Die Omikron-Variante könnte das Ende der Corona-Pandemie einläuten. Ein endemischer Zustand ist laut einiger Experten schon in Sicht. Aber so einfach ist die Sache nicht.
Virologe Christian Drosten zeigte sich kürzlich verhalten optimistisch, was das Ende der Corona-Pandemie in Deutschland angeht. Auf einer Pressekonferenz Mitte Januar verkündete er, dass wir „den endemischen Zustand [...] bis Ende des Jahres erreicht haben, wir sind praktisch da“. Andere Experten sind sich nicht so sicher, Gesundheitsminister Lauterbach etwa hält es für wahrscheinlich, dass das Auftauchen neuer Varianten die Pandemie noch weiter in die Länge ziehen wird. Aber was bedeutet es überhaupt, wenn die Corona-Pandemie in eine Endemie übergeht? Und wird es dieses Jahr wirklich so weit sein?
Um zu verstehen, wie das Leben mit Corona nach der Pandemie aussehen könnte, müssen wir einen Blick auf die epidemiologischen Begrifflichkeiten werfen. Denn „Endemie“ steht derzeit ganz oben auf der Liste der missverstandenen Begriffe im Corona-Wortschatz. Damit ist nämlich weder das jähe Ende des Coronavirus, so wie wir es kennen, gemeint, noch, dass SARS-CoV-2 völlig harmlos wird.
Der Reihe nach: Bei einer Epidemie handelt es sich um eine Erkrankung, die zeitlich und räumlich begrenzt zu ungewöhnlich vielen Fallzahlen in einer Population führt. Die Ebola-Ausbrüche in Westafrika 2014 bis 2016 und im Kongo 2018 bis 2020 sind Beispiele für solche Epidemien. Aber auch die Grippe kann epidemisch verlaufen, wenn sich in einer Saison vergleichsweise viele Menschen anstecken oder sogar daran sterben. Bei COVID-19 haben wir es hingegen mit einer weltweiten Pandemie zu tun. Anders als bei einer Epidemie ist eine Pandemie lediglich zeitlich begrenzt und nicht örtlich.
Endemie hingegen bedeutet, dass in einer bestimmten Region ein Erreger konstant präsent ist. „Es hat also nichts damit zu tun, ob ein Krankheitserreger harmlos ist oder nicht“, erklärt Prof. Friedemann Weber, Direktor des Instituts für Virologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen. „Malaria z.B. ist in Teilen Afrikas endemisch. Der Begriff wird aber bei Corona als Synonym für die Entwicklung in Richtung saisonaler Erkältungskrankheiten verwendet.“
Bei SARS-CoV-2 handelt es sich um ein völlig neues Virus, gegen das zu Beginn jegliche Immunität in der Bevölkerung fehlte. Außerdem ist das Virus hoch infektiös. Die Triebkräfte der Ausbreitung sind also unglaublich stark. Deswegen hat es das Virus geschafft, sich weltweit auszubreiten.
Mit der Zeit ändern sich jedoch die einer Epidemie zugrunde liegenden Kräfte. Wenn die Immunität in der Bevölkerung zunimmt – idealerweise kontrolliert durch Impfungen, aber auch durch natürliche Infektionen –, sinkt die Übertragungsfähigkeit des Erregers. Mit der Zeit können auch Mutationen die Übertragungsfähigkeit und Pathogenität des Erregers beeinflussen. Das sehen wir gerade bei der Omikron-Variante.
Das Ergebnis all dessen ist, dass wir anstelle einer explosiven und unvorhersehbaren Ausbreitung der Krankheit einen Punkt erreichen, an dem das Vorhandensein einer zirkulierenden Krankheit eine geringere Bedrohung für die Bevölkerung darstellt als zu Beginn einer Epidemie (oder Pandemie im Fall von Corona). Die Übertragungen werden vorhersehbarer, aber nicht unbedingt konstant – es kann immer noch zu Wellen kommen, insbesondere saisonal. Diese sind aber zu erwarten und zu bewältigen, auch ohne Einschränkungen und Schutzmaßnahmen. Wenn dieser Zustand erreicht ist, dann spricht man von einem endemischen Infektionsgeschehen. Der Übergang dahin wird aber vermutlich nicht allzu sanft werden.
„Ich kann mir vorstellen, dass die nächsten Wellen kleiner ausfallen als die momentane, aber dass es nach einiger Zeit aufgrund abfallender Immunität oder neuer Varianten auch wieder größere Wellen geben könnte“, so Prof. Weber weiter. Für ihn sind wiederkehrende Wellen aber das wahrscheinlichste Szenario für die Zukunft mit Corona. Ausschlag und Dauer dieser Wellen seien dabei abhängig von der Jahreszeit, dem Immunstatus in der Bevölkerung, der jeweils vorherrschenden Variante, und notfalls auch der Maßnahmen.
Dass neue Corona-Varianten auftauchen werden, da ist sich der Virologe sicher: „SARS-CoV-2 ist weltweit verbreitet, hat Tierreservoire, und viele Menschen sind noch nicht ausreichend geimpft, um die Viruslast in der Population zu drücken. Eine solche Masse an Virusgenomen wie sie derzeit vorhanden ist, stellt ein enormes Repertoire für die Entstehung neuer infektiöser Varianten dar.“
Ulrike Protzer, Leiterin des Instituts für Virologie an der TU München, macht auf ein weiteres Problem aufmerksam. Sie sagte der Funke-Mediengruppe: „Wir können nicht sicher sein, dass Omikron Delta ablöst. Es ist absolut möglich, dass nach dem Abflachen der aktuellen Welle Delta zurückkommt.“ Protzer zeigte sich aber zuversichtlich, dass Menschen, die geimpft sind und zusätzlich eine Corona-Infektion hatten, mit neuen Varianten gut umgehen können. Auch Weber betont: „Eine solide Grundimmunität, vorzugsweise durch Impfung, kann der Infektion vieles an Schrecken nehmen.“
Ob die Gefahr durch Corona im kommenden Herbst gebannt sein wird, hängt also maßgeblich davon ab, wie gut der Immunschutz in der Bevölkerung sein wird – aber nicht nur hierzulande sondern weltweit. Nur so lässt sich das Aufkommen neuer Corona-Varianten verhindern. Glücklicherweise befinden sich viele neue Waffen in der Entwicklung, auf die wir wahrscheinlich schon in diesem Jahr zurückgreifen können. Dazu gehören Impfstoffe der nächsten Generation, die gegen die neuesten Varianten wirksamer sein werden, oder Universalimpfstoffe, die gleich mehrere Varianten abdecken. Womöglich könnten diese neuen Impfstoffe auch die Übertragungen besser kontrollieren.
Letztlich ist die große Frage nach dem Übergang in die Endemie auch eine Ermessensentscheidung darüber, wie viele Erkrankungsfälle eine Gesellschaft bereit ist zu akzeptieren. Gérard Krause, Epidemiologe am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, fordert über solche Fragen eine gesellschaftliche Verständigung, denn das seien keine rein medizinischen Fragen. Als Orientierung könnte aus Krauses Sicht der Umgang mit den alljährlichen Grippewellen dienen: „Die Verluste einer mittleren Influenza-Saison sind wir als Gesellschaft offenbar bereit, hinzunehmen.“
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