die Zytopenie ist bedingt durch eine progrediente Insuffizienz des Knochenmarks, verursacht durch die Kombination aus leukämischer Infiltration, Hämatopoese-supprimierenden Zytokinen, einer Retikulinfaservermehrung und durch die Folgen der Splenomegalie. Das individuelle Muster der Zytopenie ist individuell unterschiedlich, verändert sich aber bei der Mehrzahl der Patienten im Verlauf der Erkrankung nicht.
Die typischen Krankheitssymptome sind Fatigue, Infektionen, Anämie und Thrombozytopenie. Bei ca. 70 % der Haarzell-Leukämien ist eine Panzytopenie das Leitsymptom. Druckgefühl im linken Oberbauch kann Symptom der Splenomegalie sein. Die HZL-Morphologie ist bedeutsam für kleine reife lymphoide Zellen mit „haarigen“ Zytoplasmavorsprüngen. Der Immunphänotyp ist durch klonale B-Zellen gekennzeichnet.
Sobald die Diagnose gesichert ist, stellt sich zunächst die Frage, wann mit der Behandlung begonnen werden soll. Bei asymptomatischen Patienten ohne Anomalien in ihren Zellzahlen wird ein Watch-and-Wait-Ansatz verwendet. Eine Frontline-Behandlung mit Purinanaloga wie Pentostatin und Cladribin führt zu hohen Raten an vollständiger Remission. Etwa 50 % der Patienten erleiden jedoch innerhalb von 16 Jahren einen Rückfall. Die Remissionsrate mit Zweitlinien-Purinanaloga sinkt auf bis zu 44 %, während die Rückfallrate auf 64 % steigt. Daher sind neuere alternative Therapien eine wichtige Behandlungsoption, um das Rückfallrisiko zu senken.
Zielgerichtete monoklonale Antikörper wie Rituximab werden bei HCL ebenfalls angewendet. Nach einer Nachbeobachtungszeit von 32 Monaten kam es bei 42 % der ansprechenden Patienten zu einer Krankheitsprogression. Kürzlich wurde das Anti-CD22-Antikörper-Wirkstoff-Konjugat (ADC) Moxetumomab Pasudotox (MP) von der US-amerikanischen FDA für die Behandlung von rezidivierten oder refraktären HCL-Patienten zugelassen. Diese müssen mindestens zwei vorherige systemische Therapien erhalten haben und mit einem Purin-Analogon behandelt worden sein.
Obwohl MP bei anderen bösartigen B-Zell-Erkrankungen nicht wirksam war, war es aufgrund der hohen CD22-Expression besonders erfolgreich bei HCL.
Dieses sogenannte Antikörper-Wirkstoff-Konjugat kann als Kombination aus biopharmazeutischem Wirkstoff (Biologikum) und daran gekoppelten Giftstoff, gezielt Krebszellen erkennen und abtöten.
Das am National Cancer Institute entdeckte Produkt ist eine optimierte Version des Immuntoxins CAT-3888. Moxetumomab pasudotox besteht aus dem Fv-Fragment eines monoklonalen Anti-CD22-Antikörpers, fusioniert an ein 38-kDa-Fragment von Pseudomonas-Exotoxin A, PE38. Der Weg, den PE-basierte Immuntoxine nutzen, um in Zellen einzudringen und sie abzutöten, ist komplex und unvollständig verstanden. Das Immunotoxin muss dann einer Verarbeitung und einem Transport unterzogen werden, um das Zytosol zu erreichen. Im Endosom wird das Immuntoxin von der Protease Furin prozessiert, um das Antikörperfragment vom Toxin zu trennen.
Das Orphan-Drug wurde mit „Breakthrough-Therapy“- und „Prioritiy-Review“-Status zugelassen.
Steckbrief Moxetumomab Pasudotox
Name der Erkrankung
Haarzell-Leukämie
Weitere Namen
HZL
Häufigkeit
0,3-0,4/100.000
Gestörte Funktion
Allgemeine Schwäche und Müdigkeit (Fatigue)
Vermehrte Infektionen bei Neutropenie
Blässe und verringerte Belastbarkeit bei Anämie
Blutungsneigung bei Thrombozytopenie
Genlokalisation
–
Orphan drugs
Moxetumomab Pasudotox (Lumoxiti ®)
Wirkung
Rekombinantes Immuntoxin
Immunotoxine sind eine Klasse zielgerichteter Krebstherapeutika, bei denen ein Toxin wie Pseudomonas Exotoxin A (PE) mit einem Antikörper oder Zytokin verbunden ist, um das Toxin zu einem Ziel auf Krebszellen zu lenken. Während eine Vielzahl von Immunotoxinen auf PE-Basis entwickelt wurde und einige wenige vielversprechende klinische und präklinische Ergebnisse zeigten, haben oder entwickeln Krebszellen häufig eine Resistenz gegen diese Immuntoxine.
MP wurde ursprünglich zur Behandlung von Non-Hodgkin-Lymphomen und akuter lymphoblastischer Leukämie entwickelt. MP erwies sich jedoch aufgrund der hohen CD22-Zelloberflächenexpression als besonders wirksam bei HZL. Außerdem scheint MP weniger immunsuppressiv zu sein als Purinanaloga. MP wird im Allgemeinen gut vertragen, besitzt dennoch eine gewisse Toxizität. Es kann zum Kapillarlecksyndrom und hämolytisch-urämischen Syndromen kommen.
Die Zulassung basierte auf der Studie 1053 (NCT01829711) bei Patienten mit histologisch bestätigter HCL, die eine Behandlung aufgrund von Zytopenien oder Splenomegalie erforderten und vorbehandelt waren. Insgesamt wurden 80 Patienten aufgenommen; 77 mit klassischer HCL und 3 mit HCL-Variante. Die Patienten erhielten Moxetumomab Pasudotox als intravenöse Infusion über mehrere Zyklen. Die häufigsten Nebenwirkungen waren infusionsbedingte Reaktionen, Ödeme, Übelkeit, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Fieber, Verstopfung, Anämie und Durchfall. Außerdem kam es zu Hypertonie, febriler Neutropenie und zum hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS). Nebenwirkungen, die zu einem dauerhaften Absetzen von Moxetumomab Pasudotox führten, traten bei 15 % der Patienten auf. Die häufigste Nebenwirkung, die zu Dosisverzögerungen, Auslassungen oder Unterbrechungen führte, war Fieber (3,8 %).
Eine zulassungsrelevante Studie von Kreitmann et al. ist die größte prospektive Studie in der Drittlinientherapie bei rezidiviertem/refraktärem HCL. Sie ist auch die erste Studie, die dauerhaftes vollständiges Ansprechen als primären Endpunkt verwendet. Die Patienten wurden stark vorbehandelt; 50 % erhielten zuvor drei oder mehr Therapien mit Purin-Nukleosid-Analoga und 75 % erhielten zuvor Rituximab. Die verblindete Rate des vollständigen Ansprechens von 41 % ist eine wesentliche Verbesserung gegenüber vorherigen Therapien. Die Überlebensrat von Patienten mit HCL beträgt nach 5 Jahren Nachbeobachtung mindestens 85 %.
Bildquelle: Dan Meyers, Unsplash