Mein Chef möchte die Praxis abgeben und ich soll sie übernehmen. Viel Verantwortung und Papierkram kommen auf mich zu – ich hab ganz schön Muffensausen. Wieso lernt man dazu nichts in der Uni?
Vor gut zwei Jahren schreib ich hier darüber, wie schwierig es manchmal sein kann, als Landärztin zu arbeiten, auch wenn man es gern möchte. Für mich war es damals anstrengend, weil der Ehemann plötzlich keinen Job mehr vor Ort hatte und ich bin ja nicht „nur“ Landärztin, sondern eben auch Mutter, Ehefrau, etc. Ein Mensch eben. Und als solcher muss ja auch mein Umfeld stimmen – nicht nur die Arbeit.
Wie ging es damals weiter? Die Firma, bei der mein Mann angestellt war, wurde letztlich doch aufgekauft und zog mit Sack und Pack ca. 30 km weiter weg. Mit einiger Verhandlungsarbeit war es möglich, dass er zumindest ein bisschen Home-Office machen konnte (schon vor Corona) und insgesamt Stunden reduziert hat, um das Problem der langen Fahrzeiten zu kompensieren.
Ich habe dafür Stunden aufgestockt und bin die Hauptverdienerin geworden. Das erforderte einiges an Organisation wegen der längeren Fahrtzeiten, läuft jetzt aber.
Doch die Zeit bleibt natürlich nicht stehen und jetzt kommt genau die Situation, die ich schon im Artikel damals erwähnt habe: Mein Chef möchte in den wohlverdienten Ruhestand. Und wieder kam die große Frage: „Selbständigkeit oder nicht?“ Mit einem Unterschied dieses Mal: Es gibt faktisch niemand anderen, der die Nachfolge meines Chefs übernehmen kann.
Eine Kollegin hat vor einigen Jahren schon dankend abgelehnt, ein Kollege ist genau an dem Punkt, an dem ich vor 10 Jahren in die Praxis gekommen bin (zwei kleine Kinder, berufstätige Partnerin, noch im Hausumbau) und hat dementsprechend nicht die Ressourcen, um „selbst und ständig“ zu sein. Aber wenn niemand die Praxis übernimmt, stehen plötzlich im wahrsten Sinne des Wortes tausende Patienten ohne Hausarzt da – und die anderen Praxen sind schon überlastet.
Andererseits sind meine Kinder jetzt auch 2–3 Jahre älter, haben längere Schulzeiten und können besser mal auf sich selbst aufpassen.
Deswegen hab ich mich jetzt nach langer Überlegung dazu durchgerungen, die Praxis zum Jahresende allein zu übernehmen. Mit der Option, dass mein Kollege in ein paar Jahren einsteigt, wenn seine Kinder dann auch etwas älter sind.
Aktuell schwanke ich dementsprechend zwischen „Das wird schon klappen“ und „Oh mein Gott, worauf hab ich mich nur eingelassen“. Heute ist eher wieder ein „wird schon klappen“-Tag: Die Unterlagen für eine Praxisfinanzierung sind vorbereitet, ich habe angefangen, mir gezielt Fortbildungen zum Thema Abrechnung/Datenschutz/Datensicherung anzuhören und habe das Gefühl, dass ich zumindest nicht völlig unvorbereitet an die Sache herangehe.
Natürlich hab ich auch bisher mal nach den Ziffern geschaut und mein Chef hat immer mal wieder was gesagt, wenn wir Nummern vergessen haben – aber diese Sicherung fällt dann zum Jahreswechsel weg. Deswegen ist mir aktuell oft mulmig bei dem Gedanken an den finanziellen Teil der Übernahme.
Außerdem muss ich mir erste Gedanken über das Personal machen: Auch mehrere unserer MFAs werden in den nächsten 1–5 Jahren in Rente gehen und ich muss mir jetzt überlegen, wann ich eine neue Auszubildende suche, wo ich ggf. noch erfahrene Kräfte herbekomme. Gefühlt finde ich momentan manchmal mehr Fragen als Antworten, aber auch da hoffe ich, dass sich das in den nächsten 9 Monaten noch ändert. Es klappt ja auch in anderen Praxen.
Wobei ich an dieser Stelle mal sagen muss, dass ich es sehr schade finde, dass wir als Ärzte zwar andauernd Teams in Krankenhaus und Praxis leiten sollen, dies aber im Studium faktisch nicht adressiert wird. Ich fände das absolut sinnvoll. Denn obwohl „Chefsein“ bei vielen glaube ich nicht der Hauptgrund für das Medizinstudium ist (sondern eher der Wunsch, zu heilen und zu helfen), ist Menschenführung/Teamleitung und letztlich auch der wirtschaftliche Aspekt ein ganz zentraler Punkt im heutigen Dasein als Arzt. Sicher auch im Krankenhaus, aber vor allem in der Praxis.
Sicher schaut man sich über die Jahre so einiges ab (und sieht auch an Negativbeispielen, wie es NICHT laufen sollte), aber das ist ja kein strukturiertes Lernen, sondern learning by doing. Und ja, mir ist auch klar, dass ich da sicherlich einiges an Lehrgeld zahlen werde, weil ich irgendwelche (dummen?) Fehler mache. Aber ich hoffe, ich kann die dicksten/teuersten Fehler umgehen.
Denn ja, die Würfel sind gefallen und die Landärztin möchte/muss sich niederlassen. Bleibt zu hoffen, dass ich in den letzten 10 Jahren in der Praxis genug mitgenommen habe, um auch diese Situation in den Griff zu bekommen. Ab dem 1. Januar 2023 bin ich nicht mehr an- sondern auf mich selbst gestellt – wenn auch glücklicherweise mit einem tollen, eingespielten und erfahrenen Team im Rücken. Drückt mir bitte die Daumen, dass es klappt!
P. s.: Wie war das bei euch? Habt ihr Tipps für Neu-Praxisinhaber? Schreibt es gerne in die Kommentare.
Bildquelle: Usman Yousaf, unsplash