Bislang ist die seltene Duchenne-Muskeldystrophie nicht heilbar. Mit neuen Gentherapien lassen sich zumindest die Symptome besser in den Griff kriegen.
Muskeldystrophien sind seltene genetische Erkrankungen mit mehr als 50 Unterarten. Die Erkrankungen sind durch Schwierigkeiten beim Gehen, Muskeldegeneration und Muskelschwäche gekennzeichnet. Drei Viertel der Patienten versterben bis zum 20. Lebensjahr an pulmonalen oder kardialen Problemen.
Die Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) ist eine heterogene, X-chromosomal vererbte Erkrankung, die vorwiegend bei Jungen beobachtet wird. Frauen fungieren meist als nicht symptomatische Träger. Sie ist die häufigste und schwerste der Muskeldystrophien. Der französische Neurologe Guillaume Benjamin Amand Duchenne de Boulogne hat die Erkrankung erstmals im Jahr 1861 beschrieben.
Diese fortschreitende Muskelerkrankung ist bis heute nicht heilbar. Die Inzidenz von DMD tritt in einem Verhältnis von 1 zu 3.000 bis 5.500 männlichen Geburten auf und wird durch die Mutation im Dystrophin-Gen ausgelöst: Dadurch wird weniger des Dystrophin-Proteins gebildet, wodurch die Muskelfasern brüchig und verletzungsanfällig werden.
Ohne Dystrophin zur Stabilisierung der Membran und zur Verbindung der kontraktilen Filamente mit der Basallamina können Muskelkontraktionen Mikroläsionen in der Membran hervorrufen. Diese beeinträchtigen die Calcium-Homöostase und führen zu einer abweichenden Produktion reaktiver Sauerstoffspezies (ROS) und Entzündungen.
Eine verstärkte ROS-Erzeugung, die zu einer Lipidperoxidation führt, ist vermutlich der Mechanismus der Muskeldegeneration bei Muskeldystrophien. Obwohl oxidativer Stress nicht die ursprüngliche Ursache der Krankheit ist, korreliert er mit der Schwere der dystrophischen Pathologie und ist ein übliches therapeutisches Ziel für Muskeldystrophien.
Es ist allgemein bekannt, dass freies Eisen die Bildung von ROS fördert. Sowohl Fe2+ als auch Fe3+ durchlaufen Redoxreaktionen, die zur Bildung von Hydroxylradikalen führen können, die in biologischen Systemen gefährlich sind, da sie eine Reihe von Biomolekülen anlagern können. Derzeit werden der Einsatz von Eisenchelatbildnern und ökotrophologische Ansätze untersucht.
Gegenwärtig ist keine Heilung für DMD verfügbar, und die meisten bestehenden Behandlungsstandards zielen darauf ab, das Fortschreiten der Krankheit durch Kortikosteroidbehandlung zu verzögern, gefolgt von Beatmung und kardialer Unterstützung im Endstadium.
Die aktuellen nicht medikamentösen Behandlungsstrategien für DMD umfassen unterstützende Therapien wie familienzentrierte Pflege, soziale Dienste, ausgewogene Ernährung, Teilnahme an körperlichen und Freizeitaktivitäten, und psychosoziale Unterstützung, um das Auftreten sekundärer Komplikationen zu verzögern.
Immer mehr Hinweise deuten darauf hin, dass Patienten mit Duchenne-Muskeldystrophie ein erhöhtes Risiko für Fettleibigkeit und metabolisches Syndrom haben. Eine bei DMD eingesetzte Steroidtherapie mit Prednison u.a. verlangsamt das Fortschreiten der Muskeldegeneration. Die Steroidtherapie verursacht allerdings Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme, Osteoporose, Verhaltensprobleme, Kleinwuchs und Reflux. Dies könnte zumindest teilweise erklären, warum Patienten im frühen Stadium der DMD eine übermäßige Gewichtszunahme oder zentrale Adipositas haben. Weber et al. berichteten, dass Glukokortikoid-induzierte Adipositas bei Patienten mit DMD zum Metabolischen Syndrom führen kann.
Dystrophinveränderungen im Gehirn wurden auch mit einem erhöhten Epilepsierisiko bei Duchenne-Muskeldystrophien in Verbindung gebracht.
In den letzten Jahren wurde die Eignung von Gen- und Antisense-Therapien zur Behandlung von DMD in einer Vielzahl von Ansätzen untersucht, vier Arzneimittelkandidaten haben teilweise die FDA-Zulassung erhalten und sind nun auf dem Markt erhältlich, um bestimmte Untergruppen von DMD-Patienten zu behandeln.
