Der Münsteraner „Tatort“ überrascht mich immer wieder, auch mit pharmazeutischen Fun Facts. Die aktuelle Folge hat mich aber mit Fragezeichen zurückgelassen: Wie realistisch ist die Drogen-Trance von Kommissar Thiel?
„And now for something completely different“, hätte es bei Monty Python jetzt wohl geheißen. Weg von all den Corona-News, weg vom neuesten Impf-Chaos, das den Apotheken blüht und hin zur reinen Unterhaltung. Naja – ein bisschen Pharmazie ist natürlich trotzdem dabei, wir sind hier schließlich beim Mörserzeichen-Kanal, nicht wahr? Wer wie ich den neuesten „Tatort“ aus Münster gesehen und sich gefragt hat, ob es „Atem des Teufels“ wirklich gibt, darf sich freuen: Ich habe da mal etwas recherchiert. Was hat es also mit dieser Droge auf sich und was macht einen beim Konsum angeblich so willenlos?
Der Münsteraner „Tatort“ ist bekannt dafür, dass es etwas klamaukiger zugeht als bei Krimis anderswo in der Republik. Der Schlagabtausch, den sich die Protagonisten Frank Thiel und Karl-Friedrich Boerne liefern, ist sicher nicht jedermanns Sache. Ich finde ihn oft witzig. Meistens sind hier auch Apotheker oder Ärzte die Täter, die ihre Patienten oder Familienangehörigen mit pharmazeutischem oder medizinischem Sachverstand um die Ecke bringen. Ich sehe die Episoden gerne – wo sonst wird ganz nebenbei die Wirkung von Kaliumcyanid erläutert und über Chimärismus aufgeklärt?
Die Geschichte der aktuellen Folge ist schnell erzählt: Hauptkommissar Thiel hatte vor vielen Jahren aufgrund eines Fehlers einen Kollegen hinter Gitter gebracht, der eigentlich das Opfer war. Kaum ist dieser entlassen, sinnt er auf Rache. Er leidet unter einem Glioblastom, was seine Tochter, eine Ärztin, diagnostiziert hat. Er weiß, dass er nicht mehr lange zu leben hat.
Sein Racheplan: Thiel soll erfahren, wie es ist, unschuldig als Polizist im Gefängnis zu landen. Also passt er ihn ab, als er gerade in einer Kneipe sitzt und bläst ihm „Devil's Breath“ ins Gesicht. In der Geschichte ist das eine Droge, die aus der südamerikanischen Engelstrompete gewonnen wird. Wer diesen Staub einatmet, verliert seinen freien Willen und tut alles, was der Angreifer will, erfährt man gegen Ende der Story. Das Mittel soll schon nach sehr kurzer Zeit nicht mehr mit den herkömmlichen Laboruntersuchungen nachweisbar sein und das Opfer erinnert sich später an nichts mehr, was es im Rauschzustand getan hat. In diesem Fall möchte der todkranke Ex-Polizist, dass Thiel ihn mit seiner Dienstwaffe erschießt, damit er später ebenso unschuldig ins Gefängnis geht, wie er selbst. Die Auflösung lasse ich jetzt einmal offen, um nicht zu viel zu verraten.
Also, ganz ehrlich – ein Pulver, das man dem Opfer nur ins Gesicht pusten muss, damit es alles für einen tut? Und zwar ganz egal, ob es das möchte oder nicht? Und sich dazu auch noch weitgehend normal verhält und später an nichts mehr erinnern kann? Im Film ist das die Droge Burundanga, das Alkaloid aus der Tropangruppe Scopolamin (Hyoscin, C17H21NO4), das man aus Nachtschattengewächsen wie dem Stechapfel (Datura stramonium) oder aus der Engelstrompete (Brugmansia) gewinnen, oder – für die medizinische Anwendung – künstlich herstellen kann. Es ist eng verwandt mit Atropin und in der Pharmazie nicht unbekannt, denn man findet den Wirkstoff und seine Abkömmlinge in der Augenheilkunde als Augentropfen (Boro-Scopol®) zur Pupillenerweiterung, als Antiemetikum in Form von transdermalen Pflastern (Scopoderm TTS®) und in Form von N-Butylscopolamin als Spasmolytikum bei Krampfzuständen des Magen-Darm-Trakts. Wie auch Atropin hemmt es kompetitiv die muscarinischen Acetylcholinrezeptoren, was unter anderem geweitete Pupillen, Mundtrockenheit, Koordinationsprobleme und Paramnesien zur Folge hat.
