Glutamat-Transporter übertragen Informationen im Zentralnervensystem. Um den Vorgang zu verstehen, wurde ein atomares Modell eines Transporters entwickelt. Die gewonnenen Erkenntnisse könnten zu neuen Therapieansätzen bei Schlaganfall, ALS oder Epilepsie führen.
Das Team um den Mediziner und Biophysiker Prof. Dr. Christoph Fahlke vom Jülicher Institute of Complex Systems (ICS-4) hat sich eine bestimmte Art von Glutamat-Transportern vorgenommen, die sogenannten Excitatory Amino Acid Transporters (EAATs). Das Spannende an dieser Klasse von Transportern: Sie kombinieren zwei strukturell, funktionell und thermodynamisch unterschiedliche Transportprozesse in einem Proteinmolekül – den sogenannten sekundär-aktiven Transport von Glutamat und die Diffusion von Chloridionen durch einen Kanal. „Eine solche Doppelfunktion ist für verschiedene Proteine postuliert worden, wir konnten erstmals aufklären, wie es tatsächlich funktioniert“, erläutert Fahlke. Dank einer speziellen Computersimulation, der Molekulardynamik (Molecular Dynamics), haben die Wissenschaftler eine Struktur des Transporters identifiziert, bei der ein Ionenkanal entsteht.
Glutamat ist der bedeutendste erregende Neurotransmitter. Doch zu viel Glutamat kann Nervenzellen schädigen. Forscher vermuten, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen hohen Glutamatkonzentrationen und Schlaganfällen, Amyotropher Lateralsklerose, aber auch Erkrankungen wie Epilepsie und Gleichgewichtsstörungen. Die Hauptaufgabe von Glutamat-Transportern ist es, Glutamat aus der Synapse zu entfernen. Dieser Transport beginnt mit der Bindung von Glutamat an der Außenseite der Zelle. Danach bewegt sich ein Abschnitt des Proteins wie ein Fahrstuhl durch die Membran und gibt auf der anderen Membranseite den Neurotransmitter wieder frei. Während dieser Prozess gut verstanden ist, war lange Zeit völlig unklar, wie ein solches Protein einen Chloridkanal bilden kann.
Ionenkanäle besitzen eine wassergefüllte Verbindung zwischen beiden Seiten der Zellmembran, durch die bestimmte Ionen wie durch einen Tunnel wandern und so elektrische Ströme erzeugen. Mit Hilfe dieser Ströme können die Glutamat-Transporter die Erregbarkeit von Neuronen steuern. Das Team um Fahlke hat mehrere Jahre versucht, den Ionenkanalmechanismus mit verschiedensten experimentellen Techniken zu enträtseln. Alle Ansätze scheiterten. „Heute wissen wir, dass das an der Komplexität der Transmembranproteine lag. Sie ändern sehr ausgeprägt ihre räumliche Struktur“, erklärt der Wissenschaftler Dr. Jan-Philipp Machtens. Für den Durchbruch sorgten Simulationen am Jülicher Supercomputer JUROPA mit einer speziellen rechenintensiven Methode.
Molekulardynamik erlaubt es, Wechselwirkungen zwischen Atomen und Molekülen zu simulieren. Zusammen mit Kollegen vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen entwickelten die Forscher ein atomares Modell des Glutamat-Transporters in einer Lipidmembran, das eine direkte Simulation der Transportfunktionen erlaubt und damit die Strukturänderungen im Protein, die zur Ionenkanalöffnung führen, sehr genau vorhersagt. „Unsere Beobachtungen haben wir mit elektrophysiologischen und fluoreszenzspektroskopischen Experimenten nachvollzogen, beispielsweise wie viele Ionen pro Sekunde durch den Kanal gehen. Die Ergebnisse von Simulationen und Experimenten stimmen nahezu perfekt überein“, berichtet Fahlke. Der Glutamat-Transporter: Eine Nanomaschine mit zwei Aufgaben. © Forschungszentrum Jülich
Als Nächstes wollen die Forscher ihre neuen Erkenntnisse benutzen, um Glutamat-Transporter gezielt pharmakologisch zu verändern. „Wir haben nun einen funktionellen Einblick in die molekularen Mechanismen gewonnen und kennen eine neue Struktur des Proteins. Dadurch haben wir die Grundlage geschaffen, um nach Wirkstoffen für Medikamente zu suchen“, blickt Machtens voraus. Solche Wirkstoffe könnten Störungen der Transporter- und Ionenkanalfunktion bei Erkrankungen wie Schlaganfall oder Epilepsie beseitigen. Originalpublikation: Mechanisms of Anion Conduction by Coupled Glutamate Transporters Jan-Philipp Machtens et al.; Cell, doi: 10.1016/j.cell.2014.12.035; 2015