Bei Olympia sorgte das Medikament Trimetazidin als Dopingmittel für Schlagzeilen. Aber was ist das eigentlich für ein Stoff und was bewirkt er im Körper?
Ob man es nun wollte oder nicht: Die Nachricht, dass die junge russische Eisläuferin Kamila Walijewa mit Trimetazidin gedopt haben soll, hat uns irgendwie alle erreicht.
„Normale” Menschen fragen sich vielleicht, warum die Sportlerin das Dopingmittel eingenommen hat, ob sie das freiwillig getan hat, oder es ihr von der als gefühlskalt beschriebenen Trainerin untergejubelt wurde. Viele Pharmazie-Nerds möchten zusätzlich wissen: Was ist das eigentlich für ein Stoff und was bewirkt er im Körper? Dieser Frage können wir im Gegensatz zu den anderen hier auf jeden Fall nachgehen.
Der Wirkstoff Trimetazidin ist seit 2014 bei der Welt-Doping-Agentur WADA als verbotene Substanz gelistet. Die auffällige Probe stammte zudem nicht einmal aus der Zeit der Olympischen Spiele in Tokio selbst, sondern wurde bereits im Dezember in Russland gezogen, was aber erst jetzt auffiel. Nachgewiesen werden konnten vor allem auch die Metaboliten, wie desmethyliertes Trimetazidin, das entsprechende Sulfokonjugat, Oxo-Trimetazidin und Trimetazidin-N-Oxid, was nahelegt, dass die Eisläuferin bereits seit längerer Zeit damit gedopt hat.
Trimetazidin hat die Summenformel C14H22N2O3, Mr und gehört zur Gruppe der Piperazin-Derivate. Es wird, wenn es nicht gerade zum Doping von Sportlern missbraucht wird, in Kombination mit anderen Arzneimitteln bei der Behandlung der Angina pectoris ausschließlich bei Erwachsenen angewendet, was ein weiteres Ausschlusskriterium für die legale Einnahme bei Walijewa ist, denn sie ist gerade einmal 15 Jahre alt. Nebenwirkungen wie Zittern, starre Körperhaltung, langsame Bewegungen, schlurfender Gang und Gleichgewichtsstörungen beim Gehen können durch das Medikament, das in Österreich unter dem Handelsnamen Vastarel® vertrieben wird und in Deutschland derzeit gar nicht auf dem Markt ist, verursacht oder verstärkt werden.
Das klingt eigentlich nicht unbedingt nach dem, was man bei einem Dopingmittel erwarten würde. Warum wird es also immer wieder eingenommen? An die Öffentlichkeit gelangten auch Fälle wie 2018 die russische Bobfahrerin Nadeschda Sergejewa und 2014 der chinesische Schwimmer Sun Yang.
Der Wirkstoff wird in der Dopingklassifikation in die Gruppe „Hormone und metabolische Modulatoren” eingeordnet, da es eine körpereigene Enzymreaktion beeinflusst, wie auch das bekanntere Meldonium, das vor allem im Tennissport vor einigen Jahren für Aufsehen gesorgt hatte. Als Stoffwechsel-Modulator wird Trimetazidin dafür genutzt, die Energie- und Sauerstoffversorgung der Muskelzellen zu gewährleisten, auch wenn extrem intensiv trainiert wird. Die Leistung des Sportlers wird gesteigert, da der Moment der Muskelübersäuerung nach hinten verschoben wird. Dies begünstigt den Aufbau von Muskelmasse.
Diese Stoffwechsel-Modulatoren sind antiischämische Wirkstoffe, die im Körper bewirken, dass Fettsäuren nur noch vermindert als Energiequelle genutzt werden können – die sogenannte Beta-Oxidation. Trimetazidin hemmt eine langkettige-3-ketoacyl-CoA-Thiolase und die Energiegewinnung findet vermehrt durch die Glykolyse, also die Oxidation von Glukose, statt. Die Energiereserven des Organismus können so besser ausgenutzt werden, da die Zellen dann weniger Sauerstoff benötigen und auch weniger toxische Stoffwechselprodukte produziert werden, die sich im Körper ablagern können. Dem Körper fällt es leichter, die Glukose in Energie umzusetzen als Fett.
