Luchse sind ein seltener Anblick in europäischen Wäldern – die genetische Vielfalt von wiederangesiedelten Luchsen nimmt ab. Was heißt das für die europäische Luchs-Population und was kann dagegen unternommen werden?
Forscher haben die genetische Vielfalt von Luchsen in Europa untersucht. In einer im Fachjournal Biological Conservation erschienenen Studie zeigen sie, dass die genetische Vielfalt in den Populationen wiederangesiedelter Luchse über die Jahre stark abgenommen hat. Die Wissenschaftler warnen, dass dieser Verlust – zusammen mit den teils deutlich erhöhten Inzuchtwerten – in einigen Beständen den Erhalt der seltenen Art langfristig gefährden könnte. Zudem zeigen sie in ihrer Arbeit welche Faktoren für stabile und gesunde Luchspopulationen in Europa notwendig sind.
Der Luchs wurde jahrhundertelang bejagt und schließlich Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland und angrenzenden Ländern vollständig vom Menschen ausgerottet. Heute gibt es sowohl in der Bundesrepublik als auch in mehreren anderen Regionen Mitteleuropas wieder Populationen der etwa 15 bis 25 Kilogramm schweren Raubkatzen mit den charakteristischen Pinselohren. „Das ist ein Riesenerfolg, der durch die gezielten Wiederansiedlungsprogramme in Europa ermöglicht wurde!“, erklärt Dr. Sarah Mueller vom Fachgebiet Naturschutzgenetik und fährt fort: „Leider geht die Ausbreitung der Luchspopulationen vielerorts nur langsam vonstatten oder stagniert sogar.“
Obwohl der Luchs seit 1992 in der Europäischen Union unter Schutz steht, kommt es immer wieder zur illegalen Bejagung der größten europäischen Katzenart. Auch der Straßenverkehr fordert jedes Jahr Opfer. Das Team um Mueller hat in ihrer Studie nun weitere mögliche Gründe für die Stagnation ihrer Ausbreitung gefunden: Die Forscher untersuchten genomweite Muster der genetischen Vielfalt und Inzucht in allen sechs erfolgreich wiederangesiedelten Populationen Mitteleuropas sowie in zwölf natürlichen Populationen in Europa und Asien, um mögliche genetische Ursachen für die langsame Erholung des Luchses in Europa aufzudecken.
Mueller hierzu: „Fast alle wiederangesiedelten Luchspopulationen haben eine deutlich geringere genetische Vielfalt als die natürlichen Vorkommen. Zusätzlich ist in den wiedereingeführten Populationen Inzucht verbreitet; am stärksten ausgeprägt ist sie in den Luchsbeständen mit der geringsten Anzahl von Gründerindividuen.“
Zu der verminderten genetischen Diversität und den hohen Inzuchtquoten kommt es laut den Forschern einerseits durch einen – schon am Anfang der Wiederbesiedlung – unzureichenden Genpool der ausgesetzten Luchse und anderseits durch die von Straßen und Siedlungen zerschnittenen Lebensräume der Raubkatze. Diese erschwert oder verhindert nicht nur den Kontakt von Männchen und Weibchen während der Paarungszeit, sondern gibt auch jungen Luchsen kaum die Möglichkeit aus ihrem Geburtsrevier abzuwandern.
„Luchse besetzen riesige Reviere, die mehr als 200 Quadratkilometer groß sein können. Dabei halten sich die Tiere nicht an nationale Grenzen“, erläutert Mueller und ergänzt: „Es gibt dennoch auch berechtigte Hoffnung: Ausgehend von der Wiederansiedlung im Harz breiten sich Luchse auch über die stark fragmentierte Kulturlandschaft aus. Es gibt demnach die Chance, dass wir es schaffen, eine gut vernetzte, individuenstarke Metapopulation aufzubauen, die ihre genetische Vielfalt nicht wieder langfristig einbüßt.“
Die Wissenschaftler treten daher für eine europäische Lösung im Luchsmanagement ein und betonen die Bedeutung großer zusammenhängender Lebensräume, die den Luchsen die Wanderschaft und damit den Genaustausch außerhalb ihres Reviers ermöglichen. Zudem setzen sie sich in ihrer Studie für die Auswilderung weiterer Populationen ein, um „Trittsteine“ zwischen den aktuellen, noch zu weit auseinander liegenden Beständen zu schaffen. Kurzfristig stellt auch der Austausch einzelner Individuen zwischen den ausgewilderten Populationen eine Möglichkeit dar, um deren Diversität zu erhöhen.
„Angesichts der beobachteten genetischen Konsequenzen ist eine standardisierte, regelmäßige genomische Untersuchung ausgewilderter Luchsbestände besonders wichtig, um einen kritischen Grad an genetischer Verarmung erkennen und rechtzeitig Maßnahmen treffen zu können. Dies hat wiederum Auswirkungen auf die Vitalität und Anpassungsfähigkeit der Luchsbestände und damit ihrer langfristigen Erhaltung“, fasst Dr. Carsten Nowak, Letztautor der Studie, zusammen.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Charité Berlin. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.Bildquelle: bapt miller, unsplash