Während einer Schwangerschaft kann Adipositas belastend für die werdende Mutter sein. Doch wie wirkt sich starkes Übergewicht auf die Entwicklung des Kindes aus? Forscher:innen sind der Frage in einer ganz speziellen Studie nachgegangen.
Ganz unterschiedliche Einflussfaktoren können bekanntermaßen die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten und des Verhaltens eines Kindes stören. Hierzu gehören Umweltgifte (z. B. Blei)1, psychosozialer Stress2 oder die Ernährung3. Die Anzahl an Frauen mit Übergewicht oder Adipositas hat in den letzten Jahren immer mehr zugenommen. Von großem Interesse ist aus diesem Grund auch die Frage, ob und wie sich das Körpergewicht einer werdenden Mutter auf die Entwicklung ihres Kindes auswirken kann.4
Um dieser Frage nachzugehen, analysierten Forschende in einer aktuellen Arbeit die umfangreichen und hochwertigen Daten der PROBIT-Studie, einer longitudinalen Kohortenstudie, die im Jahr 1996 in Belarus gestartet wurde. An der Studie nahmen insgesamt 11.276 Frauen und ihre Kinder teil. Da die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas in Belarus deutlich geringer ist als z. B. in Industrienationen, eignen sich die Daten besonders gut für den Vergleich von Kindern übergewichtiger mit Kindern normalgewichtiger Mütter.4
In der PROBIT-Studie wurde zuvor bereits untersucht, wie sich das Stillen auf die kognitive Entwicklung eines Kindes auswirkt.5,6 Das Ergebnis: Während in der Auswertung an Kindern im Alter von 6,5 Jahren positive Effekte des Stillens auf den IQ, insbesondere im verbalen Bereich, festgestellt werden konnten, zeigte sich dieses Ergebnis in der Follow-up-Studie nach 16 Jahren so nicht mehr.5,6 Die positiven Effekte des Stillens auf die neurokognitive Entwicklung schienen mit zunehmendem Alter der Kinder abgenommen zu haben. Lediglich ein geringer anhaltender positiver Effekt auf die verbale Funktion konnte noch erkannt werden.5
In der Arbeit aus dem Jahr 2021 wurde nun geschaut, ob sich ein Zusammenhang zwischen dem Body Mass Index (BMI) der Mutter während der späten Schwangerschaft und kognitiver Leistung und Verhalten des Kindes feststellen lässt.4
Der BMI der Mütter während der Schwangerschaft wurde aus den PROBIT-Daten zur Körpergröße und Gewicht errechnet. Der mittlere BMI der Mütter betrug 27,2 in der späten Schwangerschaft; 11,1 % (6,5 Jahre nach der Geburt) und 24 % (11,5 Jahre nach der Geburt), entwickelten einen BMI ≥ 30.
Um die Entwicklung der kognitiven Leistung und des Verhaltens der Kinder zu messen, wurden bei verschiedenen Follow-Up-Besuchen der PROBIT-Studie Intelligenz- und Verhaltenstests durchgeführt. Anhand dieser Daten konnten Abweichungen vom Mittelwert festgestellt und zum BMI der Mutter statistisch in Bezug gesetzt werden.4
Bei einer Studienvisite, die im Schnitt 6,5 Jahre nach der Geburt stattfand, wurde die kognitive Entwicklung der Kinder mit einem standardisierten Intelligenztest gemessen (Wechsler Abbreviated Scales of Intelligence, WASI). Bei diesem Test lagen die Ergebnisse von Kindern, deren Mütter während der Schwangerschaft stark übergewichtig waren, insgesamt unter dem Durchschnitt. In der Performance-Domäne des WASI (nichtverbale Tests) ging die Zunahme des BMI der Mutter um 5 Einheiten mit einer Verschlechterung des IQ um 0,52 Punkte (95 % KI: 0,17-0,87 Punkte) einher.4
In einem weiteren Test wurden Verhaltensauffälligkeiten und -stärken mit dem Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ) ermittelt. Hier waren die Daten weniger klar, denn nur bei Daten, die auf Lehrerberichten basierten, ergaben sich eindeutige Hinweise auf Verhaltensänderungen abhängig vom mütterlichen BMI. Bei Daten, die auf Elternberichten basierten, war dies jedoch nicht der Fall.4
