Schnelle Lieferungen, Beratung per Video oder Zahlungen mit Bitcoins: Versandapotheken zeigen, was mit moderner Technik möglich ist. Präsenzapotheken hinken hinterher. Nicht die Schuld der Inhaber, sondern gesetzlicher Bremsklötze. Von Gleichbehandlung ist man weit entfernt.
Bislang sahen viele Kunden mehr oder minder lange Lieferzeiten als gewaltigen Nachteil von Versandapotheken an. Grund genug, Rx-Präparate zur Akutversorgung in Apotheken vor Ort abzuholen. Dieses Dogma könnte schon bald fallen: Aponeo hat für Berlin ein neues Logistikmodell entwickelt: Same-Day Delivery.
Für Einzelhandelsunternehmen ist der Service kein Novum. Nur gelten Arzneimittel eben als Waren der besonderen Art. Basierend auf der Apothekenbetriebsordnung (ApoBetrO), der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) und dem Arzneimittelgesetz (AMG) müssen Apotheker ein Rezept als Original vorliegen haben. Entsprechende Regelungen gaben schon vor Jahren Visavia-Systemen den Todesstoß. Kunden hatten die Möglichkeit, am Abgabeterminal vorbestellte Rx-Präparate jederzeit abzuholen. Bei Aponeo sammelt ein Fahrer das Originaldokument ein, bringt es zur Versandapotheke und stellt Präparate noch am gleichen Tag zu. Christian Buse, Vorstandsvorsitzender beim Bundesverband Deutscher Versandapotheken (BVDVA), sieht in der Entwicklung große Potenziale. Interesse sei da – von bewegungseingeschränkten, älteren Menschen bis hin zu Leistungssportlern. Will heißen: Der Wunsch von Versandapotheken, Rx-Segmente zurückzuerobern, ist groß, nachdem Boni endgültig der Vergangenheit angehören.
An und für sich haben Deutschlands Ballungsräume ein dichtes Apothekennetz. Aus reinen Versorgungsaspekten heraus könnten Vor-Ort-Apotheken derartige Leistungen erbringen – hätte der Gesetzgeber nicht virtuelle Fußfesseln angelegt. Alles beginnt mit der Tatsache, dass die Zustellung durch Boten nur „im Einzelfall“ (ApBetrO, Paragraph 17) legitim ist. Und weiter: „Sofern eine Beratung in der Apotheke nicht bereits vorgenommen wurde, muss die Beratung durch das pharmazeutische Personal der Apotheke in unmittelbarem Zusammenhang mit der Auslieferung erfolgen.“ Versandapotheken bleiben diese Einschränkungen nicht nur erspart. Auch bei der Beratung punkten sie mit Techniken, die Präsenzapotheken verschlossen bleiben.
Das kam so: Ende 2014 gaben die Deutsche Telekom und die Versandapotheke DocMorris bekannt, ihre Kooperation bei neuen Technologien weiter fortzusetzen. Gemeinsam arbeiten sie an der webbasierten, audiovisuellen Live-Beratung: ein „wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Versorgung in strukturschwachen Regionen“, wie es in einer Meldung heißt. Der Mehrwert sei vor allem bei „immobilen Menschen oder Patienten mit einer Polymedikation, deren Beratungsbedarf besonders hoch ist“, gegeben. Und weiter: „Die sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung des LiveBeraters garantiere Kunden, dass die Gespräche mit dem pharmazeutischen Fachpersonal vertraulich und geheim bleiben“, schreiben beide Konzerne. Parallel zur persönlichen Beratung sind auch Filme und Grafiken verfügbar, etwa für Diabetes oder Asthma/COPD. Neu ist die Idee keineswegs: Ab Ende 2009 versuchte die mittlerweile insolvente CoBox AG, Videokabinen für Beratungsgespräche zu installieren. Große Banken oder Flughäfen nutzen Videoboxen schon seit Jahren. Bei Inhabern öffentlicher Apotheken zog das Konzept nicht sonderlich gut – vielleicht waren es die hohen Investitionskosten, vielleicht aber auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Das Bundesgesundheitsministerium hatte kurz darüber nachgedacht, Beratungen per Videoschaltung in die überarbeitete Apothekenbetriebsordnung zu packen, entsprechende Pläne dann aber verworfen.
Nicht nur bei Telematik-Anwendungen, sondern auch bei Bezahlsystemen haben Versandapotheken die Nase vorn. Innovationen kommen ursprünglich aus der Lebensmittelindustrie. Starbucks arbeitet schon länger mit mobilfunkbasierten Systemen. In den USA bestellt und bezahlt mehr als jeder zehnte Kunde schon heute per App. Experten sehen als wesentliche Vorteile die hohe Akzeptanz – fast alle Kunden besitzen Mobiltelefone – und den Zeitgewinn am POS. Damit nicht genug: Sogenanntes „Netzgeld“ sorgt in der Entwickler-Community schon lange für Schlagzeilen. User übertragen Bitcoins, eine dezentrale, digitale Währung, direkt von Person zu Peron über das Internet. Beim Transfer fallen weitaus niedrigere Gebühren an, als dies mit Bank- oder Kreditkarten der Fall wäre. Online-Apotheken sind mit dabei: „The Swiss Pharmacy“ und „CoinRx“ akzeptieren virtuelle Münzen als Zahlungsmittel. Hierzulande bleibt man skeptisch. „Bitcoins sind kein Zahlungsmittel, sondern ein hoch spekulatives Finanzinstrument“, kritisiert Carl-Ludwig Thiele vom Vorstand der Deutschen Bundesbank.
Während Thieles Bedenken zumindest eine Basis haben, mittlerweile gab es sogar „virtuelle Bankräuber“, lassen sich gesetzliche Lockerungen für Versandapotheken kaum nachvollziehen. Keine aktive Beratungspflicht und kaum Einschränkungen beim Vertrieb – davon können Präsenzapotheken nur träumen. Technische Innovationen scheitern regelmäßig am gesetzlichen Korsett. Von Hermann Gröhes E-Health-Gesetz sind auch keine Wunder zu erwarten.