Efgartigimod wurde zur Behandlung der Myasthenia gravis zugelassen. Doch welcher Wirkmechanismus macht das neue Pharmakon so revolutionär?
Ende vergangenen Jahres wurde Efgartigimod als erstes immunmodulatorisches Medikament seiner Klasse zur Behandlung der Myasthenia gravis zugelassen. Es handelt sich dabei um einen Antagonisten des neonatalen Fc-Rezeptors (FcRn), der die Halbwertzeit von IgG-Antikörpern verringern soll.
IgG-Antikörper spielen eine große Rolle in der Funktionsweise unseres Immunsystems und sind die am häufigsten vorkommende Antikörperklasse. In ihrer physiologischen Funktion werden sie nach Antigenkontakt durch B- und Plasmazellen gebildet und zirkulieren anschließend durch das Blutplasma, um Pathogene zu identifizieren und diese unschädlich zu machen. Hierbei werden sie ständig von Endothelzellen, welche die Blut- und Lymphgefäße auskleiden, aufgenommen und abgebaut – es sei denn, sie werden durch einen neonatalen Fc-Rezeptor gebunden. Dieser sitzt auf den Endothelzellen, bindet an IgG-Antikörper und schützt diese so vor dem Abbau durch die Endothelzellen. Die Antikörper können dadurch recycelt werden, was ihre Halbwertszeit und Wirkung im Blut verlängert.
Sind diese Antikörper jedoch gegen körpereigene Strukturen gerichtet, können sie eine ganze Reihe gefährlicher Nerven- und Muskelerkrankungen auslösen. So sind sie an der Pathogenese der Myasthenie (AChR, MuSK), den Neuromyelitis optica Spektrum-Erkrankungen (AQ4) sowie den MOG-Antikörper vermittelten Erkrankungen und der chronisch-inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP) beteiligt. Sie spielen aber auch eine Rolle bei verschiedenen Formen der Autoimmunenzephalitiden (z.B. NMDAR, LGI1, CASPR2).
Die Idee, diese schädlichen Antikörper zu eliminieren, ist nicht neu. Viele bereits seit Jahren verwendete und gut etablierte Therapieverfahren beruhen auf dieser Idee – so auch die Plasmapherese oder die Immunglobulintherapie –, welche bereits bei vielen der o. g. Erkrankungen zur Anwendung kommen. Der Nachteil ist jedoch, dass sie nicht selektiv sind: So werden bei der Plasmapherese auch andere Antikörperklassen und Plasmabestandteile herausgefiltert. Dies hat einen erheblichen Einfluss auf die Funktion des Immunsystems und kann die natürliche Immunantwort beeinträchtigen.
Efgartigimod bindet an FcRn und blockiert somit die Bindungsstellen für IgG-Antikörper, welche dann von den Endothelzellen abgebaut und nicht mehr recycelt werden können. Hierdurch wird die Halbwertszeit von IgG-Antikörpern verringert und deren Wirkung abgeschwächt.
Myasthenie-Patienten in den USA profitieren aktuell bereits von dieser neuen Technologie; eine Zulassung in Europa wird aktuell noch durch die EMA geprüft. Es sind bereits weitere Studien im Gange, die die Anwendung von FcRn-Inhibitoren bei anderen Krankheitsbildern untersuchen. Efgartigimod wird aktuell etwa in einer Phase-II-Studie zur Anwendung bei CIDP-Patienten geprüft. Mit Rozanolixizumab und Batoclimab befinden sich zudem zwei weitere FcRn-Inhibitoren in Zulassungsstudien zur Behandlung der CIDP.
Aktuell ist noch unklar, welche Langzeitfolgen der herbeigeführte unselektive IgG-Mangel haben wird. In der Zulassungsstudie wurden nur milde Nebenwirkungen – wie Kopfschmerzen und eine leicht erhöhte Infektneigung – beobachtet. Bei einigen Studienteilnehmern gingen die freien IgG-Antikörper um bis zu 70 % zurück. Da der FcRn-Rezeptor aber auch Teil der Blut-Hirnschranke ist und am IgG-Gleichgewicht im zentralen Nervensystem beteiligt ist, sind gefürchtete Komplikationen, wie etwa eine progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML), denkbar. Eine Studie zur Langzeitwirkung läuft aktuell noch.
Abhilfe könnten hier selektive Antikörper schaffen, die nur gegen pathologische IgG-Antikörper gerichtet sind und auch nur diese eliminieren. Im Fall von pathologischen anti-MOG-Antikörpern wird dies aktuell bereits untersucht – mit vielversprechenden Ergebnissen, allerdings bislang nur im Tiermodell.
Es bleibt abzuwarten welche der neuen Wirkstoffe in den nächsten Jahren bei uns in Deutschland zur Verfügung stehen werden und wie häufig diese dann zum Einsatz kommen. Die Applikationsform ist hierbei nur eine der vielen Hürden, die genommen werden müssen. Aktuell sind die untersuchten Wirkstoffe nur als Infusionstherapie zugelassen. Efgartigimod muss vier Wochen lang wöchentlich infundiert werden. Auch andere bereits verfügbare Infusionstherapien wie Immunglobuline oder einige MS-Therapeutika werden in Deutschland bislang kaum im ambulanten Rahmen verabreicht.
Die Gründe sind vielfältig, aber insbesondere die schlechte Vergütung durch die Krankenkassen scheint niedergelassene Neurologen aktuell noch daran zu hindern, Infusionstherapien im großen Stil durchzuführen. Die angeschlagene Krankenhauslandschaft kommt aktuell bereits kaum hinterher, die vielen bereits verfügbaren Infusionstherapien zu verabreichen. Sollte die Hoffnung auf FcRn-Inhibitoren als revolutionäre Immuntherapie vieler neurologischer Erkrankungen begründet sein, wird auch eine Überarbeitung dieses Systems notwendig werden.
Bildquelle: Daniel McCullough, Unsplash