Ob Lableak, Superspreader-Event oder zoonotisches Spillover – alle Hinweise deuten auf einen Ursprung auf dem Huanan-Tiermarkt in China hin. Ein Überblick.
Seit Beginn der COVID-19-Pandemie bleibt eine wesentliche Frage ungeklärt: Woher kommt SARS-CoV-2? Eine weit verbreitete Theorie ist, dass das Virus von Fledermäusen über einen Zwischenwirt auf einem Tiermarkt in Wuhan, China, übertragen wurde. Dieser tierische Zwischenwirt wurde aber bis heute nicht gefunden.
Nun wurden erneut zwei Studien als Preprint veröffentlicht, die die Spur des Corona-Ausbruchs bis zum Huanan Seafood Wholesale Market zurückführen. Eine dritte Studie weist auf einen mindestens zweifachen Virus-Spillover von Tieren auf den Menschen hin – wahrscheinlich von den Tieren, die auf dem Markt verkauft wurden.
Alle drei Studien bestärken die ursprüngliche Hypothese, dass die Pandemie auf dem Markt begann, den die meisten der ersten SARS-CoV-2-Infizierten besuchten. Die Preprints enthalten genetische Analysen von Coronavirus-Proben, die auf dem Markt im Dezember 2019 und Januar 2020 von Infizierten entnommen wurden, sowie geolokalisierende Analysen, die zeigen, dass sich die frühen Fälle auf und um den Markt herum zentrierten.
Eine ähnliche Situation gab es schon bei der SARS-Pandemie in den Jahren 2002 bis 2004, sagt Prof. Kristian Andersen. Virologe am Scripps Research Institute in La Jolla, USA, und Autor von zwei der Veröffentlichungen. Dabei stellte sich heraus, dass Tiermärkte der Ground Zero waren „Das ist ein extrem starker Beweis“, sagt er über die vorhandenen Daten, die auf den Tiermarkt weisen.
Keine dieser Studien liefern jedoch definitive Beweise über das Ursprungstier, das zum ersten zoonotischen Spillover geführt hat, sowie Infos über Patienten Zero. Anderson spekuliert, dass es sich bei den Zwischenwirten möglicherweise um Marderhunde handeln könnte. Sie wurden sowohl auf dem Huanan-Markt, als auch auf drei weiteren Märkten in Wuhan verkauft und werden als Lebensmittel und für ihr Fell genutzt (wir berichteten). Eine der Studien weist darauf hin, dass die Tiere auch auf dem Bereich des Markts verkauft wurden, wo recht viele positive Proben gesammelt wurden. In einer weiteren Studie konnte gezeigt werden, dass die Tiere auch als Wirt für andere Coronaviren dienen.
Einige Wissenschaftler weisen hingegen darauf hin, dass die aktuellen Daten eine alternative Hypothese nicht widerlegen: Der Tiermarkt könne auch einfach nur ein Ort für ein Superspreader-Event gewesen sein, bei dem eine SARS-CoV-2-infizierte Person das Virus an viele weitere übertragen hat. Doch ob Superspreader-Event oder erstes Spillover, der Markt spielte wohl eine zentrale Rolle zu Beginn des Pandemiegeschehens.
Auch die WHO nahm eine investigative Untersuchung auf und veröffentlichte ihren Bericht bereits im März 2021: Zwar waren demnach die etwa 200 Tierproben negativ, jedoch waren etwa 1.000 der gesammelten Umweltproben, also z.B. von Abflüssen, Käfigen, Toiletten und Verkaufsständen im Bereich des Markts, positiv.
Auch Anderson und sein Team veröffentlichten kurz darauf ein Preprint: Demnach ist der südwestliche Bereich des Markts wahrscheinlich das Epizentrum des Ausbruchs. Die Auswertung der WHO-Investigation, Zeitungsartikeln, sowie Audio- und Videoaufnahmen von Ärzten und Patienten in Wuhan lassen diesen Schluss zu. Die georäumliche Analyse ergab, dass sich 156 Fälle aus Dezember 2019 eng um den Markt gruppierten, hingegen die Fälle aus Januar und Februar 2020 sich schon weiter über Wuhan verteilten.
