Eine ukrainische Schwangere kommt in der 32. SSW mit Bauchziehen in die Klinik. Das CTG zeigt eine ausgepägte Bradykardie. Eilig wird die Not-Sectio vorbereitet – bis eine Dolmetscherin die Situation aufklärt.
Eine 25-jährige Erstgravida kommt in der 32. Schwangerschaftswoche mit Unterbauchziehen in die geburtshilfliche Abteilung einer Frauenklinik. Sie war vor drei Tagen aus der Ukraine geflüchtet und spricht ausschließlich Ukrainisch.
Routinemäßig wird eine Aufnahme-CTG angelegt, dabei zeigt sich eine ausgeprägte Bradykardie mit einer Frequenz von 55 spm (Norm 110–160 Schläge pro Minute). Es erfolgt der Alarm zur Notsectio, innerhalb von Minuten steht das Notfallteam bereit und beginnt, den Eingriff vorzubereiten.
Die Patientin erkennt die Situation, bricht in Tränen aus und versucht, sich heftig gestikulierend verständlich zu machen. Mit Hilfe einer eilig herbeigerufenen Dolmetscherin aus dem Pflegebereich kann die Situation geklärt werden: Bei der Patientin ist ein systemischer Lupus erythematodes bekannt. Die kindliche Bradykardie bestünde bereits seit vier Wochen. In der Ukraine wurde deshalb Dexamethason verabreicht. Zur weiteren Diagnostik wird die Patientin in die nahe Universitätsfrauenklinik mit angeschlossener Kinderkardiologie verlegt.
Auch dort zeigt sich ein bradykardes Herzfrequenzmuster mit 55 spm. Im Ultraschall wird eine IUGR an der 4. Perzentile ermittelt. Die Organdiagnostik ist unauffällig, insbesondere besteht kein Hydrops fetalis. Fruchtwassermenge und Kindsbewegungen sind normal. Die Doppleruntersuchung ergibt einen erhöhten Widerstand in der Nabelschnurarterie, der Doppler der A. cerebri media und die uteroplazentare Perfusion sind im Normbereich.
In der fetalen Echokardiographie zeigt sich ein ventrikulärer Ersatzrhythmus bei komplettem AV-Block. Der ANA-Titer ist auf 200 (Norm < 50) erhöht, anti-SS-A/Ro und anti-Ro-52 sind dreifach positiv.
Die Patientin wird in der Rheumaambulanz vorgestellt und erhält weitere Verlaufskontrollen in der Universitätsfrauenklinik unter Miteinbeziehung der Kinderkardiologie.
Bei einem systemischen Lupus erythematodes handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung im Formenkreis der Kollagenosen. Die Prävalenz liegt zwischen 36 und 50 pro 100.000 Einwohner, wobei Frauen 10–15fach häufiger betroffen sind als Männer. Neben einer kutanen Form, mit dem typischen Schmetterlingserythem an Wangen und Nase, betrifft die systemische Variante zusätzlich innere Organe wie Herz, Lungen und Nieren. Ebenfalls manifestiert sich die Erkrankung am Bewegungsapparat, am Nervensystem und verändert das Blutbild.
Autoimmunerkrankungen bei Schwangeren treten häufig als Erstmanifestation auf. Durch Wechselwirkungen zwischen Grunderkrankungen und Schwangerschaft kommt es zu mütterlichen und fetalen Komplikationen. Beim systemischen Lupus erythematodes kann durch diaplazentaren Übergang spezifischer Autoantikörper ein fetales Krankheitsbild entstehen, das den Geburtshelfer vor schwerwiegende Entscheidungen stellt, insbesondere wenn die mütterliche Erkrankung zuvor unbekannt war.
Zu den wichtigsten Risikofaktoren zählt eine hohe klinische und serologische Krankheitsaktivität. Die Schub-Wahrscheinlichkeit ist in der Schwangerschaft um 60 % und postpartal für weitere sechs Monate erhöht. Entscheidend ist die Krankheitsaktivität vor der Konzeption. Daher sollte eine Schwangerschaft möglichst nach sechs bis zwölf Monaten aus einer stabilen Ausgangslage heraus geplant werden.
Gefürchtete Komplikationen innerhalb der Schwangerschaft sind fetale Wachstumsrestriktion, Frühgeburtlichkeit, Präeklampsie, Thrombosen und ein neonataler Lupus erythematodes.
Die SS-A/Ro-Antikörper gehören zu den antinukleären Antikörpern und finden sich typischerweise bei Patientinnen mit systemischem Lupus erythematodes in 30–40 %. Sie sind plazentagängig und können beim Kind zu einem neonatalen Lupus erythematodes führen. Die Antikörper binden an die fetalen Kardiomyozyten und verursachen mittels einer Autoimmunreaktion eine Myokarditis und eine Fibroisierung des AV-Knotens.
Haut- und Blutbildveränderungen sind postnatal mit Verschwinden der maternalen Antikörper reversibel, nicht aber ein kompletter kongenitaler AV-Block. Vielfach stellt er das einzige Symptom des neonatalen Lupus erythematodes dar und verursacht eine hohe perinatale Mortalität.
Die Schwangerschaftsbetreuung bei mütterlichen Autoimmunerkrankungen ist vielschichtig. Ist ein systemischer Lupus erythematodes bekannt, wird eine ASS-Prophylaxe ab 12+0 Schwangerschaftswochen empfohlen.
Bei nachgewiesenen SS-A-Antikörpern sollten frühzeitige fetale Herzfrequenz-Kontrollen und Echokardiographien durchgeführt werden. Wachstums- und Dopplerkontrollen, Organscreening und eine fakultative Pränataldiagnostik ergänzen die möglichst engmaschige Überwachung.
Bei Schwangeren mit bekannten SS-A/Ro-Antikörpern ohne anamnestisch kongenitalem AV-Block in einer vorausgehenden Schwangerschaft beträgt das Risiko 1–2 %, einen solchen zu bekommen. Hatte bereits ein Geschwisterkind einen AV-Block, liegt das Wiederholungsrisiko bei 16–19 %.
Bei rechtzeitiger Therapie kann das Risiko der irreversiblen Manifestation eines AV-Blocks gesenkt werden, insbesondere auch das Wiederholungsrisiko bei vorausgegangenem Ereignis. Eingesetzt werden u. a. Dexamethason und Hydroxychloroquin.
Die Überlebensrate bei kongenitalem komplettem AV-Block beträgt 80 %. Wegen fetaler Herzinsuffizienz mit Hydrops versterben etwa 15 % der Kinder antenatal, 5 % versterben postnatal meist an einer dilatativen Kardiomyopathie.
Bei 70 % der Neugeborenen ist ein Herzschrittmacher erforderlich, das 10-Jahres-Überleben beträgt 90 %.
Eine Schwangerschaft bei systemischem Lupus erythematodes ist eine Risikoschwangerschaft, die interdisziplinär betreut werden sollte. Optimal ist die bereits präkonzeptionelle Diagnostik und Therapie. Geburtshilflich wird ein Zentrum mit kinderkardiologischer Anbindung empfohlen.
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