Die Eichel wird zu Schamlippen und Klitoris umgeformt, ein Teil des Unterarmlappens zum penisartigen Wulst gerollt – wie gehen Chirurgen im Detail vor, wenn Transsexuelle sich zu geschlechtsangleichenden OPs entscheiden? Und wie sieht das Ergebnis aus?
Umstrittene TV-Formate wie das „Dschungelcamp“ haben auch ihre guten Seiten. Zuletzt sprach das Model Giuliana Farfalla über ihre geschlechtsangleichenden Operationen. Dadurch erreichte das Thema Transsexualität ein breites Publikum – bestimmt auch Betroffene. Das Gefühl, sich seit Geburt im falschen Körper zu befinden und dem anderen Geschlecht anzugehören, resultiert bei immer mehr Betroffenen im Wunsch, sich einer geschlechtsangleichenden Operation zu unterziehen. Die Frage, die sich aus medizinischer Sicht ergibt: Was bedeutet das für den Arzt? Wie muss er vorgehen, was gilt es zu beachten und welche Komplikationen können auftreten?
Transsexuelle Menschen fühlen nämlich, dass sie nicht das bei ihrer Geburt zugewiesene Geschlecht haben. Bei ihnen gibt es im Gegensatz zur Intersexualität weder anatomische noch genetische oder biochemische Besonderheiten. Aussagen zur Prävalenz sind mit Vorsicht zu genießen. Zentrale Register existieren nicht. Eli Coleman von der University of Minnesota steckt für Mann-zu-Frau-Transidente als Rahmen 1:11.900 bis 1:45.000 ab. Für Frau-zu-Mann-Transidente gibt er 1:30.400 bis 1:200.000 an. Der Leidensdruck schwankt von Person zu Person in weiten Grenzen. Jochen Heß © UK Essen Ärzte warnen jedoch, das Thema nicht auf rein chirurgische Aspekte zu reduzieren. „Sind sich Patienten unsicher, ob eine geschlechtsangleichende OP für sie infrage kommt, sollten sie im ersten Schritt den Rat eines Psychotherapeuten einholen“, sagt Privatdozent Dr. Jochen Heß. Er ist stellvertretender Direktor der Klinik und Poliklinik für Urologie, Uroonkologie und Kinderurologie am Uniklinikum Essen. Einer seiner Schwerpunkte ist die rekonstruktive Urologie.
Vor jeder OP fordert Heß klare Diagnosen. Transsexualität ist im ICD-10 64.0 hinterlegt. Vor dem Eingriff sollten zwei Gutachten vorliegen, etwa vom begleitenden Psychologen oder Psychiater sowie von einem Arzt. Bei klarer Diagnose übernehmen gesetzliche oder private Kassen alle Kosten. „Neben diesen formalen Voraussetzungen muss sich für den Operateur nach Prüfung aller Kriterien ein stimmiges Bild ergeben“, ergänzt Heß. Aus medizinischer Sicht evaluiert er außerdem allgemeine Risikofaktoren wie Adipositas. Nicht ausreichend stabilisierte Depressionen, Schizophrenien oder Suchterkrankungen seien ebenfalls eine Kontraindikation. Heß zufolge ist die Rate an psychiatrischen Diagnosen bei Patienten mit Geschlechtsinkongruenz höher als im Bevölkerungsdurchschnitt. Ob hier aber eine Kausalität bestehe, sei schwierig zu sagen. Soziale Stigmatisierung könne sekundär zu Depressionen führen. Patienten mit augenscheinlich mangelnder Therapietreue kommen für Eingriffe auch nicht infrage. „Nach der Operation ist ein erhebliches Maß an Compliance erforderlich“, erklärt der Experte. Mögliche Risiken und chirurgische Herangehensweisen hängen stark von der Art der Geschlechtsumwandlung ab.
