Ukraine-Helfer in Bedrängnis: Krieg und Flucht in der Ukraine führen zu Versorgungs- und Behandlungsengpässen im gesamten Land. Eine ukrainische Ärztin berichtet.
Für Dr. Irina Markevych begann der erste Teil des Krieges – und damit auch ihre humanitäre Arbeit – bereits 2014 mit dem Einmarsch Russlands auf der Krim. Seitdem engagiert sich die gebürtige Ukrainerin bei der Hilfsorganisation „Herz für die Ukraine“ in Hannover. Während zwischen 2014 und Anfang diesen Jahres zwar auch medizinische Hilfslieferungen koordiniert wurden, waren es in den vergangenen Jahren vor allem auch Aufbau- und infrastrukturelle Hilfe, die geleistet wurden. Das ist nun anders.
Es sind nicht allein der Arbeitsalltag und die zusätzliche Belastung durch die Koordination der Unterstützungsarbeit, die viele Menschen mit ukrainischen Wurzeln – wie Dr. Irina Markevych – belasten. Auch die persönliche Situation sowie die Sorge um Familie und Verwandte lässt einen nachdenken.
„Meine Familie und Bekannte kommen aus einer Stadt nahe der polnischen Grenze und waren noch dort, als der Krieg ausgebrochen ist. Zum Glück sind viele aber mit einem Bus aus dem Land gekommen, wie meine Mutter und Patentante. Meine Arztkollegen sind aber in der Ukraine dortgeblieben – insbesondere in Kiew und anderen Großstädten“, erklärt Markovych.
Auch hatte die in Hannover praktizierende Ärztin zudem „Glück“, ihr Studium in Deutschland absolviert zu haben. Ukrainische Ärzte werden nach ihrem Abschluss nämlich zunächst zur Wehrpflicht eingezogen – womit sie heute vermutlich eher im Kriegsgebiet, statt in Niedersachsen wäre.
Dass nun der Terminkalender ihres Berufsalltags um die Arbeit im Verein „Herz für die Ukraine“ ergänzt wird und ihr Pensum nochmals steigert, sei anstrengend, aber so nötig wie sinnvoll. Denn auch wenn die Hilfsbereitschaft von offiziellen wie auch privaten Stellen enorm ist, bedarf es im Grunde noch mehr Zeit, um die Hilfslieferungen zu koordinieren und Hilfe zu leisten.
„Schade, dass der Tag nur 24 Stunden hat, wir bräuchten eindeutig mehr Zeit. Wir stecken Hals über Kopf in Arbeit. Wir suchen in ganz Deutschland, Polen und darüber hinaus nach Anlaufstellen, wo wir medizinisches Material organisieren können“, erklärt die Medizinerin ihren aktuellen Arbeitsalltag.
Um das richtige und benötigte Material für die Menschen vor Ort einzukaufen und weiterzuleiten, ist Markevych mit Institutionen und medizinischen Einrichtungen vor Ort direkt in Kontakt. Die Hilfsgüter stammen dabei bisher vor allem von der Bundeswehr, Apothekerverbänden oder medizinischen Hochschulen. „Leider ist es dennoch nicht ausreichend und meist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Viele Einrichtungen sind bereits auf Wochen hin ausverkauft, was die wichtige Notfallmedizin und Verbandsmaterial betrifft.“
Ist das Material erst einmal in Hannover eingetroffen und fertig zum Transport, tauscht sie sich mit ihrer Kontaktstelle in Lwiw aus. In der westukrainischen Stadt wird der gesamte Bestand gesammelt und von dort aus weiterverteilt. Zum einen, weil der Transport dorthin noch weitestgehend gefahrlos möglich ist; zum anderen, weil der akute Bedarf von dort aus noch besser überblickt werden kann. Kranken- und Geburtshäuser können so schneller erreicht werden.
„Leider sind auch die Transporte, die von dort dann in kleinere Ortschaften oder in die ostukrainischen Städte ausgehen, absolut nicht ungefährlich. So sind bei diesen Fahrten traurigerweise auch schon einige unserer Fahrer ums Leben gekommen. Auch wenn es nicht so dramatisch kommt, dauern die Fahrten sehr lange – zumal die Entfernungen groß sind, Brücken und Straßen zerstört und auch die Hilfskorridore von den Russen beschossen werden.“
Allgemein ist der Bedarf an medizinischem Material gewaltig. Um die konkreten Materialien und Medikamente zu ermitteln und die Hilfspakete sinnvoll zu bündeln, teilt Dr. Markevych die Bedürftigen in drei Gruppen. Die erste Gruppe sind Personen mit Kriegsverletzungen, die notfallmedizinisch betreut und versorgt werden müssen. Hier bedarf es beispielsweise Analgetika, Hämostatika, Verbandsmaterial, Erster Hilfe-Sets, Celox, Antiseptika oder Desinfektionsmittel.
In der zweiten Gruppe sind Personen, die chirurgisch versorgt werden müssen. Hier sind es vor allem OP-Material/Instrumente oder Infusionslösungen, die zusammengepackt werden.
Die dritte und größte Gruppe umfasst alle anderen Personen – insbesondere die Massen an Geflüchteten, die nun auf ein ohnehin strapaziertes Gesundheitssystem treffen und eine grundlegende allgemeinmedizinische Versorgung benötigen. In diesen Gebieten brauchen die Ärzte vor Ort Breitbandantibiotika, Antihistaminika, Insulin oder Neuroleptika.
Darüber hinaus wird im gesamten Land jedoch auch allgemeine medizinische Grundausrüstung dringend benötigt, so zum Beispiel: Pulsoximeter, Thermometer, Blutdruckgeräte, Stethoskope, Krankentragen, Wärmelampen, Beatmungsgeräte.
„Wir haben das erste große Chaos überstanden. Einerseits haben nun sehr viele deutsche oder internationale Einrichtungen ihre Kontakte aktiviert. Die Hilfe kommt aus vielen Richtungen und die Lager in Polen sind relativ voll. Andererseits weitet sich der Krieg ja aus und die Verbindungen werden auch schwieriger. Dazu kommt, dass Schmuggler und Kriminelle die Lieferungen teils abgreifen oder falsch weiterleiten. Das ist traurig, anzusehen“, berichtet Markevych aus ihren Erfahrungen.
Was die nähere Zukunft betrifft, macht der Ärztin mit den ukrainischen Wurzeln vor allem die allgemeine Unberechenbarkeit der Lage Sorgen. „Wir können nicht sagen, was noch alles passiert. Wir wissen nicht, ob ein Krankenhaus, das heute noch steht und funktioniert, morgen schon zerstört ist und noch mehr Menschen Hilfe suchen. Wir machen uns auf das Schlimmste gefasst und tun gleichzeitig unser Bestes.“
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