Der Herzmuskel arbeitet dann einfacher unter Volllast, während die Person, die den Wirkstoff eingenommen hat, nicht so schnell an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit gerät, da keine Natrium- und Kalzium-Überladung stattfindet. Daher rühren auch die antiischämischen, kardioprotektiven und zytoprotektiven Eigenschaften von Trimetazidin durch die Hemmung der langkettigen-3-ketoacyl-CoA-Thiolase, die den Wirkstoff sowohl für die Behandlung von stabiler Angina pectoris prädestinieren, als auch für den Ausdauer- und Kraftsport interessant machen.
Trimetazidin wurde in Deutschland seit den 1970er Jahren als Medikamentenwirkstoff genutzt und zwar nicht nur gegen Angina pectoris, sondern auch zur Behandlung von Vertigo, Tinnitus, verminderter Sehkraft und Gesichtsfeldstörungen aufgrund von Gefäßerkrankungen. Die französische Arzneimittelbehörde kam 2011 zu dem Schluss, dass die Risiken von Trimetazidin für alle zugelassenen Indikationen größer waren als der Nutzen. Zudem konnte eine Wirksamkeit in keiner der zugelassenen Indikationen überzeugend nachgewiesen werden.
Es gab auch Bedenken hinsichtlich der Sicherheit von trimetazidinhaltigen Arzneimitteln nach Berichten über negative Begleiterscheinungen bei Patienten mit dem Parkinson-Syndrom oder verschiedenen motorischen Störungen wie Tremor, Muskelsteifheit und Gehstörungen und dem Restless-Legs-Syndrom. Viele der eingangs genannten Nebenwirkungen wurden auch bei Patienten beobachtet, die nicht unter dem Parkinson-Syndrom litten. Sie verschwanden in den meisten Fällen, sobald die Einnahme von Trimetazidin beendet wurde.
Trotz verstärkter Warnhinweise in den Verschreibungsinformationen blieb die französische Behörde besorgt und ersuchte in der Folge den Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) um eine Stellungnahme. Es sollte das Nutzen-Risiko-Verhältnis geklärt und die Frage beantwortet werden, ob die Genehmigung für das Inverkehrbringen dieser Arzneimittel EU-weit aufrechterhalten, geändert, ausgesetzt oder widerrufen werden sollte.
Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) schloss im Juni 2012 ihre Überprüfung der Sicherheit und Wirksamkeit von Trimetazidin ab. Sie gelangte zu dem Schluss, dass der Nutzen bei Patienten mit Angina pectoris weiterhin die Risiken überwiegt. Die Behandlung sollte jedoch auf eine reine Begleitbehandlung beschränkt werden. Für die symptomatische Behandlung von Tinnitus, Schwindel und Gesichtsfeldstörungen gelangte der CHMP zu dem Schluss, dass der Nutzen die Risiken nicht mehr überwiegt und diese Anwendungen nicht mehr zugelassen werden sollten. Zusätzlich empfahl der Ausschuss neue Kontraindikationen und Warnhinweise, um das mögliche Risiko von Bewegungsstörungen im Zusammenhang mit der Anwendung dieses Arzneimittels zu verringern und zu kontrollieren.
Dass dieses Medikament für junge Menschen ungeeignet ist, scheint im Umfeld der jungen Sportlerin jedoch uninteressant zu sein. Ihr Mannschaftsarzt ist ausgerechnet Filipp Shvetskyi, der bereits mehrere Jahre im Sport gesperrt war, weil er den Sportlern, die er betreut hat, vor den Sommerspielen in Peking 2008 Dopingmittel verabreicht hat. Seit er sich um die russischen Eisläuferinnen kümmert, wurden immer wieder auch bei anderen Sportlerinnen positive Dopingtests gezogen. Nach den Recherchen der Sportschau hat er zusammen mit anderen Kollegen ein Patent angemeldet: Das Edelgas Xenon soll bei Spitzensportlern zum Zwecke der Leistungssteigerung eingesetzt werden, da es die EPO-Konzentration im Blut steigert.
Bildquelle: Samuel Svec, Unsplash