© Genusfotografen (Tomas Gunnarsson) / Wikimedia Sverige, CC CY SA 4.0 Bei der geschlechtsangleichenden OP von Frau zu Mann verschreiben Ärzte Testosteron als Gel oder als Depotpräparat. Sie entfernen die Gebärmutter (Hysterektomie), die Eierstöcke (Ovarektomie) und gegebenenfalls das Brustgewebe (Mastektomie). Erst danach müssen sich Patienten zusammen mit ihren Behandlern entscheiden, wie es weitergehen soll. Ärzte entfernen Teile der Scheidenwand (Kolpektomie) und legen einen Neophallus nach unterschiedlichen Methoden an. „Als kleine Lösung gibt es sogenannte Metaidoioplastik“, berichtet Heß. Durch die Testosteron-Substitution kommt es zur Klitoris-Hypertrophie. Die Klitoris wird danach teilweise freigelegt. Eine Harnröhre lässt sich aus den kleinen Schamlippen formen. Heß: „Hier entsteht ein Minipenis, der sicherlich ausreicht, um im Stehen zu urinieren: eine Tatsache, die vielen Patienten sehr, sehr wichtig ist.“ Penetrativer Geschlechtsverkehr gelinge damit aber kaum. Als Vorteile nennt der Experte den geringeren Aufwand und die im Vergleich zu anderen Verfahren geringere Komplikationsrate. „Bei den eigentlichen Penoiden hat sich der Radialis-Lappen durchgesetzt“, so Heß weiter. Penoide sind künstliche, penisartige Strukturen. Auch hier wird eine Harnröhre mit aufgebaut. Operateure entnehmen einen Unterarmlappen mit Vene und mit Nerven, rollen die Struktur zu einem penisartigen Wulst und nähen das Konstrukt als freies Transplantat an. „Man kann eine gewisse Empfindlichkeit des Hautschlauchs erreichen“, erklärt Heß. Als weitere Option nennt er den ALT-Lappen (anterolateral thigh flap, Anterior-Lateral-Tight-Lappen) mit Gewebe aus dem vorderen, seitlichen Oberschenkel. Hodenimplantate sowie ein künstlicher Schwellkörper kommen mit hinzu. Hautsensibilität und sexuelle Empfindungsfähigkeit am Penoid sind gegeben, indem Klitoris-Gewebe verwendet wird. Die Bewertung verschiedener Techniken gestalte sich schwierig, da es keine direkten Vergleiche gebe, berichtet Heß. „Oftmals spezialisieren sich Zentren auf die eine oder andere Variante.“ Bei großen Fallzahlen seien die Ergebnisse aber durchaus vergleichbar. Insgesamt sind je nach medizinischer Strategie und nach Wunsch der Patienten vier oder mehr OPs erforderlich:
Seiner Erfahrung nach treten bei bis zu 40 Prozent Komplikationen wie Fisteln der Harnröhre auf. An der ursprünglichen Entnahmestelle des Gewebes entstehen Hebedefekte, also Verluste der Funktion und der Körperform. Das heißt, Gliedmaßen sind nicht mehr so belastbar wie vor dem Eingriff und haben an der Entnahmestelle erkennbare Deformationen. Was sind mögliche langfristige Perspektiven bei der OP Frau zu Mann? Jochen Heß glaubt, dass vor allem künstliche Organe eine Rolle spielen werden. Gewebekulturen und 3D-Biodruckverfahren haben in letzter Zeit immense Fortschritte gemacht. Penistransplantationen räumt er keine große Bedeutung ein, da bundesweit ein genereller Mangel an Spenderorganen herrscht. Außerdem müssten Patienten nach der OP Immunsuppressiva einnehmen, was mit etlichen Risiken verbunden ist, allen voran Infektionen.
© Genusfotografen (Tommas Gunnarsson) / Wikimedia Sverige, CC BY SA 4.0 Deutlich weniger komplikationsanfällig gestaltet sich die operative Geschlechtsangleichung vom Mann zur Frau. So lange Patienten noch ihre Hoden haben, verordnen Ärzte Antiandrogene und Östrogene. Beim Eingriff selbst entfernen Chirurgen den Penisschwellkörper und die Hoden inklusive aller Samenstränge. „Man muss dammseitig zwischen Prostata und Enddarm erst mal eine Kavität schaffen“, so Heß. Die Neovagina wird mit eingestülpter Penisschafthaut und Vollhaut des Hodensacks ausgekleidet. Die Schamlippen und die Klitoris entstehen aus der Eichel. Auch hier bleibt die sexuelle Emfindsamkeit durch die Verwendung von Penisgewebe in gewissem Umfang erhalten. Weitere plastische Eingriffe folgen, um den Scheideneingang zu erweitern, einen Schamhügel sowie ein Klitorishäubchen anzulegen oder die Schamlippen zu korrigieren. Als mögliche Komplikationen nennt Heß Wundheilungsstörungen oder Harnröhrenkomplikationen. „Im Vergleich zu den Phalloplastiken sind diese aber gut beherrschbar“, berichtet der Experte. Es finden in der Regel zwei Eingriffe statt.
Darüber hinaus ist es auch möglich, dass Trans-Frauen unabhängig von geschlechtsangleichenden OPs stillen. Tamar Reisman vom Center for Transgender Medicine and Surgery, New York, hat kürzlich einen Fallbericht veröffentlicht. Die Ärztin gab ihrer Patientin nicht nur Hormone, sondern auch Domperidon. Der Wirkstoff ist eher als Antiemetikum bekannt geworden, erhöht aber auch den Prolaktinspiegel. Dieses Hormon führt zur verstärkten Produktion von Muttermilch. Ihre pharmakologische Strategie ergänzte Reisman mit einer Milchpumpe.
Doch wie beurteilen Patienten das Resultat? Hier gibt es recht wenige Daten. Heß interviewte 254 Patientinnen, die sich fünf Jahre zuvor einer geschlechtsangleichenden Operation vom Mann zur Frau unterzogen hatten. 119 von ihnen füllten den Fragebogen aus. Für 90,2 Prozent hatten sich ihre subjektiven Erwartungen hinsichtlich der Geschlechtsidentität erfüllt. Mit dem neuen Erscheinungsbild als Frau waren 61,2 Prozent zufrieden und 26,2 Prozent sogar sehr zufrieden. Dem funktionellen Ergebnis gaben 37,6 Prozent gute und 34,4 sogar sehr gute Noten. Bei Frau-zu-Mann-OPs seien laut Heß 80 Prozent mit dem Ergebnis zufrieden. Eine weitere Studie zeigte, dass 88 Prozent Schwellkörper-Implantate im Zuge ihrer Sexualität positiv bewerten. Genauere Daten, etwa zur Orgasmusfähigkeit, gibt es aber noch nicht.