Bei komplementären Behandlungsmethoden in der Onkologie scheiden sich die Geister. Können Yoga und Vitamin D helfen oder Heilkräuter gefährlich werden? Die erste S3-Leitlinie schafft Klarheit – wir haben für euch nachgefragt.
Komplementäre Behandlungsmethoden sind in der Krebstherapie beliebt. Rund die Hälfte aller Krebspatienten in Deutschland entscheiden sich für Behandlungen zusätzlich zur Chemo oder Strahlentherapie. Spitzenhalter sind dabei Brustkrebspatientinnen: Über 90 Prozent der Patientinnen entscheiden sich für eine Komplementärtherapie, erzählt Prof. Jutta Hübner im Interview mit der DocCheck News Redaktion. Als Koordinatorin war die Professorin für Integrative Onkologie am Universitätsklinikum Jena maßgeblich an der Erstellung der S3-Leitlinie für Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen Patienten beteiligt.
Drücken Patienten ein Interesse an einer komplementärmedizinischen Behandlung aus, ist die erste Reaktion vieler Ärzte Ablehnung. Ein Fehler, findet Hübner: „Das ist das größte Vertrauenslob, das unsere Patienten uns aussprechen können.“ Patienten trauten sich das nicht, wenn sie sich nicht gut aufgehoben fühlen. Erkennt man das Lob als solches an, erleichtert es eine offene Kommunikation zu dem Thema: Nicht jede Behandlung ist unproblematisch und der behandelnde Arzt muss über die Patientenaktivitäten im Bilde sein, damit im Zweifel korrigierend eingegriffen werden kann. Ärzte sollten daher komplementäre Behandlungsmethoden aktiv ansprechen und regelmäßig erfassen.
Denn die vermeintlich milden Behandlungen bergen Risikopotential. Drei Gefahrenquellen sind Hübner zufolge zu beachten: Zunächst bestehe die Gefahr, dass Patienten diese Behandlungen anstelle anderer, wirksamer Therapien machten. Die zweite Gefahr liege darin, dass die Therapien in sich schädlich sein können: „Alles was wirklich in den Körper eingreift, kann auch wirklich Nebenwirkungen haben und Schaden anrichten.“ Die Nebenwirkung einer nicht registrierten Komplementärbehandlung könne den behandelnden Arzt auch dazu verleiten, die eigentliche Tumortherapie zu verändern und so zu verschlechtern: Bestimmte chinesische Heilkräuter könnten beispielsweise Leberwerte erhöhen, und den Arzt dazu veranlassen, die Therapie zu reduzieren oder abzusetzen. Nicht zuletzt investierten Patienten auch viel Geld und wertvolle Lebenszeit in solche Therapien, führt Hübner aus.
Als dritte Gefahrenquelle nennt sie die Möglichkeit gefährlicher Wechselwirkungen mit der eigentlichen Therapie, zum Beispiel durch Erhöhung oder Erniedrigung der Bioverfügbarkeit einer Chemotherapie. Besonders kritisch ist dies, wenn es um die Bekämpfung einzelner Krebszellen und nicht eines massiven Tumors gehe, also beispielsweise bei der Nachbehandlung von Brustkrebspatientinnen in der Folge einer Tumoroperation: „Wenn die Patientin etwas macht, was die Wirksamkeit dieser Tumortherapie abschwächt, merken wir das bei dieser einzelnen Patientin gar nicht.“ Habe die Patientin dann deswegen Jahre später ein Rezidiv, lasse sich kein Zusammenhang mehr zu den alternativen Behandlungsmethoden herstellen.
Hübner bemängelt, es sei fast unmöglich, die Schäden durch alternative Behandlungsmethoden nachzuweisen. Gerade fatale Nebenwirkungen würden oft gar nicht als solche registriert: „Das Problem ist, wenn unsere Tumorpatienten sterben, dann fällt das niemandem auf. Dann sagt man, klar, der hatte Krebs, […], das heißt da forscht niemand in die Tiefe: Ist er jetzt an seinem Krebs, an seiner Mangelernährung wegen fehlender Kohlenhydrate oder an seinem ‚Vitamin B17‘ gestorben?“ An systematischen Studien mangelt es; statistische Beobachtungsdaten helfen wenig, wenn die Ärzte in vielen Fällen nichts von der Anwendung einer zusätzlichen Therapie durch den Patienten wissen.
Von einigen Behandlungen wird deutlich abgeraten. Dazu gehört zum Beispiel das zuvor erwähnte sogenannte Vitamin B17, oder auch Amygdalin. Dieses setzt im Körper hochgiftige Blausäure frei, die gesunde und Tumorzellen gleichermaßen abtötet. Eine weitere klare Absage erteilt Hübner der Gabe von Vitamin E und anderen hochkonzentrierten Antioxidantien: „Es gibt eine ganze Reihe von Studien, die gezeigt haben, dass die Wirkungen von Chemo und Strahlentherapien abgeschwächt werden können.“ Es gebe eine Reihe an präklinischen Studien, die den zugrundeliegenden Mechanismus erklären können. „Im Prinzip setzen wir die Tumorzellen bei der Chemo einer Oxidation aus und starke Antioxidantien steuern dagegen.“
Auch von ketogener Ernährung wird abgeraten, da der starke Gewichtsverlust der Patienten ein Risikofaktor für einen schlechten Therapieverlauf sei, und kein Nutzen nachweisbar sei. Ein nicht nachgewiesener Nutzen führte ebenfalls eine negative Empfehlung nach sich. „Wenn es keinen nachgewiesenen Nutzen gibt, dann sollten wir das Patienten auch nicht empfehlen“, konstatiert Hübner.