Bei einer späteren Studienvisite etwa 16 Jahre nach Geburt führten die mittlerweile jugendlichen Proband:innen einen computergestützten Test ihrer neurokognitiven Funktion durch (NeuroTrax-Test). Darin wurden z. B. das verbale und nonverbale Gedächtnis, die räumlich-zeitliche Orientierung und feinmotorische Fähigkeiten gemessen. Auch hier war eine Korrelation zu erkennen: Beim Gesamtscore wurde ein Rückstand von 0,67 Punkten (95 % KI: 0,29-1,06 Punkte) pro 5 Einheiten des BMI der Mutter festgestellt.4
Außerdem schnitten die Kinder von Müttern mit hohem Schwangerschafts-BMI ein wenig schlechter bei Schulabschlussprüfungen ab. Auf einer Skala von 10 Punkten betrug hier der Unterschied -0,05 Punkte (95 % KI: -0,09 bis -0,02) pro 5 BMI-Einheiten bei Schulabschlüssen nach 11 Jahren und -0,03 Punkte (95 % KI: -0,08 bis 0,02) pro 5 BMI-Einheiten bei Schulabschlüssen nach 9 Jahren.4
Bei fast allen durchgeführten Tests wurden somit Auffälligkeiten bei Kindern festgestellt, deren Mütter in der späten Schwangerschaft stark übergewichtig waren. Die Autoren schlussfolgern, dass ein hoher BMI der Mutter während der Schwangerschaft mit einer Beeinträchtigung der Gehirnentwicklung des Kindes zusammenhängen könnte. Gründe könnten z. B. häufigere Schwangerschaftskomplikationen oder hormonelle Veränderungen bei Adipositas sein. Kinder stark übergewichtiger Frauen sollten demnach auf Langzeit-Entwicklungsdefizite hin überwacht werden.4 Die Daten unterstützen die Ergebnisse einer früheren Metaanalyse, die ebenfalls ergab, dass Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft übergewichtig waren, eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine verzögerte kognitive oder intellektuelle Entwicklung aufwiesen.7 Insgesamt waren die Auswirkungen jedoch weniger stark ausgeprägt als bei der Frage, ob die Mütter ihre Kinder gestillt haben oder nicht.4
Zwischen einem erhöhten BMI in der späten Schwangerschaft und der späteren kognitiven Leistungsfähigkeit eines Kindes könnte ein Zusammenhang bestehen. Übergewicht in der Schwangerschaft könnte sich damit nicht nur auf die Gesundheit der Mutter auswirken, sondern steht somit auch im Verdacht, die Entwicklung des Kindes nachhaltig zu beeinflussen. Mögliche ursächliche Mechanismen, die in der Literatur dazu diskutiert werden, umfassen z.B. eine gesteigerte Neuroinflammation durch inflammatorische Zytokine, Veränderungen der Gehirnstruktur und Neurotransmitterbildung sowie einen Einfluss durch veränderte Mengen von metabolischen Hormonen, wie Leptin und Insulin, im Gehirn.8
Allerdings ist es wichtig zu beachten, dass es sich bei der vorliegenden Studie um eine Beobachtungsstudie handelt und die neurokognitive Entwicklung von einer Vielzahl weiterer Faktoren, wie z. B. dem sozio-kulturellen Umfeld in dem ein Kind aufwächst, beeinflusst werden kann. Interessanterweise gibt es auch Hinweise auf verschiedene andere Einflüsse, die schon während der Schwangerschaft bzw. im Kleinkindalter einen Einfluss auf die Intelligenzentwicklung haben können. Hier können u.a. die Ernährung, Stress bzw. die psychische Verfassung der Mutter während der Schwangerschaft und auch das Stillen nach der Geburt genannt werden.8,9
Da wir gerade beim Thema Schwangerschaft sind: Kennen Sie schon unseren Artikel zur Einordnung und Klassifizierung einer Adipositas? Da stellen wir neben dem BMI das Edmonton Obesity Staging System (EOSS) vor, das auch für gynäkologische Aspekte interessant sein kann. Hier gelangen Sie direkt zu diesem Artikel.
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