Hunde zeigen keine erhöhten sozio-kognitiven Fähigkeiten und sind nicht weniger aggressiv als Wölfe. Was uns das über den Ursprung des Menschen lehrt, lest ihr hier.
Die bei Hunden gegenüber Wölfen beobachtbaren Unterschiede spiegeln sowohl die vom Menschen ausgeübte Selektion als auch Änderungen in dem natürlichen Lebensraum der Tiere wider. Das ist die Erkenntnis einer kürzlich im Journal Trends in Cognitive Sciences erschienenen Review-Studie von Friederike Range und Sarah Marshall-Pescini vom Domestication Lab am Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni. Mit den neu gewonnenen Erkenntnissen präsentiert sich auch der „Selbstdomestizierungsprozess“ des Menschen in einem neuen Licht.
Basierend auf der Annahme, dass Hunde weniger aggressiv sind und über ausgefeiltere sozio-kognitive Fähigkeiten als Wölfe verfügen, wurde die Domestizierung von Hunden genützt, um die Idee zu untermauern, dass Menschen einen ähnlichen „Selbstdomestizierungsprozess“ durchlaufen hätten. In ihrer nun vorgestellten wissenschaftlichen Überprüfung von Studien zu Unterschieden zwischen Wolf und Hund kommen die beiden Wissenschafterinnen der Vetmeduni jedoch zu dem Schluss, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse solche Behauptungen nicht stützen.
„Die von uns zusammengefassten Ergebnisse zeigen, dass Hunde keine erhöhten sozio-kognitiven Fähigkeiten aufweisen und verglichen mit Wölfen auch nicht weniger aggressiv sind. Vielmehr versuchen Hunde im Vergleich zu Wölfen Konflikte mit höherrangigen Artgenossen und Menschen gezielt zu vermeiden und weisen eine erhöhte Bereitschaft zur Einhaltung von Regeln auf, was sie zu umgänglichen Sozialpartnern macht“, so Friederike Range. Co-Autorin Sarah Marshall-Pescini betont, dass diese Erkenntnisse „die Eignung der Domestizierung von Hunden als Modell für die soziale Evolution des Menschen in Frage stellen. Die Ergebnisse unserer Studie legen nahe, dass die Domestizierung von Hunden sich am besten als Anpassung an eine neue, vom Menschen dominierte Nische verstehen lässt, die einhergeht mit spezifischen selektivem Drücken für bestimmte Merkmale durch den Menschen.“
Laut den beiden Forscherinnen kann die Domestizierung von Hunden dennoch ein gutes Modell sein, und zwar, um beispielsweise das wissenschaftliche Verständnis hinsichtlich jener Faktoren zu verbessern, die die Dynamik gegenüber Nicht-Gruppenmitgliedern und die erhöhte Neigung zur Befolgung von Regeln und zur Einhaltung sozialer Normen beeinflussen.
Mehrere Forscher hatten in der Vergangenheit vorgeschlagen, dass Menschen einem Selbstdomestizierungsprozess unterlagen, der vor etwa 300.000 Jahren begann – und Menschen domestizierte Affen wären. Laut dieser „Human Self-Domestication Hypothesis“ (HSD) beinhaltet der wichtigste selektive Druck, der den modernen Menschen formte, eine Verringerung der Aggression. Diese Verringerung der Aggression war die Voraussetzung für die Entwicklung höherer kognitiver Fähigkeiten und verbesserte Kooperation. Die HSD-Hypothese legt ferner nahe, dass der Selektionsdruck während der menschlichen Evolution dem ähnlich ist, der die Merkmale anderer domestizierter Arten formte. Die Domestizierung von Hunden wurde als „Proof of Concept“ für den Zusammenhang zwischen der Selektion auf verringerte Aggression, höhere Geselligkeit und Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten verwendet.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der vetmeduni. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Julien Riedel, Unsplash