Würzburger Intensivmediziner veröffentlichen Daten aus dem CRONOS-Register. Fazit: Eine Schwangerschaft an sich ist bereits eine Risikokonstellation für schwere Verläufe bei einer SARS-CoV-2 Infektion.
Eine weitere Erkenntnis aus der Datenlage ist, dass eine COVID-19-Erkrankung, die eine invasive Unterstützung der Atmung erfordert, zudem das Risiko eines schlechten mütterlichen und neonatalen Ausgangs erhöht. Die Wissenschaftler raten daher dringend zur Impfung. Diese schützt Schwangere – und damit auch letztlich die Kinder – vor schweren Verläufen.
Bislang galten Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Leber, Niere und Atemwege sowie Diabetes, Krebs, Übergewicht und Rauchen als Risikofaktoren für einen schweren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung. Nach den Erkenntnissen aus der Studie zum CRONOS-Register muss auch eine Schwangerschaft als Risikofaktor gezählt werden. Denn selbst junge, gesunde Frauen, die ein Kind erwarten und sich mit SARS-CoV-2 infizieren, können einen derart schweren Verlauf haben, dass sie intensivmedizinisch behandelt werden müssen – sofern sie nicht geimpft sind.
Als Beispiel für die neue Erkenntnislage kann der Infektionsverlauf von Melissa Wanner angesehen werden. Die 24-Jährige war in der 26. Schwangerschaftswoche, als sie plötzlich Gliederschmerzen und Schüttelfrost bekam. Als der PCR-Test positiv ausfiel, wurde sie umgehend mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht – ihr Gesundheitszustand wurde zusehends kritischer. Nach der Verlegung auf die Intensivstation bekam sie zunächst Sauerstoff über die Nase, doch die Sauerstoffsättigung im Blut sank weiter, von 90 Prozent bis auf 80 Prozent. Die nichtinvasive Beatmung brachte auch keinen Erfolg.
Wanner litt mehr und mehr an Panikattacken. „Ich habe mir die Maske vom Gesicht gerissen, um mich geschlagen und sogar eine Schwester gebissen“, sagt sie. „Ich war in jeglicher Hinsicht keine einfache Patientin.“ Schließlich wurde die werdende Mutter am 5. September ins Koma versetzt und erhielt neben der künstlichen Beatmung über einen in der Luftröhre platzierten Beatmungsschlauch eine externe Lungenunterstützung für extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO).
Nach zwei Wochen wurde sie langsam geweckt. Mit jedem Schritt, den sie wieder laufen lernte, mit jedem Schluck, den sie wieder trinken lernte, fasste sie Zuversicht. Und schließlich nahm sie auch auf dem CTG die Herztöne ihres Kindes wieder wahr. In der 32. Schwangerschaftswoche durfte sie nach Hause. Sie war nur noch einmal in der Klinik: Zur Entbindung ihres gesunden Sohnes. Wie bei vielen Kindern von Müttern, die sich während ihrer Schwangerschaft mit Corona infiziert haben, kam auch ihr Sohn per Kaiserschnitt auf die Welt.
„Melissa Wanner hatte Glück, dass ‚nur‘ die Lunge betroffen war. Wären weitere Faktoren wie ein Herz-Kreislaufversagen, Nierenversagen, Sepsis oder Thrombosen hinzugekommen, wäre die Behandlung so erfolgreich wahrscheinlich kaum möglich gewesen. Aufgrund des schweren Lungenversagens musste sie sogar abwechselnd in eine modifizierte Bauchlage, der 135-Grad-Lagerung, verbracht und beatmet werden“, berichtet Dr. Daniel Röder, Oberarzt der Intensivstation und Leiter des ECMO-Zentrums an der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerzmedizin.
Magdalena Sitter, die sich als Assistenzärztin wissenschaftlich mit schweren Covid-Verläufen befasst, fügt hinzu: „Es ist hier in Deutschland zwar glücklicherweise sehr selten, aber einige Schwangere überleben solche schweren Verläufe nicht. In unserer ersten Auswertung der CRONOS-Registerstudie sind vier von 101 Schwangeren, die aufgrund einer Corona-Infektion intensivmedizinisch behandelt werden mussten, gestorben, sechs Föten wurden tot geboren.“
Im CRONOS-Register sind (Stand 11.02.2022) 4.633 Frauen aus Deutschland registriert, die sich während ihrer Schwangerschaft mit SARS-CoV-2 infiziert haben. Die gewonnenen Daten sollen interdisziplinären Behandlungsteams aus Pflege, Hebammen, Ärzteschaft und psychosozialem Dienst eine Grundlage zur Behandlung und Beratung betroffener Patientinnen geben.
