Zur Hyposensibilisierung wurde in Deutschland eine nie dagewesene Zahl an klinischen Studien durchgeführt. Trotzdem schaffen es nur wenige Produkte in die Zulassung. Woran liegt's?
Allergien sind eine häufige Erkrankung. Es gibt zwar viele zugelassene Behandlungen für Allergiesymptome, doch nur die Allergenimmuntherapie (AIT) bietet die Möglichkeit, die Allergie kurativ zu behandeln. Dabei wird das Immunsystem mit der AIT quasi trainiert, damit es auf die Allergene nicht mehr die unerwünschten Reaktionen zeigt. Die Behandlung erfolgt meist über mehrere Jahre. Zulassungsbehörden sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in der Europäischen Union – und damit auch in Deutschland – verlangen, dass AIT-Produkte im Rahmen einer Zulassung nachweisen, dass sie sicher, wirksam und von angemessener Qualität sind.
Der Nachweis für die Sicherheit und Wirksamkeit eines Produkts wird in der Regel in randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studien erbracht. In Phase II wird eine sichere und wirksame Dosis ermittelt und große Phase-III-Studien dienen dazu, Wirksamkeit und Sicherheit der Therapie nachzuweisen. In den letzten Jahrzehnten wurde eine noch nie dagewesene Anzahl solcher kontrollierten klinischen Studien für viele AIT-Produkte durchgeführt.
Viele dieser Studien erfolgten aufgrund der 2008 in Deutschland in Kraft getretenen Therapieallergen-Verordnung (TAV). Diese Verordnung verpflichtet die Hersteller von AIT-Produkten, eine Zulassung für die Behandlung von Allergien zu beantragen, von denen in Deutschland eine große Zahl von Patienten betroffen ist und für die die Durchführung eines klinischen Entwicklungsprogramms als machbar und sinnvoll erachtet wird. Bei diesen Zulassungsanträgen müssen die Hersteller klinische Entwicklungsprogramme nach dem aktuellen Stand der Technik durchführen, um die Sicherheit und Wirksamkeit ihrer Produkte nachzuweisen. Dies gilt auch, wenn das Produkt bereits ohne Zulassung vertrieben wurde, bevor es die aktuell gültigen Anforderungen an den Nachweis der Sicherheit und Wirksamkeit gab.
Obwohl aus den öffentlich zugänglichen Registern hervorgeht, dass zahlreiche klinische AIT-Studien abgeschlossen wurden, bleiben die genauen Ergebnisse vieler Arbeiten unveröffentlicht. Vergleichsweise wenige AIT-Produkte werden schließlich in Europa oder den USA zugelassen. So haben beispielsweise von den 123 AIT-Produkten, für die in Deutschland als Reaktion auf die TAV Zulassungsverfahren eingeleitet wurden, bisher nur zwei eine Zulassung erhalten, während 50 Produkte noch zur Zulassung anstehen und 73 Produkte nicht mehr angewendet werden dürfen (entweder aufgrund der Ablehnung durch die zuständige Behörde oder der Rücknahme durch den Antragsteller).
Experten des in Deutschland für die Zulassung von AIT zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts sowie Kollegen der in den USA zuständigen FDA geben in einer Übersichtsarbeit einen Überblick über die wichtigsten regulatorischen Aspekte klinischer Studien zur AIT in der EU und den USA. Er ist gefolgt von einem Überblick zu Problemen und kritischen Aspekten, die bei regulatorischen Bewertungen von Daten aus klinischen Studien festgestellt wurden.
Die Regulatoren machen darin u. a. deutlich, dass das untersuchte AIT-Produkt in seiner qualitativen und quantitativen Zusammensetzung während der gesamten klinischen Entwicklung vergleichbar bleiben muss. Der Nachweis der Wirksamkeit kann zudem nicht nur durch einen statistisch signifikanten Unterschied zwischen der Test- und der Kontrollpopulation erbracht werden, sondern muss auch als klinisch relevant nachgewiesen werden. Ein wichtiger und entscheidender Punkt für eine erfolgreiche klinische Entwicklung ist zudem die Wahl aussagekräftiger Einschluss- und Endpunktkriterien. Post-hoc- oder Subgruppen-Analysen können unterstützend wirken, müssen aber als vordefinierte Kriterien in zusätzlichen Studien überprüft werden und können nicht spontan nach Abschluss einer Studie als entscheidender Beleg für die Wirksamkeit verwendet werden.
Bei der Datenanalyse können unterschiedliche Patientengruppen (Analysepopulationen) aus den klinischen Prüfungen berücksichtigt werden. Dagegen sollte die Datenanalyse für die behördliche Überprüfung auf der Intention-to-Treat-Population basieren, um eine objektive Bewertung der Behandlungswirkung auf die gesamte Studienpopulation zu ermöglichen. Das Intention-to-Treat-Prinzip bedeutet, dass alle Teilnehmer einer Studiengruppe bei der Endauswertung der Studie berücksichtigt bleiben, auch wenn sie im Laufe der Studie ausscheiden oder die Therapie wechseln. Das ITT-Prinzip stärkt die Verlässlichkeit von Studienergebnissen.
Scheinbar widersprüchliche Interpretationen klinischer Daten zwischen Veröffentlichungen und behördlicher Prüfung beruhen häufig auf den unterschiedlichen Zielsetzungen, wobei die behördliche Prüfung die vollständigen Datensätze aller relevanten klinischen Studien für das betreffende AIT-Produkt berücksichtigt, um eine fundierte Entscheidung über die Zulassung zu ermöglichen.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Paul-Ehrlich-Instituts. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Brittany Colette, unsplash