Mit der Domestikation einer Tierart gehen sowohl physische als auch Verhaltensänderungen einher. Wissenschaftler fanden nun heraus, dass die Gehirne von Hauskatzen im Zuge ihrer Domestikation an Volumen verloren haben.
Die Anpassung an ein Leben mit Menschen hat Verhalten, Aussehen und Anatomie von Hauskatzen nachhaltig verändert. An charakteristischen Merkmalen wie weißen Fellflecken und zutraulichem Verhalten (geringere Stressreaktion gegenüber Menschen) lassen sich Haus- und Wildtier leicht voneinander unterscheiden. Um den Mechanismen der Haustierwerdung auf den Grund zu gehen, müssen jedoch auch weniger auffällige Merkmale, wie Veränderungen am Schädel, untersucht werden.
In einer aktuellen Studie konnten Wissenschaftler der Vetmeduni in Kooperation mit Experten des National Museum Scotland bestätigen, dass im Laufe der Katzendomestikation eine Reduktion des Gehirnvolumens stattgefunden hat: Domestizierte Katzen weisen kleinere Gehirnvolumina auf, als ihr wilder Vorfahre, die Nordafrikanische Falbkatze.
Das Forscherteam um Raffaela Lesch untersuchte, wie sich Schnauzenlänge und Gehirnvolumen bei Hauskatzen im Vergleich zu ihren wilden Vorfahren verändert haben. Anhand dieser Parameter lassen sich Veränderungen am Schädel gut erfassen. Dadurch ist es den Forschern möglich, Einsicht in Verhalten und Gehirn während der Haustierwerdung zu erhalten.
Eine Publikation aus dem Jahre 1972 verglich Gehirnvolumina zwischen Wild- und Hauskatzen und zeigte, dass Hauskatzen kleinere Gehirne als ihre Vorfahren (Nordafrikanische Falbkatzen) haben. Da zahlreiche aktuelle Hypothesen der Domestikationsforschung mitunter auf die Ergebnisse dieser mittlerweile 50 Jahre alten Studie beruhen, war eine Replikation und ein wiederholtes Testen der Annahme, dass Katzen im Laufe der Domestikation eine Reduktion des Gehirnvolumens erfahren haben, notwendig.
Eine der Hypothesen, die eng mit Veränderungen des Gehirnvolumens und Schnauzenlänge verknüpft ist, ist die sogenannte Neuralleistenzellen-Hypothese (engl. neural crest/domestication syndrome). Diese Hypothese besagt, dass im Laufe der Domestikation ein konstanter Selektionsdruck für zahme Tiere zu einer verringerten Teilung und Migration der Neuralleistenzellen geführt hat. Neuralleistenzellen sind essentielle Bestandteile der Embryonalentwicklung und unter anderem für Pigmentierung, Stressantwort, Schädel- sowie Kieferentwicklung zuständig. Dieses milde Defizit in den Neuralleistenzellen könnte demnach zu Veränderungen am Schädel und im Verhalten führen. Ergo würde diese Hypothese sowohl eine Verkürzung der Schnauze, als auch eine Verringerung des Gehirnvolumens bei Hauskatzen voraussagen.
Die Wissenschaftler vermaßen und analysierten Gehirnvolumen und Schnauzenlänge von über 100 Katzenschädeln aus der Sammlung des National Museum Scotland. Erwartet wurde eine Reduktion des Gehirnvolumens sowie eine Verkürzung der Schnauze. Tatsächlich konnten die Forscher bestätigen, dass Hauskatzen kleinere Gehirnvolumina als ihre wildlebenden Vorfahren aufweisen. Eine Verkürzung der Schnauze konnte aber nicht festgestellt werden.
Der fehlende Zusammenhang zwischen Reduktion des Gehirnvolumens und Schnauzenlänge wirft weitere Fragen in Bezug auf die Neuralleistenzellen-Hypothese auf. Ist die Hypothese generell korrekt, trifft jedoch im Fall der bereits relativ kurzen Katzenschnauzen nicht zu? Oder verursachen andere Mechanismen (oder die Kombination mehrerer Mechanismen) diese anatomischen Veränderungen bei Hauskatzen? Um diese Fragen zu klären, bedarf es künftig noch weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen.
Der Text basiert auf einer Pressemitteilung der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Die Originalpublikation findet ihr hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Charlie Deets, unsplash