Patientenberichtete Endpunkte werden oft viel zu kurz erhoben. Prägnantes Beispiel: Abemaciclib bei fortgeschrittenem Brustkrebs.
Abemaciclib in Kombination mit Fulvestrant wird zur Behandlung postmenopausaler Patientinnen mit Hormonrezeptor-positivem, HER2-negativem lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Brustkrebs eingesetzt. Nach Ablauf der Befristung eines Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) den Zusatznutzen erneut untersucht – mit durchwachsenem Ergebnis. Verkürzt erhobene Daten zu Lebensqualität, Symptomen und Nebenwirkungen beeinträchtigen die frühe Nutzenbewertung.
Insbesondere patientenberichtete Endpunkte (patient-reported outcomes, kurz: PROs) wurden in den Studien zu Abemaciclib deutlich zu kurz beobachtet, sodass nur Aussagen über einen kleinen Teil der gesamten Beobachtungszeit getroffen werden können. Diese verbreitete Praxis beeinträchtigt nicht nur die frühe Nutzenbewertung, sondern auch die Entscheidungen für oder gegen weitere Behandlungsoptionen für die schwer kranken Betroffenen. Weitere methodische Probleme lassen eine Interpretation der meisten patientenberichteten Endpunkte nicht zu.
Der Hersteller hat die Daten seiner Studie MONARCH plus erstmals nach Art der Vorbehandlung getrennt aufbereitet, sodass für die Bewertung nun entsprechende Daten aus zwei Studien (MONARCH 2 und MONARCH plus) zur Verfügung stehen.
Für Frauen, die bis dahin noch keine endokrine Therapie erhalten haben, ist ein Zusatznutzen gegenüber Fulvestrant allein nicht belegt. Wurde bereits eine endokrine Therapie absolviert, gibt es im Fall von viszeralen Metastasen – vor allem aufgrund einer statistisch signifikanten Verlängerung des Gesamtüberlebens – einen Beleg für einen beträchtlichen Zusatznutzen. Betroffene mit nicht viszeralen Metastasen überleben dagegen mit Abemaciclib nicht statistisch signifikant länger als ohne, sodass hier die Nachteile in anderen Endpunkten das Ergebnis prägen. Es verbleibt ein Hinweis auf einen geringeren Nutzen im Vergleich zu einer alleinigen Fulvestrant-Behandlung.
Für die – nach 2019 und 2020 nunmehr dritte – frühe Nutzenbewertung von Abemaciclib in dieser Indikation liegen erstmals Angaben zu den medianen Behandlungs- und Beobachtungsdauern in den relevanten Teilpopulationen der beiden Studien vor. Die Behandlungsdauer ist in beiden Studien im Interventionsarm jeweils deutlich länger als im Kontrollarm. Zudem sind die Beobachtungszeiten für die Endpunkte Morbidität (patientenberichtete Symptomatik), gesundheitsbezogene Lebensqualität und Nebenwirkungen jeweils systematisch und erheblich verkürzt, da sie lediglich während und kurz nach der Behandlung mit der Studienmedikation erhoben wurden. Wie die Abbildung zeigt, decken diese Daten nur etwa ein Viertel der medianen Überlebenszeit ab.
Eine solche systematische Verkürzung der Erhebung patientenberichteter Endpunkte auf die Zeit der Behandlung ist in den Studien, die Hersteller in Dossiers für die frühe Nutzenbewertung einreichen, häufig zu verzeichnen – wenn auch nicht immer so gravierend wie in diesem Fall. Sie fällt besonders dann ins Gewicht, wenn Studien nach dem Behandlungsende (bedingt etwa durch eine Progression der Erkrankung oder Abbruch wegen starker Nebenwirkungen) lange weiterlaufen, weil die Teilnehmer oft noch Jahre leben.
Die verkürzte und zudem in den Studienarmen ungleich lange Datenerhebung schränkt die Interpretierbarkeit der Studienergebnisse stark ein. Beispielsweise ist nicht zu erkennen, ob eine Verschlechterung des Zustands, von der die Betroffenen am Behandlungsende berichtet haben, wirklich von Dauer ist, oder sich womöglich kurz danach für den – sehr langen – Rest der Studienlaufzeit wieder gelegt hat. Zudem ist eine anhaltende Verschlechterung während der Behandlung im jeweils länger beobachteten Studienarm (hier dem mit Abemaciclib) möglicherweise allein aufgrund der größeren Zeitstrecke unwahrscheinlicher: eine potenzielle Verzerrung zugunsten des Wirkstoffs.
Dabei interessieren sich nicht nur die Mitarbeiter des IQWiG im Zuge ihrer Dossierbewertungen für den weiteren Verlauf der Lebensqualität und der Symptome nach Behandlungsende und Progression, sondern auch die Betroffenen und ihre Ärzte. Schließlich müssen sie sich über das Ob und Wie einer anschließenden weiteren Behandlung verständigen, wofür sie beispielsweise einen möglichen Zugewinn an Lebenszeit gegen drohende Beeinträchtigungen der Lebensqualität abwägen müssen.
Auch in den beiden MONARCH-Studien hat ein Großteil der Teilnehmerinnen nach dem Behandlungs- und Beobachtungsende mindestens eine weitere systemische Therapie in Anspruch genommen.
„Die Studien, die die Hersteller im Zuge des AMNOG vorlegen, sind oft noch stark auf die Zulassung zugeschnitten“, erklärt Thomas Kaiser, Leiter des Ressorts Arzneimittelbewertung im IQWiG. „In solchen Studien werden Daten zu patientenberichteten Endpunkten zu kurz erhoben, z. B. nur bis zur Progression der Erkrankung. Aber natürlich sind für die Betroffenen Symptome und Lebensqualität auch nach einer Verschlechterung der Erkrankung relevant.“
Stark verkürzt erhobene Daten zu patientenberichteten Endpunkten lieferten keine Antworten auf die Frage, ob es den Betroffenen mit einem Arzneimittel auf Dauer besser oder schlechter geht als mit einer anderen Behandlung. Dafür müsse der Zeitverlauf ihres Zustands möglichst lange, also bis zum Studienende, erfasst werden. „Hersteller müssen damit rechnen, dass künstlich verkürzt erhobene Daten die Bewertungsergebnisse künftig nicht mehr maßgeblich beeinflussen können – nicht trotz, sondern gerade wegen der Wichtigkeit patientenberichteter Endpunkte“, wie Kaiser betont.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Михаил Павленко, Unsplash