Nach der Omikron-Welle muss die Bundesregierung „in die Puschen kommen“, finden Deutschlands Fachärzte. Lest hier ihre drei größten Forderungen in Sachen Gesundheitspolitik – und wie realistisch ihre Umsetzung ist.
Wie geht es während und nach der Corona-Pandemie mit den großen gesundheitspolitischen Baustellen weiter? Deutschlands Fachärzte stellen jetzt konkrete Forderungen an die Regierung. Ihre größten Anliegen: Endlich Budgets für ärztliche Leistungen vollständig beenden, die Gebührenverordnung für Ärzte (GOÄ) fix umsetzen und die sektorenübergreifende Versorgung stärken.
Vor gut drei Monaten wurde der Ampel-Koalitionsvertrag veröffentlicht. In einem Positionspapier bezieht der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (SpiFa) Stellung zur Agenda von SPD, Grünen und der FDP. Und macht klar, welche Maßnahmen aus Sicht der Fachärzte in Deutschland dringend nötig sind.
Bisher könne man noch nicht von einer Umsetzung des Koalitionsvertrags sprechen. „Die Pandemie nimmt den Minister in Anspruch, das verstehen wir“, so SpiFa-Vorstandschef Dr. Dirk Heinrich im Pressegespräch. Aber: Mit Abklingen der Omikron-Welle erwarte man schon, dass die Bundesregierung „in die Puschen und mit uns ins Gespräch kommt“.
Der größte Fokus liegt für die Fachärzteschaft in den nächsten Jahren auf der sektorenübergreifenden Versorgung – der SpiFa begrüßt daher, dass die Bundesregierung die Ambulantisierung vorantreiben will. „Wir haben in Deutschland einfach immer noch zu viele Krankenhäuser, wir machen noch zu viel stationär“, betont Heinrich.
Dr. Dirk Heinrich, Vorstandsvorsitzender SpiFa © A. SchoelzelSchon vor einiger Zeit hat der SpiFa ein „schlüsselfertiges“ Konzept für intersektorale Leistungen vorgelegt. Das Ziel: Niedergelassene Fachärzte sollen stärker mit den Krankenhäusern kooperieren. Überflüssige Krankenhausstrukturen sollen in die ambulante Versorgung überführt werden. „Alles, was heute eine Liegedauer von drei oder vier Tagen im Krankenhaus hat, ist im Prinzip stationär nicht mehr zu erbringen, sondern eine ambulante Maßnahme“, so Heinrich forsch.
Der SpiFa-Chef ist zuversichtlich, dass sich die Bundesregierung des Konzepts annimmt, denn: Im Koalitionsvertrag ist ausdrücklich die Rede von Hybrid-DRG. Das könnte eine komplett neue Abrechnungsschiene werden, die für ambulanten wie stationären Sektor bei identischen Leistungen identische Vergütungen bringt.
Auf den intersektoralen Bereich sollen sowohl Ärzte in der Niederlassung als auch im Krankenhaus zugreifen können. Als finanzieller Anreiz sollen in der Übergangsphase bis zur endgültigen Vergütungsregelung intersektorale Leistungserbringungen mit 90 % und bei belegärztlicher Leistungserbringung mit 95 % der seitherigen G-DRG der Hauptabteilung vergütet werden, so das Konzept des SpiFA. Der Verband hofft nun, zu diesem Thema schnell mit dem Bundesgesundheitsministerium ins Gespräch zu kommen.
Positiv stehen die Fachärzte den Plänen der Ampel-Parteien gegenüber, der Budgetierung im hausärztlichen Bereich ein Ende zu setzen. Das sei der richtige Schritt. Letztlich müsse aber die vollständige Entbudgetierung erreicht werden, also auch bei allen Fachärzten, so die konkrete Forderung an die neue Bundesregierung. Alle Ärzte hätten den Anspruch, dass Leistungen, die sie erbringen, auch vollständig bezahlt werden.
Seit vielen Jahren sei das aber nicht mehr der Fall, kritisiert Heinrich. Was das unterm Strich für den Arzt bedeutet, hat er für sich persönlich ausgerechnet: „Die Krankenkassen schulden mir aus meiner eigenen persönlichen Leistungserbringung nach über 25 Jahren in der Praxis ungefähr zwei Millionen Euro.“
Das führe zu weiteren Problemen: Der junge Nachwuchs werde abgeschreckt und demotiviert. Politiker könnten jungen Ärzten heute nicht mehr vernünftig erklären, warum sie nur drei Viertel des Geldes bekommen sollen für die Leistungen, die sie erbringen, so Heinrich. Und: Die Budgetierung führe zu Ärztemangel und Ungleichversorgung. Aus diesem Grund appellieren die Fachärzte an die Ampel-Koalition, die Budgetierung ambulanter Leistungen vollständig aufzuheben.
Eine weitere Baustelle ist die Finanzierungslücke der Gesetzlichen Krankenkassen. Für 2023 rechnet die GKV mit einer Lücke von 17 Milliarden Euro. Um die GKV-Finanzen zu stabilisieren, sei eine Erhöhung des Bundeszuschusses der richtige Weg, gegebenenfalls auch die Erhöhung der Beitragssätze. Einsparungen auf dem Rücken der Tätigen im Gesundheitswesen dürfe es aber nicht geben, so Heinrich. Daher brauche es auch „endlich“ die Novellierung der GOÄ.
Heinrich äußert sich in diesem Punkt, ein Flughafen-Berlin-Projekt des deutschen Gesundheitswesens, zuversichtlich: Die GOÄ sei schließlich längst fertig und zwischen Ärzteschaft, Beihilfe und PKV ausdiskutiert. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wisse um den Stau bei der Renovierung der Gebührenordnung, er könne die Ärzte nicht länger warten lassen. Die GOÄ „werde in Kürze auf dem Tisch des Ministers landen“, kündigt er an. Es gebe dann keinen Grund mehr, sie nicht umzusetzen. „Es sei denn, man möchte die Ärzteschaft grundfrustrieren“, so Heinrich.
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