Neues Jahr – alte Sorgen: Landesapothekerkammern und Institutionen haben Zahlen zur Branchenentwicklung vorgelegt. Ihr Fazit: Es geht weiter bergab – aber langsamer als bisher. Ein Problem ist der fehlende Nachwuchs in der Offizin. Von Lösungsansätzen fehlt jede Spur.
Vorläufige Zahlen aus Deutschlands Kammerbezirken zeigen, wohin die Reise geht: Bundesweit sind im letzten Jahr rund 200 Apotheken von der Landkarte verschwunden. Das entspricht einem Minus von einem Prozent. An der Spitze stehen Hamburg, Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe (minus 1,8 Prozent), gefolgt von Nordrhein (minus 1,5 Prozent), Rheinland-Pfalz (minus 1,4 Prozent) und Bayern (minus 1,2 Prozent). Die neuen Bundesländer hielten sich vergleichsweise stabil – in Sachsen-Anhalt blieb die Zahl konstant. Und Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen beziehungsweise Thüringen melden einen leichten Rückgang um 0,5 Prozent. In Berlin und Brandenburg erhöhte sich die Zahl sogar marginal um 0,5 Prozent. Ob es in einigen Jahren tatsächlich weniger als 20.000 Betriebsstätten geben wird, wie Vertreter der apoBank spekulieren, erscheint angesichts dieser Entwicklung recht wahrscheinlich.
Der Rückgang an Betriebsstätten mag gesundheitspolitische oder wirtschaftliche Gründe haben. Ganz klar zeichnet sich ab, dass Approbierte mittlerweile den Weg in Richtung eigene Apotheke scheuen. So berichtet die ABDA von Tendenzen hin zum Apothekenverbund. Gab es in 2010 noch 3.478 Filialen, lag deren Zahl in 2013 bei 4.001. Im gleichen Atemzug entstehen immer häufiger Hauptapotheken mit zwei Filialen (2010: 466; 2013: 568) oder drei Filialen (2010: 163; 2013: 231). Ein Ende dieser Tendenzen zeichnet sich nicht ab. Große Verbünde mit hohem Nettoumsatz lassen sich jedoch schwer verkaufen – Kreditinstitute sind bei der Finanzierung vorsichtiger geworden. Und kleine, wenig rentable Betriebsstätten verschwinden mehr und mehr von Markt. Als durchschnittliches Finanzierungsvolumen für eine Haupt- beziehungsweise Einzelapotheke gibt die apoBank 562.000 Euro an (2013), ein Jahr zuvor waren es noch 517.000 Euro. Bei Filialapotheken stieg die erforderliche Summe im gleichen Zeitraum von 487.000 auf 508.000 Euro. Übernahmen erhöhten sich von 57 auf 65 Prozent, während sich immer weniger Approbierte für eine Neugründung entscheiden – der Anteil sank von 6,0 auf 4,0 Prozent, bezogen auf Haupt- oder Einzelapotheken.
Die Branche leidet noch unter ganz anderen Sorgen. Bereits heute ist jeder vierte Inhaber mindestens 60 Jahre alt, schätzen Standesvertreter. Und in jeder dritten Apotheke steht demnächst das Thema Nachfolge an. Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, bezeichnet demographische Tendenzen als „tickende Zeitbombe“. In ihrem Kammerbezirk seien zwei Drittel aller Apothekenleiter über 50 Jahre alt. Kollegen arbeiten nicht nur aus Freude am pharmazeutischen Beruf. Vielen Apothekenleitern gelingt es nicht, geeignete Approbierte zu finden. Mehr als 60 Prozent aller befragten Apotheker gaben bereits 2012 an, hier Probleme zu haben. Mittlerweile hat sich die Lage weiter zugespitzt. Im gesamten Bundesgebiet gibt es weniger als 1.000 arbeitslose Approbierte – bei 400 bis 500 offenen Stellen. Jobs in der öffentlichen Apotheke gelten bei Hochschulabsolventen nicht mehr als attraktiv – sie suchen ihr Glück lieber in Krankenhausapotheken oder bei pharmazeutischen Herstellern. Damit nicht genug: Das Pharmaziestudium hat seit Jahren massiv an Attraktivität eingebüßt. So berichtet die Universität Konstanz im Rahmen ihrer zwölften Studierendensurvey, wie hoch die tatsächliche Zeitbelastung zwischen Hörsaal und Labor ist. Pharmaziestudierende stehen mit durchschnittlich 39,5 Wochenstunden nach angehenden Tierärzten (44,6 Wochenstunden) und Zahnärzten (42,5 Wochenstunden) an dritter Stelle des Negativ-Rankings. Auch die Inhalte bilden berufliche Realitäten kaum noch ab. Echte Reformen fehlen bis heute – und klinische Pharmazie kann als vermeintliche Wunderwaffe keinesfalls davon ablenken, dass angehenden Apothekenleitern Kenntnisse in Betriebswirtschaft oder Personalführung fehlen.
Jenseits schlechter Rahmenbedingungen, magerer Honorare und demographischer Widrigkeiten bereitet die große Weltpolitik Apothekenleitern viel Kopfzerbrechen. Momentan dürfen sie in Deutschland neben ihrer Hauptapotheke bis zu drei Filialapotheken betreiben. Dieser eingeschränkte Mehrbesitz gemäß Apothekengesetz (ApoG), Paragraph 1 und Paragraph 2 steht auf tönernen Füßen. Schuld daran ist die umstrittene Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft TTIP. Momentan beraten Chefunterhändler der EU und der USA über Regelungen für Kosmetik- und Pharmaunternehmen. Kritiker warnen, europäische Standards könnten in Mitleidenschaft geraten. Beispielsweise sprach die ABDA von „verbraucherfeindlichen Liberalisierungen heilberuflicher Dienstleistungen“. Über Schiedsgerichte lassen sich möglicherweise nationale Besonderheiten aushebeln, etwa bei der Struktur öffentlicher Apotheken. Internationale Betreiber von Apothekenketten könnten klagen, Deutschland schränke ihre Interessen ein.