„Reißen Sie sich mal zusammen, so schlimm kann es doch wirklich nicht sein“, blafft der Arzt nach dem Ultraschall meines geschwollenen, schmerzenden Beins. Ich bin verwirrt – warum schickt mich mein Hausarzt dann immer wieder ins Krankenhaus?
„Mit 24 Jahren, da kann man doch keine Thrombose haben.“ Wegen dieser Annahme muss ich mich noch Jahre später mit den Spätfolgen einer TVT herumschlagen. Jetzt kann man natürlich sagen, dass man sich immer irren kann, dass eine Diagnose nicht offensichtlich sein muss, dass es eine atypische Situation war – aber es war eine „Bilderbuchthrombose“, wie mein Hausarzt so passend bereits bei meinem ersten Besuch richtig erkannte.
Die Anamnese war eigentlich klar: Geschwollenes Bein, starke Schmerzen, Verfärbungen. Noch dazu Raucher, übergewichtig und nimmt die Anti-Baby-Pille. Perfekte Voraussetzungen für eine Thrombose. Was nicht ins Bild passte, war das Alter. Mein Hausarzt bestand auf die Diagnose Thrombose – Gott sei Dank. Beim ersten Ultraschall wurde ich, wahrscheinlich keine halbe Minute lang, in der Kniekehle geschallt. Es war keine Thrombose auffindbar. Ich solle mich mal nicht so anstellen, es würde bestimmt bald wieder besser werden – meinte der behandelnde Arzt.
Also zurück zum Hausarzt, dann ins Krankenhaus auf die Angiologie. Selbes Thema, aber diesmal dafür noch mit Vorwürfen gekürt. „Warum kommen Sie mit derselben Anamnese, die bereits abgeklärt wurde, ins Krankenhaus?“ Wieder wurde kurz in meine Kniekehle geschallt, wieder wurde nichts gefunden. Beim prophylaktischen Bandagieren kamen mir dann vor Schmerz die Tränen. „Reißen Sie sich mal zusammen, so schlimm kann es doch wirklich nicht sein.“ Verunsichert, verheult und nicht mehr in der Lage, wirklich zu gehen, ging's also ein paar Tage später wieder zum Hausarzt. Mit schmerzendem Bein und mittlerweile auch schmerzendem Magen: Ist es wirklich übertrieben, mit sowas ins Krankenhaus zu gehen?
Und wieder schickte er mich ins Krankenhaus, auf seinem Verdacht beharrend. Diesmal auch mit beigelegtem Blutbild und direkter Überweisung an einen seiner vertrauten Kollegen. Besagter Arzt nahm sich die Zeit, mein komplettes Bein anzusehen und auf meine Schmerzen einzugehen. Und siehe da: Eine Oberschenkelthrombose wurde diagnostiziert. Der Arzt war schockiert, das hätten seine beiden Kollegen auf jeden Fall sofort sehen müssen, meinte er – wenn sie mich gründlich untersucht hätten.
Wäre mein Hausarzt nicht so beharrlich gewesen und hätte mir nicht wieder und wieder versichert, dass es okay wäre, mit solchen Schmerzen – wenn nötig auch mehrmals – ins Krankenhaus zu gehen, hätte ich mich vermutlich nach den ersten beiden Erlebnissen nicht mehr getraut, etwas zu sagen. Auch der behandelnde Arzt im Krankenhaus, der letztendlich die Thrombose erkannte, war einfühlsam, fachlich und kompetent. Also war es im Endeffekt doch eine positive Erfahrung für mich: Mit zwei tollen Ärzten, die genau wussten, was sie taten und mir versicherten, ich hätte alles richtig gemacht. Auch wenn auf dem Weg dahin so einiges schiefgelaufen ist.
Natürlich kommt es im Berufsalltag zu stressigen Situationen. Wenn man eine Patientin sieht, die wegen einer Sache bereits mehrmals in den letzten Tagen im Krankenhaus war – ohne eine dementsprechende Diagnose gestellt bekommen zu haben – ist man vielleicht versucht, sich von den Ergebnissen der Kollegen leiten zu lassen, anstatt von den Beschwerden des Patienten. Das ist verständlich und absolut menschlich. Nur ist manchmal eine Zweitmeinung genau das: Eine zweite Meinung zu einer vermeintlich falschen oder nicht erkannten Diagnose. Und die verdient eben die gleiche Aufmerksamkeit, wie eine Erstuntersuchung. Weil eben manchmal genau das ist, was eigentlich nicht sein kann.
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