Diverse Proteine im Nervenwasser können schon vor dem Auftreten von Symptomen ein Anzeichen für Demenz sein. Forscher wollten nun wissen, was die Messwerte zeigen und ob sie sich als Ansatz für neue Therapien eignen.
In den letzten Jahren hat sich herausgestellt, dass eine erhöhte Aktivität des Immunsystems des Gehirns – auch Neuroinflammation genannt – ein Anzeichen für die Entwicklung der Alzheimer-Erkrankung sein kann. Auf diese Immunprozesse weisen verschiedene Proteine im Nervenwasser hin. Dennoch wurde bisher nicht umfassend untersucht, wie diese Marker mit Hirnvolumen, kognitiver Leistung und anderen Parametern zusammenhängen. Michael Heneka, Professor für Klinische Neurologie und sein Team nahmen sich nun in einer aktuellen Studie dieser Untersuchung an.
„Es gibt etablierte Biomarker für Amyloid und Tau. Das sind Proteine, die sich bei einer Alzheimer-Erkrankung im Gehirn ansammeln und auch im Nervenwasser nachweisen lassen. Deren Messspiegel verändern sich in der Regel noch bevor Symptome von Demenz auftreten, was als Zeichen für nervenschädigende Prozesse gilt. Wir wollten wissen, ob die Entzündungsmarker in ähnlicher Weise anschlagen“, erläutert Erstautor Dr. Frederic Brosseron. Daher untersuchte das Forschungsteam Nervenwasserproben und Ergebnisse eines Gedächtnistests von rund 300 Probanden: Neben kognitiv unauffälligen Erwachsenen, alle im Alter über 60 Jahre, wurden auch Personen, mit Gedächtnisproblemen unterschiedlich starker Ausprägung sowie Personen mit Alzheimer-Demenz eingeschlossen. Die Daten umfassten neben der Eingangsuntersuchung auch mindestens eine Nachuntersuchung ein Jahr später.
„Tatsächlich haben wir festgestellt, dass die meisten Entzündungsmarker erhöht sind, insbesondere wenn ein Marker für Nervenzellschäden erhöht ist. Das gilt auch, wenn diese Personen noch keine Symptome von Demenz aufweisen. Die von uns erfassten Entzündungsmarker eignen sich also insbesondere, um Neuroinflammation in frühen Krankheitsstadien zu untersuchen.“, so Brosseron. „Anhand der bisher vorliegenden Daten können wir die Vorlaufzeit noch nicht spezifizieren. Aber nach meiner Einschätzung beträgt sie mindestens zehn bis zwanzig Jahre“, ergänzt Prof. Heneka.
Insbesondere zwei dieser Marker – Proteine der „TAM-Rezeptor-Familie“ – scheinen mit einem Schadensbegrenzungsprogramm zusammenzuhängen. Denn bei Studienteilnehmern mit besonders hohen Werten dieser Marker war das Hirnvolumen vergleichsweise groß und die kognitiven Funktionen gingen im zeitlichen Verlauf langsamer zurück. Um diese Befunde zu verifizieren, analysierte das Team um Heneka Daten einer weiteren Studienkohorte mit mehr als 700 Erwachsenen und überwiegend milden kognitiven Beeinträchtigungen. Fazit: Die vorherigen Ergebnisse wurden bestätigt.
„Entzündungsprozesse sind per se nicht schlecht, sondern vor allem zu Beginn eine normale, schützende Reaktion des Immunsystems auf bedrohliche Reize. Aber sie dürfen nicht zu lange andauern, dafür müssen sie reguliert werden“, so Heneka. Von den Proteinen der TAM-Familie sei bekannt, dass sie Immunreaktionen beeinflussen und die zelluläre Abfallbeseitigung fördern, erläutert er. „Diese Schutzfunktion zu unterstützen, wäre ein interessanter Ansatzpunkt für die Pharma-Forschung. Hier sehe ich Anwendungspotenzial für die von uns identifizierten Marker. Für die Früherkennung von Demenz im Rahmen der Routineversorgung ist die Messung dieser Marker zu aufwändig. Aber bei der Erprobung neuer Medikamente in klinischen Studien gibt es andere technische Möglichkeiten. Für solche Studien benötigt man Indikatoren, um bewerten zu können, ob Maßnahmen anschlagen und getestete Arzneimittel wirksam sind. Die TAM-Marker könnten dafür sehr nützlich sein.“
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE). Hier geht es zur Originalpublikation.
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