Die Tiefenhirnstimulation wird bereits erfolgreich bei Parkinson-Patienten eingesetzt. Aber was wäre, wenn die Elektroden nicht nur physische Bewegungen, sondern auch kognitive Leistung beeinflussen könnten?
Mit dünnen, operativ eingesetzten Elektroden das Gehirn beeinflussen? Was ungewöhnlich klingt, ist eine etablierte Methode zur Behandlung von Menschen mit Parkinson: Die Tiefenhirnstimulation hilft ihnen, ihre Bewegungen wieder besser zu kontrollieren. Ein US-Forscherteam aus Massachusetts hat nun untersucht, ob Elektrostimulation auch bei psychischen Erkrankungen wie Depression, Angst oder Sucht helfen könnte, die oft eingeschränkte kognitive Kontrolle zu verbessern. Und tatsächlich: Durch kleine elektrische Impulse gelang es in der Studie, die Aufmerksamkeit der Probanden zu fokussieren und die Reaktionsgeschwindigkeit des präfrontalen Kortex zu erhöhen.
„Die Ergebnisse sind ein interessanter Ansatz. Vor einer klinischen Anwendung müssen allerdings noch zahlreiche Fragen geklärt werden“, so die Einschätzung von Prof. Florian Mormann und Dr. Martin Reich von der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN). Auch ethische Aspekte sind von Bedeutung.
In der Studie wurden 21 Epilepsie-Patienten untersucht, denen Elektroden ins Gehirn implantiert wurden, um den Ausgangspunkt ihrer epileptischen Anfälle zu finden. Das Forscherteam nutzte diese Elektroden, um Teile des Gehirns zu beobachten und mittels elektrischer Stimulation die kognitive Kontrolle zu verbessern. Maßstab hierfür war ein sogenannter Multi-Source Interference Test (MSIT): Die Probanden mussten Konfliktaufgaben bearbeiten, deren Lösung eine erhöhte Selbstkontrolle erfordert, um sich nicht intuitiv für eine naheliegende Antwort zu entscheiden.
Die höhere geistige Belastung verlängerte die Reaktionszeit und erhöhte die Aktivität in bestimmten Hirnbereichen wie dem präfrontalen Kortex, der unter anderem für die Handlungsplanung verantwortlich ist. In der Studie verwendeten die Forscher eine Closed-Loop-Stimulation. Dabei wird das Verhalten der Probanden während der Aufgabe kontinuierlich überwacht. Bei bestimmten Abweichungen werden passgenaue Impulse über die implantierten Elektroden in die betroffene Hirnregion gesendet.
Die Forscher konnten zeigen, dass vor allem die Stimulation der Capsula interna während einer Konfliktaufgabe die geistige Reaktionszeit signifikant verringert, ohne die Genauigkeit zu beeinträchtigen. Zwei Probanden, die zusätzlich zur Epilepsie auch unter Angststörungen und mangelnder Selbstkontrolle litten, berichteten, dass sie unter Stimulation ihre Aufmerksamkeit besser auf das Ziel lenken konnten.
Das US-Forscherteam schließt aus der Studie, dass die Verbesserung der kognitiven Kontrolle durch die Stimulation künftig die Behandlung schwerer psychischer Störungen unterstützen könnte. Die Methode könnte auch bei anderen kognitiven oder emotionalen Problemen angewandt werden, z. B. bei der Überwachung und Verbesserung des Lernens oder der Dysregulation von Emotionen. „Obwohl noch erhebliche technologische Lücken bestehen, bevor diese Ergebnisse direkt in der Klinik angewandt werden können, und die Evidenzbasis für die Kognition als primären Behandlungsschwerpunkt noch aufgebaut werden muss, könnten unsere Ergebnisse die Grundlage für einen hochspezifischen Ansatz zur Intervention bei neuropsychiatrischen Erkrankungen des Menschen bilden“, so die Autoren.
Bis zu einer klinischen Anwendung gibt es allerdings noch erheblichen Forschungsbedarf, so die Einschätzung von Mormann: „Es fehlt der Nachweis eines spezifischen Zusammenhangs zwischen Netzwerkmodulation mittels Tiefer Hirnstimulation und Verbesserung in der Konfliktaufgabe. Die Frage ist, ob nicht auch ein einfacher sensorischer Reiz wie etwa ein Ton zu ähnlichen Ergebnissen führen kann.“ Auch sei das Eingangssignal des geschlossenen Regelkreises lediglich das ausbleibende Verhalten der Probanden, nicht die neuronale Aktivität, die durch die Tiefe Hirnstimulation in fraglich spezifischer Weise beeinflusst werde. Auch Reich sieht die Translation in ein alltagsfähiges System zur positiven Beeinflussung von kognitiven Prozessen daher noch nicht gegeben.
Beide Experten betonen, dass beim Einsatz der invasiven Elektrophysiologie zur Beeinflussung kognitiver Prozesse auch ethische Fragen zu berücksichtigen sind. „Da die Translation in die klinische Anwendung noch nicht absehbar ist, sind die ethischen Aspekte in der Studie bislang nur untergeordnet. Zukünftig ist auch fraglich, ob überhaupt ein kognitives Enhancement erreicht werden kann oder ob es sich eher um eine Wiederherstellung gestörter Hirnfunktionen handelt. Aus ethischer Sicht ist das ein erheblicher Unterschied“, so Dr. Reich.
Die Autoren der Studie betonen, dass Implantationszielpunkte nur aus klinischen Gründen ausgewählt wurden. „Welchen potenziellen klinischen Nutzen Epilepsie-PatientenInnen von einer Implantation invasiver diagnostischer Elektroden in Regionen wie die innere Kapsel haben könnten, bleibt unklar und fragwürdig“, ergänzt Mormann. US-Studien, die versuchten, mittels THS die Gedächtnisleistung zu verbessern, hätten widersprüchliche Ergebnisse geliefert. Studien, die mittels Closed-Loop-Stimulation die Kognition beeinflussen, sind laut Reich aus Deutschland bislang nicht bekannt.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Federico Beccari, Unsplash