Die Forscher untersuchten außerdem die Standorte der auf dem Markt gesammelten positiven Proben des WHO-Berichts. Sie konkretisierten in ihrer Arbeit Infos über die potenzielle Umgebung dieser Probenstandorte, indem sie Gewerbeanmeldungen, Fotos des Markts vor dessen Schließung und wissenschaftliche Berichte analysierten, die seit dem WHO-Bericht veröffentlicht wurden. Darunter auch eine Studie aus dem letzten Jahr, die über 47.000 Tiere – darunter 31 geschützte Arten – verzeichnet, die zwischen 2017 und 2019 auf dem Markt verkauft wurden.
Wichtig ist auch die Zuordnung einiger Proben. Fünf positive Proben sind auf einen einzelnen Stand des Markts zurückzuführen, an dem lebende Tiere verkauft wurden. Abstriche der Metallkäfige, Transport-Karren und einer Geflügelrupfmaschine waren positiv. Prof. Eddie Holmes, einer der Co-Autoren von der University of Sydney in Australien, war bereits 2014 an diesem Verkaufsstand gewesen und hatte Fotos von einem lebenden Marderhund im Metallkäfig aufgenommen, der über Kisten mit Geflügel gestapelt wurde. Die gesamte Stapelung wurde wiederum über Abwasserkanälen platziert. Auch in der Studie des chinesischen CDC konnten SARS-CoV-2-positive Abwasserproben vom Markt nachgewiesen werden.
Möglicherweise kam es auf dem Markt auch zu einem mehrfachen Spillover von Coronaviren auf den Menschen. Ein chinesisches Team bestätigt in einem Preprint, dass die auf dem Markt gesammelten Proben SARS-CoV-2-Sequenzen enthalten, die als ursprüngliche Linien (A und B) zu Beginn der Pandemie in Menschen zirkulierten (wir berichteten).
Andersen et al. erklären in einem Bericht, dass die zu Beginn der Pandemie zirkulierenden Viruslinien A und B zu unterschiedlich seien, um sich so schnell im Menschen von einer in die andere Viruslinie zu entwickeln. Das Forscherteam geht davon aus, dass sich die Coronaviren in Tieren entwickelt haben und unabhängig voneinander auf den Menschen übergesprungen sind.
Da die Viruslinie B u.a. schon im Januar 2020 sehr präsent war, spekulieren die Autoren, dass diese schon vor der SARS-CoV-2-Linie A auf den Menschen übergegangen ist. Dazu führen sie auch auf, dass sowohl die Pandemien ausgelöst durch MERS als auch SARS, durch eine wiederholte Virusexpositionen von Wildtieren auf den Menschen entstanden sind. Andersen spekuliert, dass möglicherweise Marderhunde, die SARS-CoV-2 in sich trugen, von einer Farm aus im November oder Dezember 2019 auf den Huanan-Markt gebracht und dort verkauft wurden. So könnte das Virus auf Menschen, die in Kontakt mit den Tieren standen, übergegangen sein. Bei mindestens zwei Gelegenheiten hätten sich diese Infektionen von einem Indexfall auf andere Menschen übertragen können, sagt Andersen.
Wissenschaflter distanzierten sich mit einer alternativen Hypothese hingegen weiter vom Huanan-Markt: Im Mai 2021 schrieben mehrere Wissenschaftler in einen Brief, der im Fachmagazin Science veröffentlicht wurde, dass auch die Möglichkeit eines Laborursprungs der Pandemie aus dem Wuhan Institute of Virology genau untersucht werden müsse – unabhängig davon, ob es sich um einen Laborausbruch handle, oder ob das Virus dort kreiert wurde (wir berichteten). Prof. Michael Worobey, Co-Autor der Studie mit Andersen, war an dem Brief beteiligt, doch seitdem hat sich seine Haltung – sowie die vieler anderer Wissenschaftler – zu der kontrovers diskutieren Hypothese verändert.
Seitdem seien andere Beweise ans Tageslicht gekommen, die eine zoonotische Ursprungsgeschichte stützen, ähnlich denen von HIV, Zika-Virus, Ebola-Virus und mehreren Influenzaviren, erklärt Worobey. „Wenn sie sich alle Beweise ansehen, ist klar, dass dies auf dem Markt begann.“ Es sei auch extrem unwahrscheinlich, dass zwei unterschiedliche Linien von SARS-CoV-2, wie A und B, aus einem Labor stammen und dann zufällig auf dem Markt gelandet wären.
