Erstmals ist es Spezialisten gelungen, einen Tumor der Ohrspeicheldrüse in einer roboterassistierten OP zu entfernen. Die neue Methode ist weniger invasiv und einfacher durchzuführen.
Zum ersten Mal weltweit haben Spezialisten in Kiel einen Tumor der Ohrspeicheldrüse mit Hilfe roboterassistierter Technologie minimalinvasiv entfernt. Im Gegensatz zu bisherigen Operationsmethoden waren dafür nur minimale Schnitte am Hals nötig. Zwar sind diese Tumoren häufig gutartig, sie müssen aber dennoch entfernt werden, weil sie wachsen und bösartig entarten können.
Im Einsatz dieser innovativen Methode erwies sich laut Experten der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (DGMKG) als vorteilhaft, dass der Eingriff wenig beeinträchtigend auf den postoperativen Verlauf des Patienten hinsichtlich Schwellung, Schmerzen und kosmetischer Veränderung auswirkte. Insbesondere die Mimik des Patienten war unbeeinflusst. Mit Hilfe des Roboters können zudem anatomisch versteckt und chirurgisch ungünstig liegende Tumoren – wie bei dem Patienten in Kiel – besser erreicht werden. Der 24-Jährige konnte nach erfolgreicher Operation schon nach wenigen Tagen schmerzfrei das Krankenhaus verlassen.
Die Ohrspeicheldrüsen liegen am Rande des Gesichts vor und unter den Ohren und bestehen aus einem außen liegenden und einem tiefer beziehungsweise weiter innen liegenden Teil. Tumoren der Ohrspeicheldrüse sind in den meisten Fällen gutartig, die Tumorzellen könnten aber auch zu Krebszellen entarten und deshalb müssten sie unbedingt vollständig und auf möglichst schonende Weise entfernt werden. Der häufigste gutartige Tumor der Ohrspeicheldrüse ist das sogenannte pleomorphe Adenom: Es macht zwischen 70 und 80 Prozent aller Speicheldrüsentumoren aus und kommt zu über 80 Prozent in der Ohrspeicheldrüse vor; Frauen sind etwas häufiger davon betroffen als Männer. „Das pleomorphe Adenom wächst langsam, und fällt meistens erst im mittleren Lebensalter auf“, sagt Prof. Jörg Wiltfang, Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel. „Es liegt meistens im äußeren und damit chirurgisch besser zugänglichen Teil der Ohrspeicheldrüse. Problematisch sind jedoch vor allem Tumoren im tiefen Anteil der Ohrspeicheldrüse, denn sie können lange unbemerkt wachsen und mitunter beeindruckende Ausmaße annehmen, bevor sie auffällig werden. Insbesondere bei unserem Patienten lag der Tumor sehr ungünstig: Unter der Schädelbasis, hinter dem Oberkiefer und in Höhe des Kiefergelenks. Ein möglicher Standardzugang hätte eine Schnittführung am Kinn entlang und die temporäre Durchtrennung des Unterkiefers erfordert.“
Um den neuartigen, roboterassistierten Eingriff vorzubereiten, formierte sich ein interdisziplinäres Behandlungsteam aus Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie, Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde und Allgemein- und Viszeralchirurgie. Als Vorbereitung auf die Operation machten sich die Fachärzte mit Hilfe von Ultraschall, CT und MRT ein genaues Bild von Ausmaß und Lage des Tumors. „Bei der roboterassistierten Operationsmethode sind nur kleine Schnitte am Hals nötig“, sagt Dr. Henning Wieker, der leitende Oberarzt der Klinik für Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel, der den operativen Eingriff als verantwortlicher Operateur durchgeführt hat.
Bei dem ersten Patienten, der weltweit mit diesem speziellen Verfahren erfolgreich operiert werden konnte, wurde dann über kleine Zugänge über dem Schlüsselbein – ähnlich wie bei einer Blinddarmoperation der Bauchraum – mittels Kohlenstoffdioxideinleitung ein Raum im Hals geschaffen, das sogenannte Kapnoparapharyngeum. So entstand ein ausreichend großer Raum für zwei Roboterarme und einen Kameraarm zur geschlossenen Operation entlang der Halsgefäßscheide. Zur Operationsüberwachung stand ein Navigationssystem zur Verfügung, so dass die Lage der Instrumente im Patienten und zum Tumor kontrolliert werden konnte. „Die Entfernung des Tumors selbst erfolgte dann – dank der Roboterassistenz – Schritt für Schritt und sehr präzise“, so der DGMKG-Experte Dr. Wieker.
In die Ohrspeicheldrüse eingebettet sind Äste des Gesichtsnervs (Nervus facialis). Dieser innerviert die Gesichtsmuskeln und ist damit für die Mimik verantwortlich. „Die neue Methode scheint im Vergleich zur bisherigen für den Patienten viel weniger invasiv“, erklärt Professor Wiltfang, der auch Mitglied im Vorstand der DGMKG ist. Die moderne Methode ist für den Patienten auch viel schonender, weil das Gesicht nicht an sichtbarer Stelle – vor dem Ohr oder am Unterkiefer – chirurgisch geöffnet werden muss und somit keine sichtbare Narbenbildung im Gesichtsbereich zu erwarten ist. „Bei dem jungen Mann in Kiel konnte der Tumor mit Hilfe der Methode trotz seiner ungünstigen Position zwischen Schädelbasis und Halsgefäßscheide erfolgreich entfernt werden“, berichtet Dr. Wieker abschließend.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Gesamtverbands der Deutschen Fachärzte für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie.
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