Adipöse Patienten haben ein erhöhtes Risiko, an Krebs zu erkranken. Doch sollten Onkologen ihren Patienten bei bestehender Krebserkrankung zum Abnehmen raten?
Adipositas wird zum echten Problem in der Onkologie. Denn krankhaftes Übergewicht erhöht nicht nur das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Typ-2-Diabetes, sondern auch für Krebserkrankungen. In den kommenden Jahren wird sich das Problem vermutlich noch verschlimmern.
Darauf deutet zumindest die Entwicklung der letzten Jahrzehnte hin: Zwischen 1975 und 2016 ist die weltweite Prävalenz von Übergewicht – definiert als Body-Mass-Index (BMI) ≥ 25 kg/m2 – bei Erwachsenen von fast 21 Prozent bei Männern und 24 Prozent bei Frauen auf knapp 40 Prozent gestiegen. Vor allem die Prävalenz von Adipositas (BMI ≥ 30 kg/m2) hat sich bei Männern von 3 Prozent auf 12 Prozent vervierfacht und bei Frauen von 7 Prozent auf 16 Prozent mehr als verdoppelt.
„Das wird auch zu einer Zunahme von Karzinomen führen“, erklärt Prof. Marc Martignoni in einer spannenden Session im Rahmen des 14. Jahreskongress des Tumorzentrums München. Darin stellte der Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Chirurgie des Klinikums rechts der Isar der TU München, den aktuellen Wissensstand zum Thema Adipositas und Tumorgenese vor. Dass Übergewicht und Adipositas das Risiko für Krebserkrankungen erhöht, daran gibt es inzwischen keine Zweifel mehr. „5 bis 10 Prozent der Krebspatienten haben ein Karzinom, weil sie übergewichtig sind“, so Prof. Martignoni. Dabei bezieht er sich auf Zahlen des World Cancer Reseach Fund (WCRF). Krebserkrankungen im Gastro-Intestinaltrakt seien unter Adipösen besonders häufig.
Insgesamt erhöht Adipositas das Risiko für Krebserkrankungen der folgenden 7 Organe:
Das Risiko für Krebserkrankungen sechs weiterer Organe ist durch Adipositas wahrscheinlich ebenfalls erhöht. Hierzu ist die Datenlage allerdings noch nicht ganz eindeutig.
Und woran liegt's? Über die komplexen und vielfältigen pathophysiologischen Mechanismen gibt Prof. Martignoni einen kurzen Überblick. Zum einen spielt die Insulinresistenz wohl eine entscheidende Rolle: Die vermehrte Ausschüttung des Hormons als Reaktion auf die Insulinresistenz führt zur Anregung des Zellwachstums und zur Inhibierung der Apoptose. Andererseits führt die chronische Inflammation des Bauchfetts und der Leber zur gesteigerten Produktion von Interleukin-6 und TNF-alpha, die ebenfalls das Zellwachstum anregen können. Weiterhin haben Menschen mit extremem Übergewicht weniger Adiponektin im Blut als Normalgewichtige. Auch das bedingt, dass zellwachstumsfördernde Signalwege übermäßig aktiviert oder Kontrollmechanismen abgeschaltet werden können.
Das sind aber nicht die einzigen Ursachen. Seit einigen Jahren rückt auch das Mikrobiom in den Fokus von Wissenschaftlern: In adipösen Patienten verschiebt sich die mikrobielle Zusammensetzung im Darm im Vergleich zu Normalgewichtigen, was sich wohl auch funktionell auswirkt. So findet man im Darm von Übergewichtigen vermehrt die Bakterienart Firmicutes, die eine Verschiebung der Produktion von kurzkettigen Fettsäuren zur Folge hat: Propionat überwiegt bei Übergewichtigen, während Butyrat eher bei Normalgewichtigen gefunden wird. Letzteres wirkt offenbar antiproliferativ und anti-inflammatorisch über die Hemmung von NF-kB und die Stimulation von Interleukin 10. Diese Faktoren haben vermutlich eine direkte Auswirkung auf die Tumorgenese von beispielsweise Kolonkarzinomen.
In diesem Zusammenhang warnt Prof. Martignoni vor dem leichtfertigen Einsatz von Probiotika bei Krebspatienten. So sollten etwa Präparate, die Saccharomyces boulardii enthalten, auf keinen Fall bei schwerkranken oder immunsupprimierten Patienten mit zentralem Venenkatheter eingesetzt werden. Wie auch in einem Roten Handbrief darauf hingewiesen wird, kam es dabei in seltenen Fällen zu Fungämien und sogar Todesfällen.
Die Session zum Thema Adipositas und Tumorgenese endet mit einer für Onkologen besonders wichtigen Frage: Sollten die behandelnden Ärzte ihren übergewichtigen Krebspatienten zum Abnehmen raten? Prof. Martignoni meint: „Tatsächlich ist eine Gewichtsreduktion nur dann sinnvoll, wenn der Patient sich außerhalb eines Therapie-Intervalls befindet.“ Das liege daran, dass viele Patienten während einer Therapie sowieso schon an Gewicht verlieren würden. Da müsse man „höllisch“ aufpassen, dass diese Patienten nicht unter ihr Normalgewicht fallen, denn „das wäre fatal für den Patienten.“
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