Die junktionale Epidermolysis bullosa ist eine der seltensten Formen der Schmetterlingskrankheit. Sie gilt als tödlich und unheilbar. Doch einem Forscherteam ist das Unmögliche gelungen.
Die Haut ist das funktionell vielseitigste und größte Organ des Menschen – doch bei einigen zerfällt sie bei der kleinsten Berührung und bildet schmerzende Blasen. Genau das geschieht bei Personen, die an junktionaler Epidermolysis bullosa leiden. Allerdings ist nur weniger als eine von 1 Millionen Personen von dieser Krankheit betroffen. Es handelt sich um eine genetische Hauterkrankung mit vielen verschiedenen Unterformen, bei der Strukturproteine nicht regelhaft vorhanden sind. Sie kennzeichnet sich außerdem durch fehlende Heilungsmöglichkeiten und verläuft häufig schon im Kindesalter tödlich.
Hoffnung auf eine Heilung bei der seltenen Erkrankung gab es somit lange Zeit keine, doch das hat sich mit einem Fall geändert: Im Jahr 2015 konnte ein interdisziplinäres Behandlungsteam aus Deutschland und Italien einen 7-jährigen Jungen retten, dessen Haut bereits zu 80 Prozent zerstört war, indem sie diese ersetzten. Heute ist der Patient 13 Jahre alt und weltweit der einzige Mensch, der mit einem fast vollständig durch genmanipulierte Zellen ersetzten Organ lebt (wir berichteten).
„Letztendlich geht es bei diesem Behandlungsansatz darum, eine kausale Therapie zu machen – nicht nur eine Behandlung der Symptome, sondern die Ursache zu beheben“, erklärt Dr. Maximilian Kückelhaus, Plastischer Chirurg an der Fachklinik Hornheide, sowie dem Uniklinikum Münster und mitbehandelnder Arzt in dem Fall, im Interview mit der DocCheck News Redaktion. Bei der vorliegenden Hauterkrankung seien Strukturproteine nicht vorhanden, die die Epidermis an die Dermis befestigen. Das Ankerprotein Laminin 332 wird nicht regelhaft vom Körper produziert, deswegen fällt die oberste Haut bereits durch minimalen Stress ab. „Um die Ursache zu beheben, müssen die Zellen, die die Epidermis regenerieren, das Protein wieder produzieren, das die Epidermis verankert.“
Es handelt sich um eine experimentelle Behandlungsmethode, die in dieser Form noch nie am Menschen stattgefunden hat: Dafür entnahmen die Ärzte eine Probe einer gesunden Hautstelle und isolierten die epidermalen Stammzellen und Keratinozyten. Im Labor wurden diese Zellen dann mit einem γ-retroviralen Vektor transfiziert, der das LAMB3-Gen trägt. Diese genmodifizierten Zellen wurden auf eine Fibrin-Matrix gesetzt und vermehrten sich – darüber bekam man letztendlich das Transplantat, erklärt Kückelhaus. Dieses Konstrukt konnte man dann im OP auf die freigelegte Dermis transplantieren; die Matrix löste sich mit der Zeit auf. Die transplantieren Zellen vermehrten sich dann weiter, bekamen nach Auflösung der Matrix Kontakt mit dem Wundbett und wuchsen darauf an.
Für Kückelhaus, sowie für seinen Chef Prof. Dr. Tobias Hirsch, war es das erste Mal, dass sie klinisch mit der Krankheit in Kontakt kamen: „Wir sind Plastische Chirurgen. Die Expertise ist, dass man große Wundflächen versorgen kann.“ Aufgrund der massiven Schädigung der Haut und der lebensbedrohlichen Situation sei der Patient auch in das Brandverletztenzentrum in Bochum verwiesen worden, in dem die Chirurgen damals tätig waren. „In der palliativen Situation führt man lediglich eine Therapie zur Linderung der Symptome durch“, erzählt Kückelhaus.
Daraufhin habe man – nach Rücksprache mit den Eltern des Patienten – nach experimentellen Ansätzen gesucht und sei auf Publikationsergebnisse des italienischen Stammzellforschers Prof. Michele de Luca gestoßen, in der ein kleines Stückchen Haut bei einem Patienten durch die genannte Technik ersetzt werden konnte. Danach habe man ihn kontaktiert und die Situation geschildert. „Da es so viele verschiedene Unterformen der Epidermolysis bullosa gibt, waren die Chancen gering, dass das genau passte – aber wir hatten Glück“, sagt Kückelhaus. „Die Therapie passte genau für diese Unterform.“
Allerdings war der Heilungsprozess nicht nur ein experimenteller medizinischer Eingriff, sondern auch mit Bürokratie verbunden: Das Team musste erst einmal eine Genehmigung bekommen, damit man die Therapie als Heilversuch anwenden durfte. Insbesondere bei Gentherapien und Stammzelltherapie wisse man schon vorher, dass dieser Prozess mit den Regularien kompliziert werden könnte. „Es war kein einfacher Prozess, da es über mehrere Behörden ging“, beschreibt Kückelhaus. „Letzten Endes haben alle kooperativ zusammengearbeitet“. Allen sei die Schwere der Situation bzw. die des Patienten bewusst gewesen, weswegen die Genehmigungen auch in wenigen Wochen ermöglicht wurden.
