Überlastete Hausärzte können mit Blick auf die kommenden Lockerungen nur den Kopf schütteln. „Das Gesundheitswesen soll offiziell nicht überlastet sein, aber das sehe ich nicht so“, sagt die bloggende Hausärztin Schwesterfraudoktor.
Die Inzidenzen steigen und trotzdem sollen bald viele Schutzmaßnahmen, die im Zuge der Corona-Pandemie eingeführt wurden, beendet werden. Der Alltag ist an vielen Orten zurückgekehrt, aber wie sieht es bei den Ärzten in Praxen und Kliniken aus?
„Aktuell ist die Corona-Situation in der Praxis schlimmer denn je“, erzählt die Hausärztin und Bloggerin Schwesterfraudoktor. „Das Gesundheitswesen soll offiziell nicht überlastet sein, aber das sehe ich nicht so.“ Die Intensivstationen seien vielleicht nicht ganz so überlaufen wie im letzten Jahr, aber sicher auch nicht gerade leer. „Der ambulante Bereich ist zur Zeit der leidtragende. Wir jonglieren zwischen akuten Covid-Fällen, die wir nach der Sprechstunde sehen oder nach der Sprechstunde abtelefonieren, und Patienten mit Post- bzw. Long-Covid.“ Die akuten Fälle lägen meist als Rückrufwünsche auf ihrem Schreibtisch. Da stehe dann sowas wie: „Hohes Fieber, Schnelltest positiv, bittet um Rückruf“ oder „im Kindergarten mehrere Corona-Fälle, Frau XY mit Halsschmerzen und Fieber.“
„Neulich telefonierte ich mit einer Patientin, deren Sohn die Infektion aus der Schule mitbrachte und 12 Familienmitglieder infizierte.“ Man könne beobachten, dass Patienten mit Booster-Impfung die Infektion als „leichte bis heftige Erkältung“ wahrnehmen. Ungeimpfte oder nur einfach Geimpfte seien meistens schlechter dran. „Ein schweres Krankheitsgefühl, schneidende Halsschmerzen und Beklemmungen bei der Atmung sind da nicht selten.“
Besonders belastend komme aber nun hinzu, dass auch Mitarbeiter sich vermehrt anstecken. „Zwei Jahre haben wir die Infektion der Praxis fernhalten können, aber wer zuhause mit Kindern unter einem Dach lebt, wird früher oder später mit dem Virus konfrontiert werden. Durch die aktuellen Lockerungen werden wir alle dem nicht entgehen können.“
Die Hausärztin Doc Frauke berichtet der Redaktion: „Wir haben nur milde Verläufe, vielleicht einer von hundert mit längerer Luftnot oder Herzbeschwerden, aber unsere Patienten sind auch alle geimpft. Mit Long-Covid haben wir nur eine Patientin.“ Aber auch dort arbeiten die Ärzte und medizinischen Fachangestellten am Rande ihrer Kräfte. „WIR sind am Anschlag, weil wir vor lauter Covid-Patienten nichts Anderes mehr schaffen!“
Auch die Mediziner aus den Kliniken machen sich ihre Gedanken. Ein Arzt berichtet auf Twitter: „Wisst ihr eigentlich, dass uns Covid hier im Krankenhaus so richtig um die Ohren fliegt? Ich mache den Scheiß jetzt seit der 1. Welle mit. So viele positive Patienten und Mitarbeiter hatten wir noch nie (!).“ Der einzige Unterschied sei die Intensivbelegung, die sei deutlich niedriger als in den letzten Wellen. Aber auch momentan müssten die Pfleger und Ärzte ihre verbleibenden Ressourcen schon wieder fast ausschließlich in den (privaten wie beruflichen) Kampf gegen Corona stecken.
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Auch der DocCheck Blogger Narkosedoc ist nicht begeistert von weitreichenden Lockerungen der Maßnahmen. Er berichtet der DocCheck Redaktion: „Die Situation ist sehr ambivalent. Wir haben niemanden mehr auf der Intensivstation. Es gibt zwar immer wieder Kandidaten von denen wir denken: Na, die kommen bestimmt gleich ‚rauf‘ (= auf die Intensiv) – aber die meisten Akutverläufe sind auch bei den Ungeimpften mittlerweile relativ harmlos.“
In der Klinik, in der er arbeitet, hätten sie teils massive Einschränkungen beim Personal, weil viele symptomatisch positiv (und nicht nur einfach laborpositiv) seien. „Die Leute sind trotz Impfung einfach krank, mit Fieber, allgemeinem Unwohlsein und vor allem eben nicht arbeitsfähig. Es werden Stationen zusammengelegt. Heute stehen 2 OP-Säle, weil einfach kein Personal da ist. Teils selber infiziert, teils Kinder infiziert und in Isolation zu Hause, die müssen eben betreut werden.“
Die Intensivstationen seien momentan eher weniger belastet, aber der Intensivmediziner ist trotzdem besorgt. „Wir wissen immer besser, dass die Akuterkrankung (beatmet auf dem Bauch, ECMO etc.) NICHT mehr das Problem ist. Aber, wir wissen auch immer besser, wie Covid langfristig Schaden anrichtet und das ist schon gruselig. Das ist alles andere als harmlos oder ein Schnupfen, aber die Leute wollen halt irgendwie weiter ihr Leben leben (s. Karneval) – koste es, was es wolle. Es erschreckt mich zu sehen, dass immer noch etwa ein Viertel der Leute komplett ungeimpft sind. Die haben so gesehen Glück, dass sich mit Omikron eine Variante durchgesetzt hat, die akut sehr mild verläuft.“ Er glaube aber nicht, dass das die letzte Infektionswelle war. „Die nächste Variante wird kommen und auf knapp 20 Millionen Ungeimpfte stoßen – von Herdenimmunität sind wir weit entfernt. Wir nehmen es, wie es kommt.“
Bildquelle: Luke Jones, unsplash