Eine Kataraktoperation scheint mit einem geringeren Demenzrisiko verbunden zu sein. Das zeigt eine aktuelle Studie an Patienten mit grauem und grünem Star.
Die „Adult Changes in Thought“-Studie ist eine langjährige, in Seattle angesiedelte Beobachtungsstudie der University of Washington mit mehr als 5.000 Teilnehmern über 65 Jahren. Auf der Grundlage der Längsschnittdaten von über 3.000 ACT-Studienteilnehmern haben Forscher herausgefunden, dass Probanden, die sich einer Kataraktoperation unterzogen, ein um fast 30 % geringeres Risiko hatten an Demenz zu erkranken, als diejenigen, die nicht operiert wurden. Dieses verringerte Risiko blieb mindestens ein Jahrzehnt nach der Operation bestehen. Die Kataraktoperation wurde auch mit einem geringeren Risiko für Alzheimer-Demenz in Verbindung gebracht. Die Ergebnisse der Studie wurden in der Zeitschrift JAMA Internal Medicine veröffentlicht.
Dass sensorische Einflüsse wichtig für die Gesundheit des Gehirns sind, darüber wird den Autoren der Studie zufolge schon länger spekuliert. Die neuen Ergebnisse sprechen zumindest dafür, dass die Verbindung zwischen Auge und Gehirn von größerer Bedeutung für die demenzielle Entwicklung ist als bisher angenommen.
Eingeschlossen wurden Teilnehmer, bei denen ein Grauer oder Grüner Star diagnostiziert wurde, die aber zum Zeitpunkt ihrer freiwilligen Teilnahme an der Studie nicht an Demenz erkrankt waren. Die Teilnehmer wurden alle zwei Jahre anhand des Cognitive Abilities Screenings auf ihre kognitiven Fähigkeiten hin untersucht, wobei die Punktzahl in einem Bereich von 0–100 liegt. Teilnehmer, die weniger als 85 Punkte erreichten, wurden weiteren neurologischen Tests unterzogen.
Die Beobachtungsstudie wurde für eine Reihe potenzieller Störfaktoren wie Bildungsjahre, die selbst angegebene ethnische Zugehörigkeit, die Rauchergeschichte, Apolipoprotein-E-Genotyp, Geschlecht und Altersgruppe zum Zeitpunkt der Kataraktdiagnose bereinigt. Auch danach blieb eine starke Assoziation zwischen der Augenoperation und Demenzentstehung bestehen. Ähnliche Ergebnisse wurden für die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz gefunden. Eine Glaukomoperation stand hingegen in keinem signifikanten Zusammenhang mit dem Demenzrisiko (HR 1,08; 95 % CI, 0,75–1,56; P = 0,68).
Dass ein operativer Eingriff am Auge einen so starken Zusammenhang mit der Verringerung des Demenzrisikos bei älteren Menschen zeigt, ist ein völlig neuer Ansatz. Die Mechanismen, durch die die Kataraktoperation und das verringerte Demenzrisiko miteinander verbunden sind, wurden in dieser Studie jedoch nicht ermittelt. Die Forscher stellen die Hypothese auf, dass die Menschen nach einer Kataraktoperation möglicherweise einen qualitativ besseren sensorischen Input erhalten, was sich positiv auf die Verringerung des Demenzrisikos auswirken könnte. Wer besser sieht, kann also auch klarer denken?
„Es bestätigt sich einmal mehr wie lohnend es sein kann, den Blick über den ‚Tellerrand‘ des eigenen Fachgebietes zu werfen“, so Augenarzt Dr. Omid Kermani. Der Leiter der Augenklinik am Neumarkt in Köln unterstreicht weiterhin, es könne „derzeit […] nur spekuliert werden, wie die Restaurierung der Sehkraft mit der Vitalisierung des Neurocraniums zusammenhängt. Fakt ist, dass der visuelle Cortex und die mit ihm verbundenen Systeme der Motorik, Sensorik und der oberflächlichen und tiefen Emotionen den größten Anteil in unserem Gehirn ausmachen. Wird der Reizinput in das weitreichend vernetzte visuelle System gefiltert (Katarakt), dann reduziert sich folglich auch die Aktivität des gesamten daran hängenden von den Neuronen gesteuerten Apparates.“
Die prospektive Kohortenstudie punktet mit einer Nachbeobachtungszeit von mehr als 23.000 Personenjahren und der engmaschigen augenärztlichen Kontrolle von mehr als 98 % der ACT-Kohorte (im Durchschnitt 27 Kontrollen). Die Demenzdiagnosen wurden anhand etablierter Forschungskriterien und Untersuchungen gestellt.
Was die Aussagekraft der Studie einschränkt ist, dass es Störfaktoren geben kann. Kausalität kann eine Beobachtungsstudie nicht abschließend etablieren. Solange die Pathophysiologie nicht genauer untersucht ist, bleibt der Zusammenhang eine Hypothese. Allerdings wurde eine mögliche Verzerrung durch Störfaktoren gründlich untersucht: Ein offensichtliches Problem haben die Forscher nicht gefunden. Unklar ist bisher, ob sich spätere, erneute Kataraktoperationen ähnlich positiv auf das Demenzrisiko auswirken wie die erste Operation.
Um die Möglichkeit zu verringern, dass Voroperationen bereits Einfluss auf den kognitiven Abbau hatten, schlossen die Forscher Personen mit Augenoperationen in den zwei Jahren vor der Demenzdiagnose aus. Ein denkbarer Confounder könnte auch gewesen sein, dass sich Patienten mit Demenz ihrer Sehprobleme weniger bewusst sind und sich daher seltener einer Kataraktoperation unterziehen. Hier würde sich dann allerdings die Frage stellen, warum das bei Glaukomoperationen anders ist. Laut Dr. Kermani sei es in jedem Fall wichtig, Krankheitsbilder am Auge frühzeitig zu erkennen. Mittlerweile sei der Konsens Kataraktoperationen durchzuführen, wenn „eine Sehschärfe auf 0,6 herabgesetzt ist oder aber die mit der Trübung verbundenen Blendungsbeschwerden nicht toleriert werden.“
Frühere Studien der Forschungsgruppe aus Washington haben bereits einen engen Zusammenhang zwischen anderen Netzhauterkrankungen und der Entwicklung von Alzheimer und Demenz gezeigt. Personen mit Makuladegeneration oder anderen degenerativen Netzhauterkrankungen hatten dabei ein höheres Risiko, an Demenz zu erkranken. Ein besseres Verständnis der Verbindung zwischen dem alternden Auge und dem Gehirn könnte zukünftig wichtige Erkenntnisse und potenzielle Therapien zur Verlangsamung oder Verhinderung altersbedingter Demenz bieten.
Auch Dr. Kermani unterstreicht die starke Verbindung von Auge und Gehirn: „Sicher darf man nicht erwarten, dass mit der Katarakt-Operation sozusagen ein Schalter umgelegt wird. Vielmehr ist der Einfluss des Sehens auf das Neurocranium von nachhaltiger und langfristiger Wirkung. [...] Das Auge ist ein Homunculus. Der Sehnerv ist ein Kopfnerv und die Netzhaut mit Chorioidea und Nervenfaserschicht eine Blaupause zu dem, was im zentralen Neurocranium mit zunehmendem Lebensalter abläuft. In wenigen Jahren werden wir mittels sensitiver diagnostischer Verfahren wie dem OCT (Optical Coherence Tomography) unter Einsatz von künstlicher Intelligenz eine Vielzahl degenerativer neurologischer Erkrankungen sehr früh am Auge ablesen können.“
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