„Alleine schon die Operationen selbst waren beim damaligen Zustand des Patienten lebensgefährlich – auch ohne den experimentellen Teil“, erklärt Kückelhaus. Der Familie und den behandelnden Ärzten war das Risiko bewusst – auch dass der Eingriff gar nicht funktionieren könnte –, doch die andere Option wäre gewesen, dass der Junge mit Sicherheit verstorben wäre.
Allerdings gehen die Bedenken über den Eingriff hinaus: „Die Sorge bei viralen Vektoren ist, dass man eine maligne Entartung, also eine Krebsentstehung, hervorruft. Das ist ein Hauptpunkt, der sich auf die Genveränderung bezieht“. Doch das ist in den mittlerweile über 5 Jahren nicht vorgekommen. Die Zellen des Jungen seien auch im Labor weitergezüchtet worden, dort habe sich ebenfalls keine Entartung gezeigt – natürlich könne man das nicht für die Zukunft ausschließen, erklärt Kückelhaus. „Es ist in diesem speziellen Fall auch eine Abwägungssache: Die Patienten mit der Epidermolysis bullosa – mit den großen Wundflächen – haben auch ein großes Risiko, Hauttumore zu entwickeln und daran zu versterben.“ Dadurch dass die Haut mit einer stabilen Haut ersetzt wurde, konnte man im Endeffekt auch das Risiko einer malignen Entartung senken.
Kückelhaus denkt ebenfalls, dass die Behandlung langfristig eine Option für Betroffene sein könnte. Zwar müsse man für jede Unterform der Krankheit einen eigenen viralen Vektor entwickeln, doch das Prinzip bleibe gleich. Allerdings gehe es nun darum, den Heilversuch in klinischen Studien umzusetzen, damit der Zulassungsprozess weiter vorangetrieben werden kann. Klinische Studien sind bereits durch den Kooperationspartner Prof. Michele de Luca bereits in Planung.
De Luca arbeitet bereits seit über 20 Jahren in der epithelialen Stammzellbiologie und verfolgt das Ziel einer klinischen Anwendung der Methode in der regenerativen Medizin. „Wir planen eine multizentrische, europäische, klinische Studie. Es soll hoffentlich noch dieses Jahr losgehen“, erklärt De Luca auf Anfrage der DocCheck News Redaktion. Sie hätten bereits Scientific Advice durch die EMA erhalten, also eine wissenschaftliche und regulatorische Beratung der Behörde für potenzielle Antragsteller von Zulassungen von Arzneimitteln. Es handele sich dabei um eine Phase-III-Studie an Zentren in Italien, Frankreich und Erlangen. 6 Patienten werden involviert sein. De Luca erläutert, dass die EMA in gewisser Art und Weise einer solch geringen Probandenzahl zugestimmt habe, weil die junktionale Epidermolysis bullosa viel seltener vorkomme als vergleichsweise die Epidermolysis bullosa simplex oder Dystrophe Epidermolysis bullosa. Für die dystrophe Form sei ebenfalls eine klinische Studie der Phase-I/II in Planung; für diese müssten sie sich aber noch bei der EMA bewerben. Diese könnte schätzungsweise 20 Patienten umfassen.
Die Zulassung der Therapie der junktionalen Epidermolysis bullosa durch die EMA könne aber noch einige Jahre dauern: Allein die Durchführung der klinischen Studie, das Follow-up und die Datensammlung vom Zeitpunkt des offiziellen Beginns, sowie das Vorlegen der Ergebnisse bei der Aufsichtsbehörde werde schätzungsweise zwei bis drei Jahre dauern, sagt De Luca. Wie lange daraufhin die letztendliche Autorisierung durch die Behörde dauern könnte, sei schwer abschätzbar.
Dr. Kückelhaus steht indessen auch heute noch in Kontakt mit dem Patienten: Er gehe zwar zur Schule, doch Resteffekte bleiben. Denn es seien nicht 100 % der Haut durch Transplantation wiederhergestellt worden, sondern nur die damals akut betroffenen 80 %. Die Lebensgefahr sei gebannt, aber in den restlichen Arealen habe er noch Probleme mit Blasenbildung. Aktuell diskutiere das Team darüber, wie sie weiter vorgehen sollen, um perspektivisch vorzusorgen, sodass der Patient auf so wenig Verbände wie möglich bzw. keine mehr angewiesen ist. Ein Gedanke sei, dass auch kleinere Areale mit der gleichen Therapiemethode versorgt werden könnten.
Kückelhaus betont auch verstärkt, wie wichtig die Zusammenarbeit mit Zentren ist – in diesem Falle einem Zentrum für Epidermolysis bullosa –, „damit die Patienten bis auf den Grund diagnostiziert und subtypisiert“ werden können. Das sei wichtig für den zu erwartenden klinischen Verlauf und die Behandlung, sowie im Falle einer möglichen kausalen Therapie. „Kooperationen in solchen schwierigen Fällen sind sehr wichtig: Plastische Chirugen, Kinderärzte, Dermatologen, Grundlagenforscher, Behörden – sie mussten alle effektiv und zügig zusammenarbeiten. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit ist der Grundstein für eine erfolgreiche Therapie, gerade wenn sie so experimenteller Natur ist.“
Bildquelle: Daniel Klein, unsplash