Warum kann sich Omikron so rasend schnell ausbreiten? An der Viruslast von Infizierten – wie Forscher anfangs annahmen – liegt das wohl nicht. Was es sonst noch Neues zur Variante gibt, lest ihr in unserem Update.
Schon seit der Entdeckung von Omikron wird darüber spekuliert, warum sich die Variante schneller ausbreitet und für mildere Verläufe verantwortlich ist. Eine mögliche Erklärung lieferten Hongkonger Wissenschaftler schon im Dezember letzten Jahres. Sie zeigten in einer Studie, dass Omikron vorrangig die Bronchien und nicht die Lunge befällt. Doch das scheint nicht der einzige Grund für mildere Verläufe zu sein, wie eine neue Untersuchung jetzt vermuten lässt.
Laut Wissenschaftlern des Universitätsklinikums Frankfurt und der britischen University of Kent sind die Viren der Omikron-Variante besonders empfindlich gegenüber der sogenannten Interferon-Antwort. Bei dieser unspezifischen Immunreaktion produzieren Körperzellen Interferone, die protektiv bei viralen Infektionen fungieren und gleichzeitig das Immunsystem in Alarmbereitschaft versetzen können.
Die Forscher infizierten für ihre Studie menschliche und Hamster-Zelllinien mit Viren der Omikron- und der Delta-Variante. Die Zelllinien wurden ausgewählt, weil sie sich in ihrer Interferon-Antwort unterschieden. Wie sich herausstellte, konnte sich Omikron nur in den Zelllinien stark vermehren, in denen die Interferon-Antwort beeinträchtigt war. In Zellen mit starker Interferon-Antwort war das nicht der Fall: Die Infektionsrate von Omikron war im Vergleich zur Delta-Variante deutlich schwächer; Delta ließ sich nicht von der Stärke der Interferon-Abwehrreaktion beeindrucken und vermehrte sich auch hier ungehindert.
Prof. Martin Michaelis, School of Bioscience, University of Kent, erklärt: „Offenbar kann Omikron im Gegensatz zu Delta nicht verhindern, dass die befallenen Zellen Interferon produzieren und ausschütten.“ Das könne eine Erklärung dafür sein, warum Omikron-Infektionen häufiger milde klinische Verläufe nach sich ziehen würden, so Michaelis. Der Körper könnte eine Omikron-Infektion also leichter bekämpfen. Die Autoren der Studie machen aber gleichzeitig darauf aufmerksam, dass es sich natürlich nur um Zellexperimente handelt, die eine Übertragbarkeit auf Patienten schwierig mache. Dennoch gibt die Studie Hinweise darauf, wie sich die Omikron-Variante funktionell von anderen Varianten wie Delta unterscheidet und warum sie weniger schwerwiegende Verläufe verursacht.
Mehr Hinweise zur Pathogenität von Omikron lieferten Hongkonger Forscher vor wenigen Tagen in einer Studie, die in Nature erschienen ist. In Experimenten mit Mäusen sowie an menschlichen Lungen- und Darmepithelzellen zeigten die Autoren, dass die Replikation von Viren der Omikron-Variante im Vergleich zum ursprünglichen Stamm von SARS-CoV-2 und den Alpha-, Beta- und Delta-Varianten reduziert war. Schon eine frühere Arbeit einer anderen Forschergruppe hatte die reduzierte Replikationsfähigkeit von Omikron in Lungenzellen gezeigt.
Die Omikron-Variante weist 34 Mutationen im Spikeprotein der Virushülle auf – deutlich mehr als die Delta-Variante, die nur acht charakteristische Spikemutationen besitzt. Unter den Mutationen sind einige, denen bereits funktionale Auswirkungen zugeschrieben wurden:
Ein Grund dafür: Offenbar nutzt Omikron das Zellmembranprotein Transmembrane Serine Protease 2 (TMPRSS2), das den Eintritt des Virus in bestimmte Zellen vermittelt, nur ineffizient. Die Autoren der aktuellen Studie vermuten, dass Mutationen im Spike-Protein von Omikron die Fähigkeit, den TMPRSS2-Weg zu nutzen, verringern und damit Eintritt und Replikation in den menschlichen Epithelzelllinien beeinträchtigen könnten. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass das mutierte SARS-CoV-2 versucht, der Kontrolle unseres durch Impfstoffe oder natürliche Infektionen aktivierten Immunsystems zu entkommen“, so Prof. Kwok-Yung Yuen, Infektiologe und einer der Studienleiter. „Dabei muss das Virus jedoch einen Preis zahlen, indem es sich weniger effizient vermehrt.“
Doch wenn sich Omikron nicht so schnell vermehren kann wie andere Varianten, wie kann es sich dann so blitzartig ausbreiten? Dafür ist vermutlich seine Fähigkeit zur Immunevasion verantwortlich und nicht etwa eine erhöhte Viruslast bei Omikron-Infizierten. Das hatten Forscher nach der Entdeckung noch für eine mögliche Erklärung gehalten. Doch die Viruslast scheint bei Omikron – so zeigen es zwei aktuelle Studien – ähnlich hoch oder sogar geringer zu sein als etwa beim direkten Konkurrenten Delta.
Infektiologen der Harvard-Universität in Boston untersuchten dazu die Abstriche für Coronatests, die in der Basketball-Profiliga der USA gesammelt wurden. Die Liga führt regelmäßig Corona-Tests bei ihren Spielern und Mitarbeitern durch. Die Forscher untersuchten die PCR-Testergebnisse, die von infizierten Personen entnommen worden waren und stellten fest, dass diejenigen, die mit Delta infiziert waren, eine etwas höhere Spitzenviruslast aufwiesen als diejenigen, die sich mit Omikron angesteckt hatten. Das hat die Autoren nach eigenen Angaben sehr überrascht, da Omikron in nur zwei Monaten die bis dahin noch vorherrschende Delta-Variante in den USA abgelöst hat – und dass, obwohl Omikron-Infizierte scheinbar nicht deutlich mehr Viren ausscheiden.
Eine weitere Studie bestätigt diesen Befund. Schweizer Forscher maßen dazu nicht nur die Menge der viralen RNA, sondern auch die Anzahl der infektiösen Viruspartikel auf Abstrichen von fast 150 Infizierten. Auch hier fanden die Forscher keinen signifikanten Unterschied zwischen der Viruslast von Personen, die mit Omikron infiziert waren und solchen, die mit Delta infiziert waren. Übrigens waren unter den Probanden auch geimpfte Personen, bei denen die Forscher signifikant weniger infektiöse Viruspartikel fanden als bei ungeimpften Infizierten, egal ob sie sich mit Omikron oder Delta infiziert hatten. Das wiederum liefert auch eine anschauliche Erklärung dafür, warum Geimpfte mit Durchbruchsinfektion seltener für Sekundärinfektionen verantwortlich sind.
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