Beschwerden einer Polymyalgia rheumatica werden fälschlicherweise oft als Altersgebrechlichkeit interpretiert. Doch die Spurensuche lohnt sich. Ärzte können vielen Patienten mit dieser speziellen Vaskulitis helfen. Bei Rezidiven spielen neue Arzneistoffe eine wichtige Rolle.
Eine 73-jährige Frau stellt sich beim Orthopäden vor. Sie klagt über Muskelschmerzen, Nackensteifigkeit und über Beschwerden im Hüftbereich. Wie die Patientin berichtet, sei es innerhalb von zehn Tagen zu starken Beschwerden gekommen. Im Blutbild fiel vor allem die erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit auf. Rheumafaktoren (RF) waren jedoch unauffällig. Röntgenaufnahmen und Urinanalysen brachten keinen Erkenntnisgewinn. Nichts deutete auf eine Infektion hin. Damit blieb die Polymyalgia rheumatica (PMR), eine Autoimmunerkrankung mit Gefäßentzündung, als Ausschlussdiagnose. Sie ist auf den ersten Blick nicht leicht erkennbar, tritt aber häufig auf.
Shafay Raheel vom Mayo Clinic College of Medicine in Rochester veröffentlichte neue Daten zur Inzidenz. Basis war eine Kohorte aus dem Olmsted County. In dieser Gegend Minnesotas werden alle PMR-Fälle erfasst. Zwischen 2000 und 2014 fand Raheel 377 dieser Erkrankungen. 64 Prozent waren Frauen. Als mittleres Alter zu Beginn der Beschwerden gibt Raheel 74,1 Jahre an. Die jährliche PMR-Inzidenz lag bei 63,9 Fällen pro 100.000 Einwohner im Alter von mindestens 50 Jahren. Ihre Mortalität war nicht signifikant höher als bei der Allgemeinbevölkerung. Warum es in den letzten Jahren zu einem leichten Anstieg der Patientenzahlen gekommen ist, kann Raheel nicht sagen. Zwischen 1970 und 1991 lag die Inzidenz noch bei 52,5 Fällen pro 100.000 Personen. Neben genetischen Faktoren könnten einer Hypothese zufolge virale oder bakterielle Infektionen die Krankheit triggern.
Um die Erkrankung nachzuweisen, haben Rheumatologen ab 1979 verschiedene Scores entwickelt. Generell sind andere Erkrankungen nicht auszuschließen – die Punkte beweisen eine PMR nicht kausal. Alles begann mit den Bird-Wood-Kriterien: Treffen mindestens drei der folgenden Punkte zu, ist eine PMR recht wahrscheinlich:
Wenige Jahre später folgten die Hunder-Diagnosekriterien. Machen Ärzte an alle Punkte einen Haken, liegt wahrscheinlich eine PMR vor:
Weitere Skalen schlossen sich an, zuletzt die EULAR/ACR-Klassifikationskriterien. Zu den PMR-Einschlusskriterien gehören
Was das Punktesystem angeht, werden Symptome folgendermaßen berücksichtigt:
Bei Patienten mit mehr als 4 Punkten liegt die Sensitivität bei 68 Prozent und die Spezifität bei 78 Prozent. Sonographische Ergebnisse lassen sich ebenfalls integrieren:
Hier führen insgesamt mehr als 5 Punkte zu einer Sensitivität von 66 Prozent und einer Spezifität von 81 Prozent. Gesichert wird die Diagnose durch eine Biopsie der Arteria temporalis als Goldstandard, falls charakteristische Riesenzellen zu finden sind. Durch einen negativen Befund lässt sich die Erkrankung aber nicht ausschließen.
Angesichts dieser Problematik wollten Liesbet Henckaerts und Olivier Gheysens vom University Hospitals Leuven wissen, welchen Beitrag die Positronenemissionstomographie (PET) leisten könnte. Aus früheren Untersuchungen war bekannt, dass Patienten mit PMR im Bereich der Schultern, der Hüfte sowie der Hals- und Lendenwirbelsäule mehr 18F-Fluordeoxyglucose (FDG) aufnehmen. Der Marker sendet gut messbare Gammastrahlung aus. Für ihre Studie wählten die Forscher 99 Patienten mit grobem PMR-Anfangsverdacht aus. Ärzte bewerteten alle Teilnehmer anhand klinischer Kriterien mit 1 bis 5 Punkten. Anschließend wurden sie von Radiologen per 18F-FDG-PET untersucht. Die Mediziner errechneten aufgrund ihrer Bildgebung einen Gesamtskelett-Score mit maximal 24 Punkten. Bei 67 Patienten bestätigten Ärzte PMR als Diagnose. Ein klinischer Score von 4 oder mehr hatte eine Sensitivität von 67,2 Prozent und eine Spezifität von 87,5 Prozent. Im Vergleich dazu führten Gesamtskelett-Scores mit 16 oder mehr Punkten zu einer Sensitivität von 85,1 Prozent und einer Spezifität von 87,5 Prozent. „Die 18F-FDG-PET vor Beginn einer Glucocorticoidtherapie verbessert die Treffsicherheit im Vergleich zu klinischen Scores bei Patienten mit Verdacht auf PMR“, resümieren Henckaerts und Gheysens.
Von der Diagnose zur Therapie. Generell ist eine PMR behandlungsbedürftig. Dabei geht es nicht nur um Schmerzen und Einschränkungen der Beweglichkeit. Bei fast jedem zweiten Patienten tritt zusätzlich eine Riesenzellarteriitis auf. Unbehandelt kann es zu Erblindungen kommen, da entzündete Arterien zu einer ungenügenden Durchblutung der Sehnervpapille führen. Ärzte verordnen nahezu alle bekannten antiinflammatorischen beziehungsweise immunsuppressiven Wirkstoffe. Dazu gehört britischen Leitlinien zufolge vorrangig 15 mg Prednisolon/Tag. Bei Beschwerdefreiheit und bei unauffälligem CRP-Wert kann die Gabe verringert werden. Generell sollte eine möglichst niedrige Erhaltungsdosis angestrebt werden. Zum Hintergrund: Glukokortikoide stehen mit einem um 63 Prozent höheren Frakturrisiko in Verbindung. Hohe Dosen gelten auch als Risikofaktor für Pneumocystis-Infektionen. Als Alternative kann ein Versuch mit Methotrexat unternommen werden. Kombinationen mit Prednisolon sind ebenfalls möglich. Andere Autoren haben aufgrund der antiinflammatorischen Eigenschaften auch Tacrolimus beziehungsweise Clarithromycin eingesetzt. Und nicht zuletzt werden in der Literatur erfolgreiche Versuche, TNF-Hemmer bei therapieresistenten Fällen einzusetzen, beschrieben. Zur Beurteilung des therapeutischen Erfolgs eignen sich laut EULAR neben visueller Analogskalen für den Schmerz, Veränderungen beim CRP oder bei der Blutsenkung, die Dauer der Morgensteifigkeit und die Fähigkeit, die Arme anzuheben.