Das Exon-Skipping mit Antisense-Molekülen ist ein neuartiger Therapieansatz. Die Antisense-Moleküle bestehen aus kleinen RNA-Abschnitten, die sich an die Boten-RNA anheften und deren weitere Replikation verhindern. Dies führt zwar zum Ausfall eines genetischen Exons. Da das Dystrophin-Gen aber aus 79 Exonen besteht, ist der Schaden geringer, als bei der Bildung eines unsinnigen Proteins.
Eteplirsen ist ein synthetisches Antisense-Oligonukleotid. Es bindet an Exon 51 der Dystrophin-Prä-mRNA, was zum Ausschluss dieses Exons während der mRNA-Verarbeitung bei Patienten mit genetischen Mutationen führt, die für Exon-51-Skipping geeignet sind.
Durch das Überspringen von Exon 51 produziert der Körper ein intern verkürztes Dystrophin-Protein. Dystrophin verbindet sich mit anderen Proteinen, um den Dystrophin-assoziierten Glykoproteinkomplex zu bilden. Das Fehlen von Dystrophin und die anschließende Destabilisierung des Dystrophin-assoziierten Glykoproteinkomplexes führt zu Muskelzellen, die anfällig für dehnungsinduzierte Schäden und einen erhöhten intrazellulären Calciumeinstrom sind. Darauf folgt eine Reihe von pathologischen Prozessen, die zu Skelett- und Herzmuskelfasernekrose, Entzündung, Ersatz von Muskelgewebe durch fibröses Fettgewebe und verändertem Blutfluss im Skelettmuskel führen.
Weitere, teilweise in Europa nicht zugelassene Antisense-Moleküle sind in der Pipeline: Drisapersen, Golodirsen, Viltorlasen und Casimersen.
Steckbrief
Name der Erkrankung
Muskeldystrophie Duchenne
Häufigkeit
1:3.000 bis 5.500 der männlichen Neugeborenen
Gestörte Funktion
Schwächung der Muskulatur
Zunahme des Fettgewebes (Waden)
Lendenlordose, Spitzfuß
Skoliose
Schwächung der Atemmuskulatur
Genlokalisation
-
Orphan Drugs
Antisense-Nukleotide (Eteplirsen u. a.)
Wirkung
Gentherapie
Ataluren ist bei bestimmten Formen der MA Duchenne zugelassen. Etwa 13 % der Patienten mit Dystrophinopathie haben eine sog. Nonsense-Mutation im Gen für Dystrophin. Das entspricht in etwa 2.500 Patienten in der Europäischen Union.
Diese Mutation führt zu einem vorzeitigen Stop-Codon innerhalb der proteincodierenden Region der entsprechenden mRNA und verursacht eine vorzeitige Beendigung der Translation und die Erzeugung eines verkürzten, instabilen, nicht funktionsfähigen Proteins.
Ataluren kann oral appliziert werden und ermöglicht es Ribosomen bei der Translation, das irrtümlich in die mRNA eingebaute Stopp-Codon zu überlesen und die Proteinbiosynthese durchzuführen. Das Vorliegen der Mutation muss vor Therapiebeginn durch einen Gentest nachgewiesen werden.
Ataluren maskiert das Stopp-Codon und macht es für den Translationsprozess „unsichtbar“. Die bedingte Zulassung beruhte vorwiegend auf den Ergebnissen einer randomisierten doppelblinden, multizentrischen Phase-IIb-Studie über 48 Wochen an 174 Patienten mit nmDMD im Alter über fünf Jahren.
Das Hauptziel der Intervention während der ambulanten Phase der Dystrophinopathie ist es, die Gehfähigkeit der Patienten so lange wie möglich zu erhalten. Die Ergebnisse dieser Phase-IIb-Studie: Ataluren in einer Dosis von 40 mg/kg/Tag zeigt einen klinischen Nutzen und ein günstiges klinisches Nutzen-Risiko-Profil bei ambulanten Patienten ≥ 5 Jahre mit Dystrophinopathie aufgrund einer Nonsense-Mutation.
Ataluren in der Dosierung 40 mg/kg/Tag konnte die Abnahmerate der Gehfähigkeit verlangsamen und den angestrebten mittleren Unterschied von 30 Metern zwischen Ataluren und Placebo bei über 48 Wochen erreichen.
Bildquelle: Sharon McCutcheon, Unsplash