202 der gemeldeten 4.633 Schwangeren hatten oder haben einen schweren COVID-19 Verlauf. Um die Auswertung dieser Verläufe und entsprechenden Schlussfolgerungen kümmert sich eine Task Force, der auch Prof. Peter Kranke, Oberarzt und Bereichsleiter der geburtshilflichen und gynäkologischen Anästhesie am Uniklinikum Würzburg, angehört. „Wir sind vielen schweren Verläufen noch einmal nachgegangenen, haben die behandelnden Kliniken um weitere Informationen zur Behandlung gebeten, die über die Sammlung im Register hinausgingen“, schildert Kranke. „Wir bündeln, was bei welcher Patientin gut und bei welcher nicht so gut angeschlagen hat und versuchen daraus Empfehlungen für die bestmögliche Therapie abzuleiten. Basierend auf diesen Erkenntnissen und Auswertungen und im Schulterschluss mit Geburtshilfe und Kinderheilkunde beraten wir Kolleginnen und Kollegen aus anderen Krankenhäusern. Wie lange kann man nicht invasiv beatmen? Wann und in welchem Ausmaß ist eine Heparin-Therapie sinnvoll? Wann eine Kortison-Therapie? In welcher Dosierung, welche Präparate?“
Bei Patientin Wanner standen für das Behandlungsteam zwei Fragen im Fokus: Zum einen die Frage nach der geeigneten Therapieeskalation, zum anderen die Frage nach dem besten Zeitpunkt der Entbindung. „Hier wurde eng mit der Frauenklinik und dem Team von Prof. Wöckel sowie der Kinderklinik und dem Team von Prof. Härtel kooperiert und tägliche Visiten sowie interdisziplinäre Besprechungen mit den Kolleginnen und Kollegen der Frauenklinik standen auf dem Plan“, berichtet Prof. Patrick Meybohm, Direktor der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie am Uniklinikum Würzburg. Neben dem Wohlbefinden und den Parametern für Lungen- und Herzkreislauffunktion von Wanner wurde auch das Wachstum und Wohlergehen des Kindes gemeinsam in enger Zusammenarbeit der Fachdisziplinen überwacht.
Erste Daten aus dem CRONOS-Register zu schwangeren Frauen und Müttern, die wegen COVID-19 intensivmedizinisch behandelt werden müssen, sind jetzt im Journal of Clinical Medicine erschienen. Die Frauen, die intensivmedizinisch behandelt werden mussten, waren im Durchschnitt 33 Jahre alt und in der 33. Schwangerschaftswoche. Bei 30 von den 101 untersuchten Fällen war nur eine Behandlung mit Sauerstoff notwendig, 22 erhielten eine nicht-invasive Beatmung, 28 eine invasive Beatmung und 15 eine ECMO. Signifikante klinische Unterschiede zwischen den Patientinnen, die verschiedene Formen der Beatmungsunterstützung erhielten, wurden nicht festgestellt. Die Frühgeburtenrate bei den Frauen, die eine invasive Beatmungsbehandlung erhielten, war jedoch signifikant höher.
„Schlussendlich erhöht eine COVID-19-Erkrankung, die eine invasive Unterstützung der Atmung erfordert, das Risiko eines schlechten mütterlichen und neonatalen Ausgangs“, resümieren Kranke und Meybohm. „Vorerkrankungen, wie Diabetes, Bluthochdruck und Adipositas, erhöhen das Risiko für schwere Verläufe. Wir haben aber auch gesehen, dass Schwangere ohne Vorerkrankungen schwer erkranken können, die Schwangerschaft an sich ist eine Risikokonstellation für schwere Verläufe. „Daher haben wir den Schwangeren im Rahmen der Infoabende für werdende Eltern frühzeitig empfohlen sich gemäß den Empfehlungen impfen zu lassen. Die Impfung schützt – wie bei allen anderen Patienten auch – vor einem schweren Verlauf!“
Doch warum ist die Schwangerschaft ein Risiko für einen schweren Verlauf? „Die immunologischen Mechanismen, die hier zusammenspielen, sind noch nicht endgültig geklärt", sagt Prof. Achim Wöckel, Direktor der Universitätsfrauenklinik Würzburg. „In jedem Fall steigt die mütterliche Morbidität und Mortalität deutlich an, wenn man ungeimpfte mit geimpften Schwangeren vergleicht.“ Unabhängig von COVID-19 sind auf Grund physiologischer Veränderungen schwangere Frauen besonders anfällig für virale Infektionen. Eine Infektion mit SARS-CoV-2 kann daher schnell zu Lungenfunktionsstörungen bis hin zum Lungenversagen führen. „Um die Infektionen bei Schwangeren und auch die Schwere potentieller Infektionen zu reduzieren, empfehlen unsere Fachgesellschaften und die Stiko sehr klar eine Impfung ungeimpfter Schwangerer ab dem 2. Trimenon sowie aller ungeimpfter Stillenden mit den mRNA Impfstoffen inklusive einer Booster-Impfung“, so Wöckel weiter.
Zu Beginn der Pandemie haben Frauenklink und Intensivmedizin des UKW zum Beispiel das bundesweite COALA-Register (Covid-19 related Obstetric Anaesthesia Longitudinal Assessment-Registry) entwickelt. Über das Register wurden Daten zu Verdachts- und bestätigten SARS-CoV-2-Fällen bei Schwangeren zum Zeitpunkt der Geburt erhoben. Das CRONOS-Register geht einen Schritt zurück und registriert grundsätzlich alle Schwangeren mit Corona-Infektion, unabhängig von der Schwangerschaftswoche.
Neben der Würzburger Task Force für schwere Verläufe gibt es weitere Arbeitsgruppen wie etwa für das Kollektiv der Schwangeren mit Diabetes und SARS-CoV-2 Infektionen, oder zur Auswertung der neonatologischen Outcomes, also des Wohlergehens der Neugeborenen. „Nach heutigem Kenntnisstand erhöht die Covid-Infektion der Schwangeren das Risiko für eine Frühgeburt, was die Neugeborenen anfälliger macht für Atemstörung, Infektionen, aber auch Langzeitprobleme nach sich ziehen kann“, bemerkt Prof. Christoph Härtel. „Reifgeborene Kinder Covid-positiver Mütter haben glücklicherweise zumeist milde Verläufe, selten kann es jedoch zu schweren Anpassungsstörungen kommen.“
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Universitätsklinikums Würzburg. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
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