Der Aufwärtstrend bei den Corona-Zahlen nimmt kein Ende. Droht den Kliniken bald wieder die Überlastung?
Das RKI vermeldet täglich Rekorde bei den Corona-Infektionen: Am Donnerstag, 17. März, lag die Zahl der Neuinfektionen bei 294.931 – das sind 32.179 Fälle mehr als noch am Donnerstag vor einer Woche. Die Sieben-Tage-Inzidenz steigt auf 1651,4. Dabei sah es im Februar noch ganz danach aus, als näherten wir uns dem Ende der fünften Welle.
Doch der Mix aus massiver Ausbreitung der infektiöseren Omikron-Untervariante BA.2, unvorsichtigerem Verhalten in der Bevölkerung und geringeren Kontaktmaßnahmen lassen die Zahlen in die Höhe schnellen. Das erinnert stark an das Frühjahr 2021, als Deutschland wegen rasant steigender Infektionszahlen erneut in den Lockdown schlitterte und schließlich im April auf die Corona-Notbremse treten musste.
Trotzdem ist die großflächige Beendigung der Corona-Maßnahmen jetzt zum Greifen nah – worüber derzeit in der Politik heftig gestritten wird (wir berichteten). Neben den Kritikern gibt es aber auch Befürworter, wie Bioinformatiker Lars Kaderali aus Greifswald, der Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung ist. Er hält die angekündigten Lockerungen für vertretbar, denn: „Bundesweit steigen die Corona-Zahlen zwar, die Situation in den Krankenhäusern ist aber noch undramatisch“, sagt er. Allerdings fordert er, vorsichtig zu lockern und nur mit der Option, wieder zurückzugehen.
Ein Grund dafür ist, dass das Virus auf Bevölkerungsebene auch nicht mehr so bedrohlich zu sein scheint wie noch im letzten Winter und Frühjahr, als ein Großteil der Bevölkerung noch ungeimpft und damit ungeschützt war. Angesichts der schieren Zahl an Corona-Infektionen stellt sich derzeit trotzdem die Frage: Wie schlimm wird's noch? Müssen wieder mehr Corona-Infizierte zur Behandlung ins Krankenhaus?
Ein Blick in andere Länder liefert erste Hinweise, wie es in Deutschland weitergehen könnte. Zum Beispiel hat sich Dänemark schon im Februar von fast allen Corona-Maßnahmen verabschiedet – trotz hoher Infektionszahlen. Grund dafür waren eine hohe Impfquote, insbesondere unter den Älteren, sowie eine stabile Lage in den Kliniken. In den Wochen danach stieg insbesondere ein Wert massiv an: Die Corona-Todeszahlen.
Für das dänische Gesundheitsinstitut SSI ist das aber keine Folge der Lockerungen. Auf seiner Website erklärt das Institut, dass die rapide ansteigenden Todeszahlen für COVID-19 auf die weite Verbreitung von Omikron zurückzuführen sei. Aber nicht etwa, weil die Variante gefährlicher ist und zu schwereren Verläufen führt, sondern weil sich die Datenerhebung dadurch verändert habe. Das SSI erklärt das Problem so: Seit Beginn der Pandemie wird nicht zwischen „an“ oder „mit“ COVID-19 gestorben unterschieden. Jeder Todesfall wird als Corona-Todesfall gezählt, bei dem innerhalb von 30 Tagen vor dem Todesdatum ein positiver PCR-Test vorlag.
Weil Omikron so hochinfektiös ist und gleichzeitig mit milderen Verläufen einhergeht, findet man nun auch viele Infektionen in den Krankenhäusern. Die Infektion mit dieser neuen „milderen“ Variante sei nach Auswertung des Todesfallregisters in den meisten Fällen aber nicht die Haupttodesursache, sondern eher beiläufig festgestellt worden – das Institut wertet unter anderem aus, welche Patienten Covid-spezifische Medikamente in der Klinik erhalten.
Anders sah das laut SSI noch bei der Delta-Variante aus, hier hätte man die meisten Corona-Todesfälle auch auf die Infektion zurückführen können. Wie das Institut schreibt, sei die Sterblichkeit in Dänemark ab der ersten Woche 2022 zurückgegangen und nähere sich nun dem normalen und erwarteten Niveau. Auf diesen Umstand macht auch das RKI aufmerksam, allerdings nicht so prominent wie das SSI. Im Wochenbericht vom 10. März heißt es: „Unter dem aktuell sehr hohen Infektionsdruck während der Omikron-Welle wird auch der Anteil der Personen höher, bei denen die dringende stationäre oder intensivmedizinische Behandlung wegen einer Erkrankung notwendig ist, bei der die SARS-CoV-2 Infektion aber nicht unbedingt ursächlich oder allein maßgeblich ist.“
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Kritiker des dänischen Wegs, wie Immunologe Kristian G. Andersen, weisen schon länger darauf hin, dass eine Corona-Infektion eine bestehende Vorerkrankungen verschlimmern könne, die dann zum Tod führe – die Unterscheidung zwischen „an“ oder „mit“ Corona gestorben sei deswegen unerheblich.
Im Gegensatz zu Dänemark, wo die Impfquote bei den über 60-Jährigen bei fast 100 Prozent liegt, haben sich in Deutschland bisher knapp 89 Prozent der über 60-Jährigen grundimmunisiert und nur 73 Prozent von ihnen eine dritte Impfung erhalten. Wegen dieser Impflücke war man hierzulande bislang auch zurückhaltender, was Lockerungen angeht. Gesundheitsminister Karl Lauterbach, bekanntermaßen Mahner für einen vorsichtigen Kurs, warnt auf Twitter angesichts der hohen Inzidenz vor „vielen Toten“.
Ein Extrem-Beispiel dafür, was eine große Impflücke bei einer massiven Ausbreitung von Omikron anrichten kann, ist Hongkong. Lange war die Metropole mit ihrer Zero-Covid-Strategie erfolgreich, wurde jetzt aber doch von der hochansteckenden Omikron-Variante überrollt. Derzeit gibt es dort weltweit die höchsten Corona-Todeszahlen. Zum Vergleich: Während in Deutschland in den letzten 7 Tagen durchschnittlich 2,4 Menschen pro 1 Million Einwohner in Zusammenhang mit Corona gestorben sind, waren es in Hongkong knapp 38. Die Folge: Das dortige Gesundheitssystem ist völlig überlastet. Lokalen Medienberichten zufolge hatten selbst Leichenhallen zwischenzeitlich keine Kapazitäten mehr, sodass Corona-Tote auf Klinikfluren und in Patientenzimmern zwischengelagert werden mussten.
Das Problem dort ist vor allem die Impfskepsis in der älteren Bevölkerung. Bei den über 70-Jährigen wurden bisher nur 65 Prozent zweifach geimpft; über 80-Jährige sind sogar nur zu 36 Prozent vollständig geimpft. Hinzu kommt, dass viele Einwohner den chinesischen Impfstoff Sinovac erhalten haben. Daten aus Singapur deuten darauf hin, dass er weniger gut vor einem tödlichen Verlauf schützt als mRNA-Impfstoffe von Biontech und Moderna. Immerhin: So dramatisch wie in Hongkong wird es in Deutschland dank der viel höheren Impfquote wohl nicht werden.
Bildquelle: Kristel Velez, Unsplash