Hospitalisierte Corona-Patienten weisen teilweise höhere Mengen neurodegenerativer Biomarker auf als Alzheimer-Patienten. Das könnte für die Krankheitsprognose wichtig sein – und das Verständnis von Neuro-Covid.
Eine aktuelle Studie zur Entwicklung neurodegenerativer Biomarker bei akuter COVID-19-Erkrankung ergab einen interessanten Nebenbefund: Hospitalisierte COVID-19-Patienten hatten gleich hohe bzw. sogar noch höhere Spiegel neurodegenerativer Biomarker als an Alzheimer erkrankte Menschen. Das könnte eine Erklärung dafür sein, warum so viele Patienten während und nach einer COVID-19-Erkrankung an kognitiven Einschränkungen wie Konzentrationsstörungen oder Gedächtnisstörungen leiden. DGN-Generalsekretär Prof. Peter Berlit hebt aber hervor, dass das Ergebnis keinesfalls bedeute, dass COVID-19 zu Alzheimer führen kann.
In der retrospektiven Analyse wurden Blutproben von COVID-19-Patienten analysiert, die zuvor keine Demenzdiagnose hatten oder kognitiven Einschränkungen aufwiesen. Untersucht wurden die Plasmaspiegel von Neurofilament light chain (NFL), einem Biomarker des kognitiven Abbaus, der u. a. bei Menschen mit Alzheimer oder Parkinson erhöht ist, sowie die Spiegel des glialen fibrillären sauren Proteins (GFAP), welches in Alzheimer-Plaques enthalten ist. Des Weiteren analysierte das Forscherteam auch den neuronalen Biomarker UCHL1, der u. a. als ALS-Biomarker diskutiert wird, und das Gesamt-Tau-Protein, das zur Diagnose einer Alzheimer-Erkrankung mit herangezogen wird. Auch Phospho-tau181, ein Marker der Alzheimer-Progression, sowie Amyloid-beta 40 (Aβ40) und Amyloid-beta 42 (Aβ42), Proteine, die sich bei an Alzheimer Erkrankten in Gehirn und Blutgefäßen ablagern, wurden untersucht.
Die Studie wertete einen Teil der SNaP Acute COVID-Kohorte mit insgesamt 4.491 Patienten aus. In 606 Fällen waren neurologische Komplikationen unter der Viruserkrankung neu aufgetreten. Insgesamt konnten Serumproben von 251 COVID-19-Patienten untersucht werden, allerdings nicht alle Biomarker bei allen Studienteilnehmern. Zum Vergleich wurden 161 Kontrollpersonen den Biomarker-Tests unterzogen.
Die an COVID-19 erkrankten Menschen, die in die Auswertung eingeschlossen wurden, waren im Median 76 Jahre alt, 63 % waren männlich. 31 % benötigten eine maschinelle Beatmung, 25 % verstarben im Krankenhaus und 53 % konnten entlassen werden. Neurologische Symptome traten während des Krankenhausaufenthalts bei 127 der 251 Betroffenen auf, die ausgewertet werden konnten. Die häufigsten Diagnosen waren toxisch-metabolische Enzephalopathie (75/120) und hypoxisch-ischämische Hirnschädigung (55/120).
Im Ergebnis zeigte sich, dass die neurodegenerativen Biomarker mit der Schwere der Erkrankung anstiegen und mit erhöhten D-Dimer-Spiegeln korrelierten; besonders deutlich ausgeprägt war diese Korrelation bei älteren Menschen. COVID-19-Patienten, bei denen während des Krankenhausaufenthaltes neurologische Komplikationen neu aufgetreten waren, wiesen signifikant erhöhte Tau-, NFL- und UCHL-Spiegel auf. Besonders auffällig war: Bei Vorliegen einer toxisch-metabolischen Enzephalopathie fanden sich im Vergleich zu Betroffenen mit anderen neurologischen Diagnosen deutlich erhöhte Biomarker-Spiegel, ebenso bei den Verstorbenen (im Vergleich zu denen, die die Erkrankung überlebten). „Die neurodegenerativen Biomarker scheinen also aussagekräftige prognostische Marker zu sein“, erklärt Berlit.
Der Experte bewertet aber noch ein weiteres Ergebnis der Studie als besonders interessant. Die hospitalisierten COVID-Patienten hatten ähnlich hohe oder z. T. noch höhere NfL-, GFAP- und UCHL1-Spiegel als nicht an COVID-19 erkrankte Menschen mit Alzheimer. „Das ist vor dem Hintergrund der kognitiven Einschränkungen, unter denen viele Erkrankte noch lange nach der SARS-CoV-2-Infektion leiden, ein interessanter Befund.“
Wie der Experte ausführt, müssen nun weitere Studien die Spiegel dieser Biomarker im Langzeitverlauf erheben und mit möglichen kognitiven Einschränkungen in Beziehung setzen. „Bestätigt sich diese Korrelation, hätten wir Biomarker für Post-COVID-Symptome wie Konzentrations- oder Gedächtnisstörungen.“ Wie der Experte weiter ausführte, dürfen diese Daten aber nicht dahingehend überinterpretiert werden, dass COVID-19 eine Alzheimer-Demenz auslösen könne.
„Diese Sorge ist unbegründet, zumal sich die kognitiven Einschränkungen bei Menschen mit Post oder Long Covid wieder verbessern. Das ist bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer hingegen nicht der Fall. Wir möchten keine unnötigen Ängste schüren, sondern zeigen, dass es womöglich ein klinisches Korrelat für die berichteten kognitiven Einschränkungen nach COVID-19 gibt. Die Tatsache, dass viele Betroffene längerfristig mit den Folgen von COVID-19 zu kämpfen haben, sollte weiter dazu motivieren, die bestehenden Impfangebote zu nutzen.“
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Die Originalpublikation findet ihr hier und im Text.
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