Vernarbt das Myokard nach einem Infarkt großflächig, entwickelt sich eine Herzinsuffizienz mit schwerwiegenden Komplikationen. Die Entdeckung des Proteins MYDGF, das die Angiogenese fördert und Herzmuskelzellen vor dem Zelltod schützt, eröffnet neue Therapieoptionen.
Im Jahr 2011 wurden in Deutschland, gemäß Herzbericht der Deutschen Herzstiftung, ca. 200.000 Menschen mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus aufgenommen. Wenngleich die Sterblichkeit in den letzten Jahrzehnten aufgrund der besseren Akutversorgung deutlich zurückging, so entwickeln doch viele Patienten im Anschluss eine chronische Herzinsuffizienz. In den letzten Jahren wurde untersucht, ob sich die Herzfunktion nach Infarkt durch eine intrakoronare Knochenmarkzelltherapie verbessern lässt. Eine aktuelle Metaanalyse der größten randomisiert-kontrollierten Studien kommt zu dem Schluss, dass Knochenmarkzellen die Herzfunktion moderat verbessern können. Die Therapie ist jedoch aufwändig, für den Patienten belastend – zumal nach einem Herzinfarkt – und nicht in jedem Fall gleich gut wirksam. Prof. Dr. Kai Wollert von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und seine Kollegen suchten daher nach dem grundlegenden Wirkmechanismus, der hinter der Knochenmarkzelltherapie steckt.
Knochenmarkzellen produzieren hunderte von Zytokinen, Chemokinen und Wachstumsfaktoren und man nimmt an, dass die Zellen über die sezernierten Proteine die Wundheilung nach einem Infarkt günstig beeinflussen. Wenn aber Knochenmarkzellen über sezernierte Faktoren wirken, so lässt sich der Therapieeffekt möglicherweise durch gut definierte Wachstumsfaktor(en) imitieren. In einer Analyse der Sekretoms, also aller sezernierten Faktoren, von Knochenmarkzellen von Infarktpatienten identifizierten die MHH Forscher 42 bislang wenig charakterisierte Faktoren. Einer davon verfügte über die gewünschten Eigenschaften, er stimulierte die Angiogenese und schützte Herzmuskelzellen vor dem Absterben. Es handelt sich um ein 16kDa großes Protein, das aufgrund der Wirkungsweise den Namen Myeloid-Derived Growth Factor (MYDGF) erhielt.
Im Tierversuch verglichen die Wissenschaftler Mäuse, die nach einem Herzinfarkt mit Placebo behandelt wurden, mit Mäusen, die rekombinantes MYDGF für sieben Tage als subkutante Infusion erhielten. Die so behandelten Nager zeigten eine verstärkte Neubildung von Gefäßen, einen Schutz der Herzmuskelzellen und entwickelten schlussendlich kleinere Narben als die Mäuse der Kontrollgruppe. Zudem traten Herzinsuffizienztodesfälle in den MYDGF-behandelten Tieren seltener auf als in den Kontrolltieren. Weitergehende Untersuchungen mit Mäusen, die aufgrund eines genetischen Defekts kein MYDGF produzieren können, bestätigten die Bedeutung des Proteins für die Gewebeheilung nach Infarkt: MYDGF-defiziente Mäuse entwickelten größere Narben und eine schlechtere Herzfunktion nach Infarkt im Vergleich zu Wildtyp Mäusen. Die Ergebnisse wurden kürzlich in Nature Medicine veröffentlicht.
MYDGF ist ein evolutionär konserviertes Protein. Menschen und Mäuse, aber auch Frösche und Fische produzieren MYDGF. Nach Herzinfarkt produzieren aus dem Knochenmark eingewanderte Entzündungszellen MYDGF im Infarktgebiet und fördern auf diese Weise die Wundheilung. Die Menge an MYDGF scheint aber nicht ausreichend. Daher denkt Prof. Wollert: „Wie wir wissen ist endogenes MYDGF wichtig, aber wir könnten die Wirkung therapeutisch verstärken, indem wir rekombinantes MYDGF für einige Tage nach dem Infarkt injizieren. Das zeigen zumindest unsere Untersuchungen an Mäusen. Wir hoffen nun, dass dieses Vorgehen auch beim Menschen funktionieren könnte.“ Die Verwendung von MYDGF als Therapeutikum haben die Hannoveraner Wissenschaftler zum Patent angemeldet. Mit einem Partner aus der Industrie wollen sie die Methode nun in die Klinik tragen. Die Vorteile einer Proteintherapie gegenüber der Knochenmarkzelltherapie liegen auf der Hand: Proteine können in hochreiner Form und in großen Mengen synthetisiert werden, die Therapie wäre somit besser standardisierbar, logistisch weniger aufwendig und nicht zuletzt weniger invasiv als eine Therapie mit körpereigenen Knochenmarkzellen. Falls sich die Therapie beim Menschen bewährt, würde sich die Statistik im Herzbericht weiter verbessern – aber vor allem käme die neue Therapieoption natürlich den betroffenen Patienten zu Gute.