Aber nicht alle komplementären Methoden sind schlecht. Prof. Hübner erklärt: „Komplementäre Medizin fängt bei mir schon bei Ernährung und Bewegung, also einem guten Lebensstil, an. Wir wissen aus vielen Forschungsergebnissen, dass diese beiden Komponenten sowohl zum Erfolg der Tumorbekämpfung, als auch zur Lebensqualität erheblich beitragen.“ Manche naturheilkundlichen oder Hausmittel können Patienten durchaus unterstützend helfen, insbesondere bei der Linderung von Nebenwirkungen der Krebserkrankung oder der Therapie. Als Beispiel nennt Hübner das Kühlen bzw. Wärmen bei Gelenkbeschwerden. Es seien kleine Sachen, die dem Patienten helfen, das Vertrauen in den eigenen Körper zurückzugewinnen, und ihm das gute Gefühl geben, beim Therapieerfolg aktiv mitwirken zu können.
Trotz insgesamt sehr durchwachsener Studienlage ist es auch möglich, positive Empfehlungen auszusprechen. Hübner: „Patienten, die körperlich aktiver sind, haben eine bessere Prognose. Das Ansprechen auf die Therapien ist besser, die Überlebenszeiten sind besser. Wenn es eine wirksame [komplementäre] Maßnahme gibt, dann ist es körperliche Aktivität.“ Nicht nur der Therapieerfolg ließe sich dadurch verbessern, auch bei Nebenwirkungen wie Schlafstörungen, Erschöpfung und Polyneuropathie können Sport und Bewegung helfen. Selbstverständlich hat auch das seine Grenzen: „Sie können eine Mundschleimhautentzündung nicht mit Sport bekämpfen, da gibt es nun mal keinen Mechanismus.“
Wichtig sei es, grundlegende Prinzipien zu erkennen und den Patienten nahezubringen. So hilft Yoga nicht, weil es Yoga ist – vielmehr ist die Bewegung mit komplexeren Bewegungsabläufen das Entscheidende, und so kann man sich bei der Empfehlung an den Vorlieben und Bedürfnissen des Patienten orientieren: „Man kann Yoga machen, oder auch Tai-Chi, Qi-Gong …“ Trotzdem bleibt zu beachten: Einem Patienten mit ausgeprägter Fatigue hilft der bloße Ratschlag, mal etwas Sport zu treiben, nicht. Man müsse den Patienten dabei auch anleiten.
Auch zum Dauerbrenner Vitamin D gibt es eine Empfehlung: Der Vitamin-D-Spiegel sollte gemessen werden und bei einem Mangel substituiert werden. Vitamin-D-Mangel ist in Deutschland recht verbreitet, was Auswirkungen auf den Therapieerfolg haben kann.
Eine tiefergehende Analyse für andere Methoden wie Akupunktur oder Heilkräuter ist schwierig, da Studien oft mangelhaft durchgeführt werden. So wurden Hübner zufolge in den meisten Studien zu Vitaminen und Spurenelementen keine Ausgangswerte der Probanden erhoben, was es unmöglich macht zu belegen, ob eine bestimmte Methode nur einen Mangel ausgleicht, oder tatsächlich eine inhärente Wirkung besitzt.
Manche bewährte Mittel könne man aber auch ohne Studienbasis empfehlen: „Es wird niemals eine Studie zum geriebenen Apfel bei Durchfall geben, aber ich glaube, sowas darf man Patienten auch mal an die Hand geben ohne eine Studie zu haben, weil: Es kostet nichts, weder Zeit noch Geld, und ist auf jeden Fall gesund“, erklärt Hübner.
Zusammenfassend liefert die Komplementärmedizin durchaus reelle Chancen: Sie ermöglicht im Zusammenspiel mit verfügbaren Medikamenten die Linderung von Nebenwirkungen und erreicht eine Stärkung der Patientenautonomie. Ärzte müssen allerdings ein Auge darauf haben, um die Gefahr von Neben- und Wechselwirkungen zu bannen. Zuletzt ist auch die Klarstellung wichtig, dass es keine alternative Therapie mit einer echten, belegbaren Anti-Tumor-Wirkung gibt. Hübner betont: Eine funktionierende Krebstherapie geht zwingend mit Nebenwirkungen einher, und der Wunsch einer milden „Wunderblume“ könne nicht erfüllt werden. „Wenn eine naturheilkundliche Methode in der Lage ist, Tumorzellen abzutöten, dann ist sie in der Lage, im Körper existierende, lebende, sehr teilungsfähige Zellen abzutöten. Das wird sie immer auch mit gesunden Zellen machen.“
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