Viele Patienten auf der Intensivstation sind nicht in der Lage, sich zu äußern – und nicht immer gelingen Methoden wie Augenblinzeln oder Kopfnicken. Eine Studie zeigt, wie Eye-Tracking-Systeme bei der Kommunikation helfen können.
Intubiert, beatmet, nicht sprechfähig: Viele Patienten auf der Intensivstation sind wegen ihrer Erkrankung nicht in der Lage sich zu äußern. Sie können ihre Wünsche und Bedürfnisse, Symptombeschreibungen oder Schmerzempfindungen nur nonverbal mitteilen. Neben Augenblinzeln, Lippenlesen und anderen Methoden können Eye-Tracking-Systeme die Kommunikation unterstützen. Das hat eine Arbeitsgruppe der Chirurgischen Klinik des BG Universitätsklinikums Bergmannsheil in Kooperation mit der Psychologischen Fakultät der Fern-Universität Hagen gezeigt. Die Arbeit vermittelt auch Einblicke in das Innenleben schwerkranker Menschen. Veröffentlicht wurde die Ergebnisse der Studie im Journal of Trauma and Acute Care Surgery.
Sprachlos zu sein ist für Patienten auf der Intensivstation eine sehr frustrierende Erfahrung – vor allem dann, wenn sie sich selbst als ausreichend orientiert wahrnehmen, um mit ihrem Umfeld zu kommunizieren. Intensivmedizinisch Beschäftigte müssen deswegen im Stationsalltag häufig alternative Formen zur nonverbalen Kommunikation nutzen, um den Bedürfnissen dieser Patienten gerecht werden zu können. Doch nicht immer gelingt dies durch Methoden wie Augenblinzeln, Lippenlesen, Kopfnicken oder durch den Einsatz von Stift und Papier oder Buchstabentafeln. In solchen Fällen könnten Eye-Tracking-Systeme genutzt werden, um Kommunikationsbarrieren zu überwinden.
„Moderne Kommunikationssysteme, die über eine Augensteuerung funktionieren, sind im medizinisch-therapeutischen Bereich seit langem etabliert, beispielsweise bei Menschen mit fortgeschrittenen neuromuskulären Erkrankungen“, erklärt Dr. Christopher Ull von der Chirurgischen Klinik des Bergmannsheils. „Ihr Nutzen als geeignetes Kommunikationsmittel für schwer kranke und nicht sprachfähige Intensivpatienten ist dagegen bisher kaum erforscht worden. Gerade bei beatmeten Menschen, die beispielsweise wegen einer Querschnittlähmung nicht Arme und Hände für die Kommunikation einsetzen können, erschien uns eine solche Technologie als sehr vielversprechend.“
Die Arbeitsgruppe hat in ihre Studie insgesamt 75 Patienten einbezogen. Für die Studie nutzte die Arbeitsgruppe ein kommerziell erhältliches Eye-Tracking-System, das auf ein mobiles Haltersystem montiert und in Blickrichtung der betrachtenden Person positioniert wurde.
Das System besteht aus Kameras, Lichtquellen, verschiedenen Bildverarbeitungsalgorithmen und speziellen Softwareprogrammen, die auf einem handelsüblichen PC installiert sind. Das Prinzip: Lichtquellen senden infrarotnahes Licht aus, welches von den Augen der betrachtenden Person reflektiert wird. Die Kameras erfassen das Auge der Person und das Reflexionsmuster darin. Die Bildverarbeitungsalgorithmen finden spezifische Details des Auges und des Reflexionsmusters. Aus den gewonnenen Daten errechnet das System mit mathematischen Algorithmen die Blickrichtung der betrachtenden Person auf dem Computermonitor: Das System weiß also, wohin sie schaut.
Vor der eigentlichen Anwendung wurde das System individuell für jede teilnehmende Person kalibriert. Nach einer kurzen Trainingsphase waren die Patienten anschließend in der Lage, das System mittels Blickfixierung zu steuern. Auf dem Monitor wurden im standardisierten Studienprotokoll etablierte Skalen und Scores präsentiert, mit denen die Person ihr Schmerzempfinden, ihre Stimmung, ihre Einschätzung ihrer Lebensqualität und ihres Selbstwertgefühls bewerten sollte.
In den Ergebnissen zeigte sich, dass die teilnehmenden Personen trotz vermeintlich adäquater schmerzlindernder Therapie und regelmäßiger psychologischer Interventionen Schmerzen hatten und eine traurige Grundstimmung vorwiesen. Der Gesundheitszustand wurde im Allgemeinen als schlecht bewertet. Bezogen auf das Selbstwertgefühl gaben die meisten Patienten an, sich gefangen oder unsicher zu fühlen, frustriert zu sein und missverstanden zu werden. Trotz ihrer schweren Erkrankung befanden sich viele Patienten dennoch als intelligent, klardenkend, kontaktfreudig und optimistisch.
„Die Ergebnisse unserer Arbeitsgruppe zeigen zweierlei: Erstens, dass Eye-Tracking-Systeme schwer kranken, nicht sprachfähigen und bewegungseingeschränkten Menschen die Möglichkeit geben können, ihrem Umfeld ihre Selbsteinschätzung und Empfindungen anhand von standardisierten Skalen und Scores differenziert zu vermitteln“, so Ull.
„Zweitens konnten wir durch den Einsatz von Eye-Tracking-Verfahren Hinweise für Verbesserungsmaßnahmen in der intensivmedizinischen Versorgung von verbal eingeschränkten Patienten finden. Wir sind überzeugt davon, dass mit dieser Technologie die Interaktion zwischen betroffenen Menschen und behandelndem intensivmedizinischem Team verbessert werden kann, bis diese wieder in der Lage sind, adäquat nonverbal zu kommunizieren oder sprachfähig sind. Dafür sind allerdings weitere Untersuchungen zwingend erforderlich.“
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Ruhr-Universität Bochum. Hier findet ihr die Originalpublikation.
Bildquelle: Javier Esteban, unsplash