Männliche Vertreter des Seeregenpfeifers leben länger als die Weibchen dieser Vogelart. Forscher glauben nun, den Grund hierfür gefunden zu haben – im Gehirn der Tiere.
Dass es bei Männern und Frauen in vielen Bereichen der Biologie und Medizin Unterschiede gibt, ist jedem bekannt. Und doch sind die genauen Mechanismen, gerade in der Medizin, noch an vielen Stellen in großen Teilen unerforscht. Beispiele für diesen Unterschied finden sich auch bei neurogenerativen Erkrankungen wie dem Parkinson-Syndrom oder der Alzheimer-Krankheit. Bei ersterem kommt es beim Mann zu ausgeprägteren kognitiven Einschränkungen sowie Sprachverlusten, während bei letzterer eine schnellere neuronale Degeneration bei Frauen beobachtet wurde. Die Gründe hierfür sind noch nicht hinreichend erforscht.
Ein Team internationaler Wissenschaftler unter der Leitung von Araxi O. Urrutia von der University of Bath in Großbritannien untersuchte nun die Geschlechtsunterschiede in einem ganz speziellen Feld: der Genexpression des Immunsystems im Gehirn. Hierfür zogen die Forscher den Seeregenpfeifer (Charadrius alexandrinus) als Modellorganismus heran, eine Vogelart, die an Küsten und Seen auf der ganzen Welt verbreitet ist.
Die Forscher untersuchten zwei Populationen, die in Küsten- bzw. hochgelegenen Binnenlandgebieten Chinas leben. Während sie keine signifikanten Unterschiede zwischen den Populationen aus den beiden sehr unterschiedlichen Lebensräumen feststellten, fanden sie aber Hinweise auf einen Unterschied zwischen dem Immunsystem von männlichen und weiblichen Vögeln.
Beim Menschen haben Männer ein X- und ein Y-Chromosom, Frauen verfügen über zwei Kopien des X-Chromosoms – wobei nur eines dieser beiden X-Chromosomen aktiviert ist, d. h. Männer und Frauen haben nur ein aktives X-Chromosom. Im Gegensatz dazu haben bei Vögeln die Männchen zwei Kopien des Geschlechtschromosoms Z, während die Weibchen zwei verschiedene Chromosomen haben, Z und W. Bei den Männchen sind jedoch beide Kopien des Z-Chromosoms aktiv.
Frühere Studien bei Seeregenpfeifern zeigten, dass Männchen in der Regel in freier Wildbahn länger überleben als Weibchen. „In früheren Untersuchungen bei Seeregenpfeifern wurde versucht, Parasitenbelastung und geschlechtsspezifische Infektionen miteinander zu verknüpfen. Beide Geschlechter zeigten aber vergleichbare Infektionsraten mit Blutparasiten und pathogenen Bakterien“, schreiben die Studienautoren zur Ausgangslage ihrer Untersuchungen. Dr. José Valdebenito, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Milner Centre for Evolution an der University of Bath, erklärt: „Während beim Menschen Frauen tendenziell länger leben als Männer, ist bei Vögeln das Gegenteil der Fall und wir wollten endlich herausfinden, warum.“
Auch erklärt er, warum das ganze problematisch für die kleinen Vögel ist: „Bei Regenpfeifern führt die höhere Sterblichkeit der Weibchen zu einem Ungleichgewicht im Geschlechterverhältnis, was sich auf das Paarungs- und Brutverhalten dieser Art auswirkt.“
Und tatsächlich: Viele der Gene, die mit Funktionen des Immunsystems in Verbindung stehen, befinden sich auf dem Z-Chromosom. Die Forscher vermuten, dass durch die zwei aktiven Kopien dieser Gene die Aktivität des männlichen Immunsystems erhöht sein könnte, was zu einer geringeren Sterblichkeit im Vergleich zu den Weibchen führt.
Der Schutz und die Aufrechterhaltung von Neuronen, und damit einer physiologischen Funktion des Gehirns, umfasst komplexe Prozesse, die von den Mikroglia geleitet werden. Diese dem Gehirn eigenen Immunzellen interagieren auch mit Metaboliten – wie Hormonen oder andere Immunkomponenten. Trotz des zunehmenden Interesses an geschlechtsspezifischen Hirnfunktionen bei Labortieren ist die Bedeutung der geschlechtsspezifischen Immunaktivierung im Gehirn von Wildtieren noch weitgehend unbekannt.
Bei ihren Analysen konnten die Forscher 379 Gene identifizieren, die mit Immunfunktionen assoziiert zu sein scheinen. Und sie fanden eine signifikante Hochregulierung von Immungenen bei männlichen Tieren. 11 Gene zeigten signifikante Unterschiede im Expressionsmuster, 10 hiervon waren beim Männchen hochreguliert. Diese 10 Immungene waren an der Aktivierung verschiedener Komponenten des Immunsystems beteiligt.
Sie schreiben: „Die Ergebnisse decken sich mit unseren Erwartungen auf der Grundlage demografischer Studien (Verzerrungen bei der Sterblichkeit und dem Geschlechterverhältnis). Es sind weitere Studien erforderlich, um zu untersuchen, ob unsere Funde im Gehirn der Vögel tatsächlich zur höheren Sterblichkeit bei den Weibchen führen. Bei bestimmten Infektionen wie z.B. mit Chandlerella quiscali, einer Nematode bei der die Filarien bei Wildvögeln häufig in das Hirngewebe eindringt, könnte die unterschiedliche Expression von Immunitätsgenen zwischen Männchen und Weibchen einen geschlechtsspezifischen Vorteil bei der Abwehr bedingen.“ Auch könnten die weiblichen Tiere häufiger an neurodegenerativen Erkrankungen versterben, spekulieren die Autoren. Was genau ihre Ergebnisse aber für den Seeregenpfeifer bedeuten, ist noch unklar. „Leider steckt die Forschung zu geschlechtsspezifischen neurodegenerativen Erkrankungen bei Wildvögeln noch in den Kinderschuhen.“
José Valdebenito erklärt: „Derzeit arbeiten wir an einem Projekt, das die Beziehung zwischen geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Immunität und Variationen im Paarungssystem verschiedener Küstenvogelarten untersucht. Das wird uns hoffentlich helfen, unser Verständnis für die Ursachen der geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Sterblichkeit bei Vögeln zu erweitern.“ Dr. Araxi Urrutia, Senior Lecturer am Milner Centre for Evolution und Hauptautorin der Studie, erklärt: „Aus demografischen Daten wissen wir, dass bei einigen Küstenvögeln die Männchen länger leben als die Weibchen, während bei anderen Küstenvögeln die Männchen länger leben als die Weibchen. Meine Gruppe ist bestrebt, die genomischen Ursachen für die unterschiedliche Sterblichkeit der Geschlechter zu verstehen – diese Arbeit ist nicht nur für die Grundlagenforschung wichtig, sondern auch für die Erhaltung der biologischen Vielfalt, da diese Daten zum Schutz dieser Arten in ihren natürlichen Lebensräumen beitragen werden.“
Zur Originalpublikation kommt ihr hier.
Bildquelle: Jacques LE HENAFF, unsplash