Veränderungen im Darm-Mikrobiom können langfristig zu Herz-Kreislauf-Leiden führen. Einige dieser Abweichungen normalisieren sich aber wieder. Wie Ärzte sich das künftig in Therapien zunutze machen könnten, untersucht eine Studie.
Die Keime des menschlichen Darms beeinflussen die Gesundheit erheblich. Verstanden sind die komplizierten Zusammenhänge zwischen dem Mikrobiom und der Entstehung von Krankheiten bisher aber allenfalls in Ansätzen. Dr. Sofia Forslund, Leiterin der Arbeitsgruppe „Wirt-Mikrobiom Faktoren in Herz-Kreislauferkrankungen“ am Experimental and Clinical Research Center (ECRC), ist es gelungen, Veränderungen im komplexen Zusammenspiel der Darmkeime aufzuspüren. Diese tragen offenbar entscheidend zur Entwicklung der großen Volkskrankheiten bei. Das ECRC ist eine gemeinsame Einrichtung des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) und der Charité Berlin.
In ihrer aktuellen Veröffentlichung im Fachblatt Nature Medicine beschreibt Forslund gemeinsam mit einem internationalen Team aus 62 weiteren Forschern mehrere wichtige Abweichungen im Mikrobiom des Darms, die an der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen beteiligt sind. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der koronaren Herzkrankheit (KHK). Sie gilt als die häufigste Todesursache in den westlichen Ländern.
Für die Studie rekrutierten die Forscher 1.241 Europäer mittleren Alters, darunter gesunde Menschen und Patienten mit KHK in drei Krankheitsstadien – einem akuten Koronarsyndrom, einer chronischen KHK oder KHK mit begleitender Herzinsuffizienz. Außerdem waren auch Patienten ohne KHK, aber mit metabolischen Erkrankungen wie Adipositas oder Typ-2-Diabetes dabei.
Die Wissenschaftler analysierten bei allen Probanden das Metagenom des Darms sowie das Metabolom des Bluts und des Urins. Das Metagenom enthält die genomischen Informationen aller Mikroorganismen, die den Darm besiedeln; das Metabolom umfasst alle am Stoffwechsel beteiligten Moleküle. „Wir haben festgestellt, dass – wenn wir den Lebensstil und die Auswirkungen von Medikamenten berücksichtigen – etwa drei Viertel der Mikrobiom- und Metabolom-Merkmale, die Menschen mit KHK von gesunden Personen unterscheiden, auch bei Menschen mit Stoffwechselerkrankungen vorhanden sind“, sagt Forslund. „Das deutet darauf hin, dass sich das Mikrobiom und das Metabolom schon lange vor dem offensichtlichen Beginn eines Herz-Kreislauf-Leidens verändern, nämlich bereits in den Vorstufen einer Stoffwechselerkrankung.“ Das wiederum spreche stark dafür, dass das Mikrobiom schon zu einem frühen Zeitpunkt an der Entstehung von Herzkrankheiten beteiligt sei.
In einem weiteren Schritt analysierte das Team um Forslund Mikrobiom- und Metabolom-Merkmale, die spezifisch für die KHK und die drei untersuchten Krankheitsstadien sind. So sollen exakte Diagnosen künftig erleichtert werden. „Zudem wollten wir herausfinden, inwieweit diese Signaturen mit einer Änderung der Medikation in Zusammenhang stehen“, sagt Forslund. „Was uns bei all unseren Analysen besonders überrascht hat, war die Beobachtung, dass sich einige Auffälligkeiten, die wir im akuten Krankheitsfall finden, anscheinend bei chronischen Zuständen wieder normalisieren“, berichtet die Forscherin. Diese Abweichungen wolle sie sich noch genauer ansehen: „Sie zu beseitigen, könnte helfen, eine akut erkrankte Person zu stabilisieren.“
Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse nach Ansicht von Forslund, dass bei künftigen klinischen Studien Vorsicht geboten sei. „Viele der Signaturen, die wir gefunden haben, sind nicht spezifisch für Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, sagt sie. Das müsse man bei weiteren Untersuchungen mit Patienten berücksichtigen. Forslund sieht auch die Grenzen ihrer aktuellen Arbeit: „Da es sich um eine Querschnittsstudie handelt, können wir keine Kausalität nachweisen, sondern nur Assoziationen aufzeigen.“ Nun bleibe abzuwarten, ob Längsschnittdaten die Ergebnisse bestätigen.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Noah Buscher, Unsplash