Dennoch reichen die Daten definitiv nicht für eine klare Aussage aus; man müsse mehr Daten sammeln, insbesondere Menschen- und Tierproben, damit das erste Spillover-Ereignis auf den Huanan-Tiermarkt zurückgeführt werden könnte. Denn die aktuelle Datenlage schließt nicht aus, dass jemand zuvor schon infiziert gewesen sein könnte, ohne diagnostiziert worden zu sein.
Die Tiermärkte bleiben ein großes Problem. Bereits im letzten Jahr forderten die WHO, OIE und UNEP die zuständigen nationalen Behörden auf, den Handel mit lebenden Wildtieren zu Nahrungs- oder Zuchtzwecken auszusetzen und als Notmaßnahme Teile von Lebensmittelmärkten zu schließen, auf denen die Tiere verkauft werden. „Tiere, insbesondere Wildtiere, sind die Quelle von mehr als 70 % aller neu auftretenden Infektionskrankheiten beim Menschen, von denen viele durch neuartige Viren verursacht werden. Vor allem wildlebende Säugetiere stellen ein Risiko für das Auftreten neuer Krankheiten dar“, heißt es in einem Tweet der WHO.
Sollte der Tweet nicht laden, bitte die Seite aktualisieren.
Diese traditionellen Märkte spielen eine zentrale Rolle als Nahrungs- und Lebensgrundlage für Millionen Menschen, erklärt die WHO. Der Erhalt dieser Märkte unter entsprechend hygienischen Bedingungen sei laut WHO daher umso wichtiger: „Das Verbot des Verkaufs dieser lebenden wilden Säugetiere kann die Gesundheit von Marktarbeitern und Käufern schützen.“
Forscher führten eine Meta-Transkriptomikanalyse von 1.941 Wildtieren durch, die Proben von insgesamt 18 Arten und fünf Säugetier-Ordnungen aus China enthielt, die normalerweise gejagt und als Nahrung in China konsumiert werden.
Dadurch identifizierten sie 102 Viren, die Säugetiere infizieren – 65 davon wurden zum ersten Mal beschrieben. 21 Viren wurden als Hochrisiko für Menschen und Haustiere bzw. Kleinvieh eingestuft. In Larvenrollern (Paguma larvata), einer Schleichkatzenart, ließen sich die meisten Hochrisiko-Viren nachweisen. Ebenfalls beobachtet wurden speziesübergreifene Sprünge von Coronaviren von Fledermäusen auf Igel und Larvenroller, von Vögeln auf Stachelschweine und von Hunden auf Marderhunde. Allerdings wurden keine SARS-ähnlichen Viren identifiziert. Die Ergebnisse zeigen auch, dass diese Viren in scheinbar gesunden Tieren vorhanden waren und dass es eine kontinuierliche Übertragung zwischen diversen Wildtierarten gibt, erklären die Autoren.
Andersherum können auch Menschen Erreger auf Tiere übertragen: In Nordamerika, in der kanadischen Provinz Ontario, gibt es laut eines Preprints Hinweise auf ein Spillover von SARS-CoV-2 vom Menschen auf den Weißwedelhirsch (Odocoileus virginianus); aber keine Zeichen von einer Übertragung vom Hirsch auf den Menschen. Es handele sich um eine hochmutierte SARS-CoV-2-Variante mit 76 Mutationen, die sich stark von unseren bekannten Variants of Concern unterscheiden. Die phylogenetischen Untersuchungen zeigen, dass sich der Virusstamm wahrscheinlich seit 2020 in den Tieren entwickelt. „Das Virus entwickelt sich bei Weißwedelhirschen weiter und weicht von dem ab, was wir bei Menschen beobachten“, so Dr. Samira Mubareka, Virologin an der University of Toronto und Autorin des Studie.
Aktuell gibt es keine Hinweise auf eine Hirsch zu Mensch oder Mensch-zu-Mensch-Übetragung des Virus, und auch keine Beweise für ein erhöhtes Risiko. Ähnlich wie beim SARS-CoV-2-Ursprung bleibt unklar wie der Spillback erfolgt ist. Die Vermutung der Autoren legt die Beteiligung eines Zwischenwirts nahe.
Wichtig ist somit nicht nur, herauszufinden wie Spillovers erfolgen. Das Gleiche gilt auch für mögliche Spillback-Events, um die Erschaffung neuer Viruslinien zu verhindern.
Bildquelle: Ishan @seefromthesky, unsplash