Diese Entscheidung sorgt weiter für Zank: Das Robert-Koch-Institut verkürzt plötzlich den Genesenenstatus von sechs auf drei Monate – und erntet Kritik von allen Seiten. Wird dem Institut die Macht nun wieder genommen?
Erneut hagelte es Kritik an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): Grund dafür ist die überraschende Entscheidung des Robert-Koch-Instituts (RKI) vor zwei Wochen, dass der Genesenenstatus von sechs auf drei Monate verkürzt wird. Wird dem RKI die Entscheidungsgewalt über den Genesenenstatus jetzt wieder entzogen? Lauterbach zeigt sich zumindest offen dafür, berichtet Business Insider.
Erst Mitte Januar hatten Bundestag und Bundesrat beschlossen, dass das RKI die Geltungsdauer des Genesenenstatus festlegen kann. Am 15. Januar teilte das RKI dann überraschend mit, dass der Status nur noch drei anstatt sechs Monate gültig ist. „Solche kritischen Entscheidungen, die das Leben von Millionen Menschen unmittelbar betreffen, gehören entweder ins Parlament, oder sie müssen durch den Minister selbst getroffen und erklärt werden. Nichts davon war der Fall“, so Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU.
In einem viel diskutierten Rechtsgutachten zweifelt auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages daran, ob das Robert Koch-Institut über den Genesenenstatus überhaupt entscheiden darf. Es gebe große Zweifel, ob der Vorgang „verfassungsrechtlichen Maßstäben genügt“, heißt es in dem Dokument das unter anderem dem Tagesspiegel vorliegt.
Die Bundesregierung entscheide über (...) „wesentliche Aspekte der Regelung zum Genesenennachweis nicht mehr selbst“, sondern überlasse dies dem RKI. Einen Grund dafür gebe es aber nicht – es sei „nicht ersichtlich, dass ein Wandel der wissenschaftlichen Erkenntnisse in Bezug auf den Genesenenstatus einen derartigen zeitlichen Regelungsdruck erzeugen könnte“.
Der Druck auf Lauterbach wuchs am Montag (31.Januar 2022): Bei der Gesundheitsministerkonferenz forderten die Länder, die Verordnungsänderung zu Impf- und Genesenenregeln rückgängig zu machen. Das Votum war ein klares Signal. Die Minister stimmten mit 15:1 Stimmen dafür, dass wieder die Bundesregierung in Absprache mit dem Parlament über den Impf- und Genesenenstatus entscheidet – und nicht das RKI.
Laut Business Insider zeigt sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) offen dafür, künftig selbst über die Dauer zu entscheiden. Nach Informationen aus Kreisen der Ampel-Parteien wolle das Ministerium die Kompetenzen in Sachen Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung wieder an sich ziehen. Das Bundesgesundheitsministerium nehme den Beschluss der GMK sehr ernst, demnach wäre der Minister „natürlich bereit“, einzelne Beschlüsse wie den Genesenenstatus wieder per Verordnung zu regeln. Noch liegt diese Aufgabe aber offiziell in den Händen des RKI – eine Entscheidung könnte bis Ende dieser Woche noch fallen, soll Business Insider von Gesundheitspolitikern erfahren haben.
Mit der Drei-Monats-Regel ist Deutschland ein Einzelgänger: In anderen EU-Staaten gelten Menschen nach einer Corona-Infektion für einen Zeitraum von sechs Monaten als genesen.
Ein Rückzieher würde Susanne Johna, Vorsitzende des Marburger Bundes nicht wundern: „Ich glaube nicht, dass sich die 90-Tage-Regelung in Deutschland dauerhaft halten lässt“, sagte sie der Rheinischen Post. „Die Mitgliedstaaten der EU haben ja erst vor wenigen Tagen die Gültigkeit des Genesenenstatus auf sechs Monate festgelegt.“
Hingegen befürwortet Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, die Verkürzung auf drei Monate. Aus medizinischer Sicht sei dieser Schritt sinnvoll. „Die bisherige wissenschaftliche Evidenz deutet darauf hin, dass sich Ungeimpfte nach einer durchgemachten Delta-Infektion schon deutlich früher als nach sechs Monaten mit der Omikron-Variante anstecken können“, sagte Reinhardt der Rheinischen Post.
In der Wissenschaft zweifeln einige Experten an der Sinnhaftigkeit des verkürzten Status. Dazu gehört auch der Immunologe Carsten Watzl: „Ich kenne keine Daten, die zeigen würden, dass man als Genesener drei Monate lang gut und danach schlecht geschützt ist. Solche Verlaufsdaten gibt es bei der Impfung, aber nicht bei Genesenen“, erklärt er auf Nachfrage der DocCheck News Redaktion.
Er könne daher die wissenschaftliche Begründung zur Verkürzung nicht nachvollziehen. Zur Änderung hieß es von Gesundheitsminister Karl Lauterbach und RKI-Chef Lothar Wieler, dass die Immunität nach vorangegangener Corona-Infektion weniger gut gegen Omikron schütze und kürzer anhalte als nach einer Impfung.
„Es geht ja hier um Personen, die lediglich die Infektion durchgemacht haben, ohne eine Impfung bekommen zu haben. Aus immunologischer Sicht sollten sich diese Personen sicherlich noch zweimal impfen lassen, um vollständigen Schutz zu bekommen“, so Watzl. „Aber: Natürlich vermittelt auch die Infektion eine Immunität. Diese ist in Bezug auf die Antikörperspiegel bei Genesenen mehr variabel – von keinen bis viele Antikörper – und im Mittel geringer als bei zweimal Geimpften. Aber die Antikörperspiegel sinken weniger schnell ab.“
Bei Omikron hätten sich die Spielregeln dahingehend verändert, dass man nach Impfung oder Infektion deutlich schlechter vor einer Infektion geschützt ist. Aber sowohl die Infektion als auch die Impfung schützten noch gut vor der schweren Erkrankung. „Und die aktuelle Strategie ist ja nicht die Verhinderung von Infektionen, sondern die Verhinderung schwerer Erkrankung“, so Watzl.
Dass Geimpfte länger als immun gelten als Menschen, die eine Corona-Infektion überstanden haben, kann Watzl nicht nachvollziehen. Sowohl zweimal Geimpfte als auch Genesene seien drei Monate danach nicht mehr gut vor einer Infektion mit Omikron geschützt. „Daher müsste man konsequenterweise auch die Gültigkeit der zweifachen Impfung auf drei Monate verkürzen, was ich aber das falsche Signal fände.“
Bildquelle: Inna Lesyk, Unsplash