Dieser Tag hält wieder mehr als einen Notfall für mich bereit. Morgens braucht ein verzweifelter Stammkunde dringend meine Hilfe, dann hängt eine Hochzeit am seidenen Faden.
Ich höre immer wieder, dass viele Menschen den Sinn ihrer Arbeit hinterfragen, und sich unwohl fühlen, wenn sie diesen nicht erkennen können. Davon bin ich weit entfernt; denn die Arbeit in der Vorstadtapotheke ist im Grunde täglich sinnstiftend.
Kürzlich sind wir – da wir hier auch gegen Corona impfen – von einem Verwaltungsamt kontaktiert worden. Sie hätten hier eine Geflüchtete aus der Ukraine, die sich gerne impfen lassen würde. Die Hausärzte in der Umgebung hätten in der Woche allesamt keine Kapazitäten frei. Da wir auf diese Weise wieder genug Menschen zusammen hatten, um ein Vial zu verimpfen, wurde zugesagt.
Die Dame war sehr dankbar für die schnelle Hilfe, und verriet uns dann, es sei ihre erste Impfung überhaupt gewesen. Und bevor wieder ein Aufschrei ertönt: Ja, es lag alles zur ersten Hilfe bereit und wir wissen was zu tun ist, um die Patienten so lange zu stabilisieren bis ärztliche Hilfe im Falle einer Impfkomplikation eintrifft.
Es kommt auch vor, dass wir nur zu zweit arbeiten. Ruft dann jemand an und benötigt einen Botendienst, wird es schwierig, aber nicht unmöglich. Das war auch in der vergangenen Woche so, als Sandra und ich zusammen gearbeitet haben. Der Stammkunde, der anrief, ist älteren Semesters und inkontinent. Er war ratlos, denn seine Windelhosen-Packung war leer – die Frau im Krankenhaus und die Nachbarn nicht zu erreichen.
Natürlich bin ich direkt hingefahren, er war sehr dankbar. Seine Frau hat eine Krebsdiagnose erhalten und wird vermutlich nicht mehr nach Hause zurückkehren. Er muss sich nun um einen Platz im betreuten Wohnen oder in einem Pflegeheim kümmern. Die Zeit, ihm zuzuhören habe ich mir genommen, obwohl ich wusste, dass Arbeit liegen bleibt und es wieder hektisch werden kann.
Kurz vor der Mittagspause kam dann noch ein verzweifelter junger Mann in die Apotheke gerannt: Er hätte gerade einen unklaren Selbsttest gemacht und bräuchte jetzt dringend noch einen Schnelltest. Sein bester Freund heiratet nämlich gleich im Rathaus nebenan und dann könne er nicht dabei sein. Ehrensache, dass wir da noch ein paar Minuten länger bleiben, oder? Der Test war übrigens ganz eindeutig negativ.
Das waren nur drei der Situationen, in denen wir schnell helfen können, wenn wir gebraucht werden. Dass wir für viele Menschen schon Teil der Familie oder des Freundeskreises geworden sind, merken wir ebenfalls. Gerade liegt ein Poesiealbum hier vor mir auf dem Tisch, das eine langjährige Kundin gebracht hat. Sie wird wegziehen und will die Erinnerung an uns mitnehmen. Ich finde das sehr rührend und wenn man auch über die Sprüche oder das Album selbst schmunzeln mag – es ist schon ein gutes Gefühl, wenn man so gemocht wird.
Die Apotheke vor Ort ist nicht zu ersetzen, denn ohne sie wird die Welt wieder ein kleines Stück seelenloser – und das wollen wir doch alle nicht, oder?
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