Dass sich Thiel also am nächsten Morgen an nichts mehr erinnern kann, ist keine reine Fiktion. Auch die sogenannten Intrusionen, die er erlebt, also das kurze, flashbackartige Wiedererleben der traumatischen Erlebnisse der vergangenen Nacht, sind Folgen, wie sie nach einer Vergiftung mit Scopolamin vorkommen können. Sie werden durch Schlüsselreize wie Menschen, Gegenstände oder Orte getriggert, die er in Zusammenhang mit der alptraumhaften Nacht bringt. Scopolamin ist außerdem tatsächlich über reine Blut- oder Urintests kaum – das heißt nur die ersten 6–8 Stunden nach dem Konsum – nachweisbar. Hier ist der „Tatort“ aus Münster also schlüssig.
Doch stimmt es tatsächlich, dass Menschen so willenlos werden können, dass sie ihr Vermögen einfach so an fremde Menschen weggeben oder selbst zu Dieben oder Mördern werden, nur weil sie dieser Droge ausgesetzt waren? Das klang für mich recht unwahrscheinlich. Thiels Vater erklärt im „Tatort“, dass in Kolumbien, wo Burundanga seinen Ursprung hat, die Droge häufig als Substanz gebraucht wird, um Verbrechen zu begehen. Man spricht hier tatsächlich von etwa 50.000 Fällen im Jahr.
Doch dafür muss man gar nicht mehr bis nach Südamerika reisen. Auch in Paris gab es vor einigen Jahren einmal eine Reihe an Verbrechen, bei denen es eingesetzt wurde. Und zwar genau auf die gleiche Art wie beim beliebten Krimi aus Münster. Die gepulverte Substanz wurde den Opfern auf der Straße ins Gesicht geblasen, woraufhin die Wirkung augenblicklich eintrat. Die Opfer verlieren daraufhin den eigenen Willen, aber nicht ihr Bewusstsein. Sie führen die Täter sogar bis zu ihrer Wohnung und händigen freiwillig ihre Wertsachen aus. Wenn sie dann Stunden später aus ihrer zombieartigen Trance erwachen, können sie sich an nichts mehr erinnern.
Wertgegenstände zu verschenken ist das eine – aber würde man auch so weit gehen und jemanden ermorden, nur weil man unter dem Einfluss des Teufelsatems gestanden hat? Hier hilft ein Blick in die Geschichte der südamerikanischen Ureinwohner. Sie verabreichten den Frauen gestorbener Anführer oder gefallener Krieger Teile der Engelstrompete, damit sie sich freiwillig lebendig mit ihrem Ehemann begraben lassen. Wer nach dem Konsum dieser Pflanzen bereit ist, sein eigenes Leben zu beenden, der ist vermutlich auch dazu bereit, jemand anderen zu töten. Von daher war der „Tatort“ wieder einmal nicht nur kurzweilig, sondern tatsächlich auch nah an der Wahrheit.
Mir persönlich hat wieder einmal der Bezug zur Pharmakologie und Botanik gefallen. Und ich werde ihn mit Sicherheit dazu nutzen, um darauf hinzuweisen, dass auch Pflanzliches nicht immer ungefährlich ist, wenn unsere Patienten ein solches Präparat ohne Beratung zu kaufen wünschen. Gut – Ginkgo oder Johanniskraut lässt sich nicht mit der Engelstrompete vergleichen, aber es ist ein gutes Beispiel, dass die Natur nicht nur Heilendes wachsen und gedeihen lässt, sondern auch wahrlich angsteinflößende Substanzen hervorbringt.
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