Fibroblasten, Reprogrammierung, pluripotente Stammzellen und plötzlich wieder hören können? Was sich erst einmal wie unzusammenhängende Worte anhört, könnte bald Realität werden. Professor Dr. Löwenheim von der Uniklinik Tübingen berichtet über aktuelle Forschungen.
Der Videoinhalt in transkribierter Form: Prof. Dr. Hubert Löwenheim: „Vor etwa 15 Jahren wurde entdeckt, dass Stammzellen aus dem Innenohr isoliert werden können. Nach Isolation dieser Stammzellen wachsen diese Stammzellen zu ausgereiften Haarsinneszellen, zumindest in vitro, heran und sie können auch in ein intaktes Ohr transplantiert werden. Darüber hinaus wurde dann in der Folge dieser Forschungsergebnisse auch gezeigt, dass die Haarsinneszellen auch aus sogenannten pluripotenten Stammzellen gebildet werden. Da unterscheiden wir ja zwei Klassen: einmal embryonale Stammzellen, aber auch die sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen, die durch sogenannte Reprogrammierung aus Hautzellen oder aus Fibroblasten gewonnen werden können. Und auch diese aus pluripotenten Stammzellen gewonnen Haarsinneszellen zeigen ähnliche Eigenschaften wie normale Haarsinneszellen. Daraus ist dann die Idee entstanden, diese Stammzellen in das erkrankte Innenohr zu transplantieren. Die Problematik bei diesem Forschungsansatz, der zunächst sehr attraktiv erscheint, ist aber, dass die Stammzellen, die transplantiert werden sollen, natürlich im Innenohr den Ort finden müssen, an dem sie ihre Funktion erfüllen sollen. Wenn das gelänge, müssten sie, an dem Ort angekommen, auch noch zu Haarsinneszellen differenziert werden. Diese beiden Probleme sind noch nicht gelöst, deswegen ist die Idee, Stammzellen direkt als Therapeutikum zu verwenden, noch eine Zukunftsvision. Der zweite Nutzen, der aus dieser Stammzell-Technologie aber entsteht, ist, dass wir jetzt Haarsinneszellen in vitro zur Verfügung haben und zwar in großer Zahl. Es ist ja so, dass das Innenohr, zum Beispiel des Menschen, lediglich 15.000 solcher Sinneszellen beinhaltet und ich kann sie natürlich nicht für experimentelle Zwecke gewinnen. Das wäre nur post mortem, nach dem Versterben, möglich. Deswegen stehen solche Zellen nicht für die Forschung zur Verfügung. Durch die Stammzelltechnologie ist es aber gelungen, diese Zellen für die Forschungszwecke in vitro zur Verfügung zu stellen und an diesen Zellen pharmakologische Wirkstoffsuche zu beginnen. Diese Art Forschungen sind bereits auf den Weg gebracht und ermöglichen jetzt zum ersten Mal, Screening-Untersuchungen mit Innenohrzellen nach pharmakologischen Wirkstoffen durchzuführen. Frage: Welche Funktionen können wieder hergestellt werden? Bei der direkten Transplantation wäre das natürlich der Ersatz verloren gegangener Neurone oder Haarsinneszellen. Diese empfindlichen Zellen können durch den Alterungsprozess verloren gehen, durch toxische Pharmaka oder durch andere Umwelteinwirkungen wie zum Beispiel einem Lärmtrauma. Das wäre, wenn das funktionieren würde, ein Einsatzgebiet. Bei der zweiten Technologie, die ich angesprochen habe, nämlich der pharmakologischen Wirkstoffsuche, ist es im wesentlichen die Untersuchung von toxischen Wirkungen bestimmter Pharmaka, die hier untersucht werden kann. Wenn diese toxischen Wirkungen bekannt sind, könnten auch protektive Pharmaka gefunden werden. Zum Beispiel verwenden wir in der Behandlung von bösartigen Tumorerkrankungen ein ototoxisches Medikament mit dem Wirkstoff Cisplatin – wir könnten mit diesen Stammzelltechnologien zum Beispiel Substanzen finden, die gegen die ototoxischen Wirkung von Cisplatin wirken. Zum Dritten können wir auch regenerative Substanzen in diesen Wirkstoffuntersuchungen finden. Auch in dem Bereich der regenerativen Medizin der Schwerhörigkeit gibt es bereits aktuell zwei klinische Studien: Zum einen wird hier ein gentherapeutischer Ansatz verwendet, mit dessen Hilfe im Innenohr noch vorhandene Stützzellen in Haarsinneszellen konvertiert, das heißt umgewandelt werden, die dann wieder ihre Funktion aufnehmen sollen. Zum zweiten verwendet man einen pharmakologischen Ansatz, mit dem die gleichen Stützzellen ebenfalls in Haarsinneszellen konvertiert oder umgewandelt werden sollen. Das sind erste interessante Therapieansätze, die jetzt bereits in klinischen Studien erprobt werden, aber es wird noch einige Jahren dauern, bis hier Ergebnisse vorliegen. Für welche Patienten kommt dieser neue Ansatz in Frage? Grundsätzlich für die große Gruppe der Patienten mit einer Schallempfindungsschwerhörigkeit oder Sensorineuralen Schwerhörigkeit, das heißt, Patienten, die an einem Verlust ihrer Sinneszellen oder anderer Strukturen im Innenohr leiden. Die größte Gruppe bei diesen Patienten stellen Patienten mit der Altersschwerhörigkeit, mit der sogenannten Presbyakusis, da. Die [Presbyakusis] wiederum kann Ursachen haben im Verlust von Sinneszellen, im Verlust von Nervenzellen oder im Verlust von sogenannten Stützzellen, die für die aufrecht Erhaltung der Batterie im Innenohr in Frage kommen. Die Behandlung dieser Zellverluste könnte zum einen protektiv erfolgen, das heißt, man verhindert den Verlust dieser Sinneszellen, oder auf regenerativem Wege, das heißt, diese Sinneszellen werden nach Verlust wieder neugebildet und nehmen wieder ihre Funktion auf. Das wäre ein sogenannter regenerativer Therapieansatz. Man kann festhalten, dass die aktuell zur Verfügung stehenden Technologien der mechanischen Versorgung und der elektrischen Versorgung sehr gute Ergebnisse hervorbringen und dass die in Zukunft zu erwartenden biologisch regenerativen Therapien sicherlich für die Patienten interessant sind. Das sollte uns aber nicht davon abhalten, die jetzt zur Verfügung stehenden Technologien tatsächlich beim Patienten einzusetzen.