Eine deutsche Studie untersuchte die ALS-Therapie mit Edaravon als Zusatz zur Standardbehandlung. Doch entgegen früherer positiver Ergebnisse enttäuschte der Wirkstoff jetzt.
Die amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine progrediente Motoneuronenerkrankung, die meist nach dem 50. Lebensjahr beginnt und im Verlauf weniger Jahre zu schwerer Behinderung und schließlich zum Tod führt. Wegen der relativ kurzen Überlebenszeit von 2–4 Jahren ist die Prävalenz in Deutschland mit 6.000–8.000 Betroffenen eher niedrig; nur bei ca. 5–10 % der Patienten gibt es auch Verläufe über 10 Jahren. Die Inzidenz liegt bei ca. 3,1/100.000 Personen.
Symptome sind Muskelschwäche, Muskelschwund und im Verlauf Lähmungen. Wenn die Muskulatur im Kopf-Halsbereich betroffen ist, kommt es zu einer Beeinträchtigung des Kauens, Schluckens und Sprechens. Grundsätzlich ist die Behandlung vor allem symptomatisch, um Beschwerden abzumildern und Komplikationen vorzubeugen. So kann bei Schwäche der Atemmuskulatur eine unterstützende Beatmungstherapie erfolgen. Das Medikament Riluzol kann als krankheitsmodifizierende Therapie das Fortschreiten verlangsamen.
In Japan, der Schweiz und den USA ist zur intravenösen Therapie der ALS außerdem die Substanz Edaravon zugelassen, obwohl bislang nur eine Kurzzeiteffektivität in einer ALS-Subgruppe gezeigt wurde. Eine deutsche Kohortenstudie an 12 akademischen ALS-Zentren, durchgeführt vom Deutschen Netzwerk für ALS/Motoneuronerkrankungen, evaluierte nun die längerfristige Sicherheit und Wirksamkeit von Edaravon in einem Real-World-Setting.
Alle Teilnehmer hatten eine wahrscheinliche oder gesicherte ALS mit Krankheitsbeginn zwischen Dezember 2012 und April 2019. Von 1.440 gescreenten Patienten konnten 738 in die Studie eingeschlossen werden. Die Probanden wurden in paarweiser Zuordnung in zwei Gruppen eingeteilt. Die Therapie bestand entweder in Riluzol (Standardtherapie) oder in Riluzol plus intravenöses Edaravon. Die abschließende Analyse umfasste 324 Erkrankte, von denen 194 mit einer intravenösen Edaravon-Behandlung begonnen hatten; 141 davon erhielten mindestens vier Behandlungszyklen. Die Sicherheitsanalyse erfolgte bei allen Teilnehmern, die mindestens eine Dosis erhalten hatten. Die Wirksamkeitsanalyse wurde nur bei Probanden mit mindestens vier Behandlungszyklen durchgeführt. Eine Subgruppenanalyse erfolgte entsprechend der MCI186-ALS19-Studie.
Der primäre Endpunkt waren die Erkrankungsprogression bzw. die Verschlechterung des ALS-FRS-R-Scores („ALS Functional Rating Scale-Revised“). Die sekundären Endpunkte waren die Überlebenswahrscheinlichkeit, die Zeitdauer bis zur Beatmungspflichtigkeit und Änderungen der Krankheitsprogression.
In der abschließenden Analyse konnten aus jeder Gruppe 130 Teilnehmer ausgewertet werden (64 % männlich, medianes Alter 57,5 Jahre). Neun Probanden verstarben und fünf brachen die Behandlung ab. In der finalen Analyse unterschied sich die Krankheitsprogression in der Edaravon-Gruppe (n = 116, mediane Behandlungsdauer 13,9 Monate) nicht von der Standardtherapiegruppe (n = 116, mediane Behandlung 11,2 Monate). Es gab auch keine signifikanten Unterschiede bei den sekundären Endpunkten oder in den Subgruppen. Nebenwirkungen wurden bei 16 % der Patienten unter Therapie mit Edaravon beobachtet (vor allem Infektionen an der Einstichstelle und allergische Reaktionen).
„Diese Kohortenstudie konnte für Edaravon i. v. als Add-on-Therapie zur Standardbehandlung mit Riluzol keinen klinischen Nutzen im Langzeitverlauf über ungefähr ein Jahr belegen, was eine Enttäuschung darstellte“, so das Fazit von Ko-Autor Prof. Albert C. Ludolph, Ulm. „Wir sehen derzeit keine Rationale, Edaravon i. v. therapeutisch einzusetzen, und setzen nun unsere Hoffnung auf Edaravon in oraler Verabreichung – das orale Präparat wird derzeit, auch in Ulm, in einer Studie erprobt – sowie auf andere krankheitsmodifizierende Substanzen, die sich derzeit in der klinischen Prüfung befinden.“
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Giulia Bertelli, Unsplash